Wie sich die Bilder gleichen

Gedanken bei einem Rundgang durch die neue Sonderausstellung in Karlshorst: »Brennende Ukraine«

Die neue Sonderausstellung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst »Brennende Ukraine« erinnert an die Leiden des ukrainischen Volkes unter deutsch-faschistischer Okkupation und den opferreichen Sieg der Roten Armee. Die vom Nationalen Museum für die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges in Kiew zusammengestellte Fotodokumentation verschweigt die Kollaboration ukrainischer Nationalisten mit den Aggressoren nicht, vermerkt dieses jedoch eher verschämt am Rande.

Unter dem Schlagwort »Brennende Ukraine« spuckt das nichts vergessende Internet Fotos und News aus von in Flammen stehenden Barrikaden in Kiew und erbitterten Kämpfen in Donezk. Unter diesem Stichwort firmiert aber auch eine neue Sonderausstellung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst, die an die Zeit der deutsch-faschistischen Okkupation der Ukraine erinnert. Sie wurde vom »Nationalen Museum für die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges 1941-1945« in Kiew erarbeitet. Die Karlshorster Museologen haben lediglich einige Bildunterschriften, wo es ihnen zum besseren Verständnis für deutsche Betrachter angebracht erschien, durch kursive Erläuterungen ergänzt. Dem Team um Jörg Morré zu unbestimmt war beispielsweise die Bildlegende: »Sowjetische Kriegsgefangene schaufeln die Gräber der Zivilisten zu, die von den Nazis erschossen wurden, Babij Jar, bei Kiew, Oktober 1941.« Die Karlshorster korrigierten und konkretisierten: »Das Sonderkommando 4 a der Einsatzgruppe C des SS Sicherheitsdienstes erschoss am 29. und 30. September 1941 33 771 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Um das Massengrab zu schließen, sprengten Pioniere der Wehrmacht die Ränder der Schlucht von Babij Jar und ließen - wie auf dem Foto zu sehen - das Gelände einebnen.« Und: »In der heutigen Memorialisierung des Ortes steht nicht das Schicksal der Kiewer Juden im Mittelpunkt.«

Die Bilder sind bekannt. Und erschüttern immer wieder: Ein von den Aggressoren in Brand gestecktes Dorf; eine alte Bäuerin, die ihre Hände wie zum Gebet faltet, während die Deutschen ihre einzige Kuh stehlen; ukrainische Kinder müssen Wehrmachtssoldaten die Stiefel blank putzen; ein endloser Zug sowjetischer Kriegsgefangener; am Kiewer Hauptbahnhof werden Zwangsarbeiter in die Züge der Reichsbahn getrieben; Feldgendarmen erhängen Partisanen; eine Straße in Stalino (heute Donezk) ist mit den Leichen von bei lebendigem Leib verbrannten Menschen übersät ...

Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik hatte mit die größten menschlichen und materiellen Verluste zu beklagen. Genannt wird in der Ausstellung die Zahl von 42 Prozent der Gesamtverluste der UdSSR. 2,4 Millionen Ukrainer wurden zur Sklavenarbeit nach Deutschland deportiert, 1,8 Millionen von den über fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen waren Ukrainer. 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene starben, weil sie - wie die Ausstellung vermerkt - von der Wehrmacht nicht ernährt, medizinisch nicht versorgt und trotz schlechtem körperlichen Zustand zu härtester Arbeit gezwungen wurden. Sie wurden gezielt ermordet. Der berüchtigte Kommissarbefehl des Oberkommandos der Wehrmacht, bereits am 6. Juni 1941, vor dem Beginn des »Unternehmens Barbarossa, erlassen, wird hier nicht erwähnt.

Das Konzept ist, die Bilder sprechen zu lassen. Die Informationen sind karg, auf Kommentare wird verzichtet. Am Anfang steht die Chronologie des Krieges, der auf ukrainischem Territorium vom 22. Juni 1941 bis zum 28. Oktober 1944 tobte. Die Kiewer litten vom 19. September 1941 bis zum 6. November 1943 unter deutschem Terror. Verwiesen wird auf das Münchener Abkommen, nach dem sich die bis dahin zur ČSSR gehörende Karpatoukraine unabhängig erklärte; sie wurde allerdings bereits im März 1939 von den ungarischen Faschisten annektiert. Erwähnt wird der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt, nach dessen geheimem Zusatzprotokoll am 17. September 1939 die Rote Armee ins Nachbarland einmarschierte. Sie paradierte in Lwów, dem heute zur Ukraine gehörenden Lwiw, das unter deutscher Tyrannei Lemberg hieß. Bei diesem Namen kommt einem nicht nur das berüchtigte Ghetto in den Sinn, in dem zeitweise über 160 000 Juden gepfercht waren; als die Rote Armee am 26. Juli 1944 die Stadt befreite, waren nur noch 200 Juden am Leben.

Der Besucherin der Fotoausstellung weiß, dass unlängst in Lwiw eine bronzene Leninstatue vom Sockel gestürzt und eingeschmolzen wurde - zu einem Monument für Stepan Bandera, dem neuen Nationalhelden in der Westukraine. Es soll dort bereits an die 50 lebensgroße Statuen und Büsten an öffentlichen Plätzen geben. Zum 100. Geburtstag des nach dem Krieg in Abwesenheit zum Tode verurteilten und 1959 in München einem KGB-Attentat erlegenen Kollaborateurs kam eine Sonderbriefmarke heraus. Rückfall in Zeiten unseligen Nationalismus und Antikommunismus? Es passt zu dem von Poroschenko unterzeichneten Gesetz gegen kommunistische Symbole und kommunistische Betätigung.

Das leidige Thema Kollaboration wird in der Ausstellung nicht verschwiegen, aber eher verschämt angemerkt. Die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) beteiligte sich an der Seite der Wehrmacht und SS an der Jagd auf polnische und sowjetische Partisanen und Juden. Beim Betrachten der Aufnahmen von vor der Kamera posierenden Bandera-Banditen, die bis Ende der 1950er Jahre in der Ukraine ihr Unwesen trieben, fragt man sich: Gehörten zu ihnen auch jene Ukrainer, über die eine Bildfolge in der «Berliner Illustrierten Zeitung» am 17. Juli 1941 berichtete? Eine Propagandakompanie der Wehrmacht hat die Zerstörung eines Lenindenkmals fotografisch festgehalten. Man sieht einen Zivilisten eine Schlinge um Lenins Hals legen. Darunter der triumphierende Text: «Ein paar Schläge, ein Ruck - und Lenins Gipsfigur stürzt zu Boden.» Die nächste Bildunterzeile lautet: «Jetzt wechseln Äxte und Brecheisen ihre Besitzer. Jeder Ukrainer will sich an dem Zerstörungswerk beteiligen. ›Ich rechne mit dir ab, Lenin! ich rechne mit dir ab ...‹ rief bei jedem Schlag ein erbitterter Ukrainer.» Goebbels dürfte gejauchzt haben.

Die in Karlshorst zu sehenden Fotos aus Kiew spiegeln die Dramatik des Großen Vaterländischen Krieges wider. Charkow, die zweitgrößte ukrainische Stadt, wechselte vier Mal den Besitzer. Im Herbst 1944 flankieren Rotarmisten einen endlosen Zug deutscher Kriegsgefangener über den Kreschtschatik, Kiews Prachtboulevard, damals von Ruinen gesäumt. Es werden Einblicke in den Soldatenalltag gewährt. Eine kurze Ruhepause zwischen den Gefechten. Eine Rotarmistin feiert Wiedersehen mit ihrer Mutter. Bürger von Poltawa begrüßen ihre Befreier. Zu den Bildern des Sieges ist vermerkt, dass die Ukrainer die zweitgrößte nationale Gruppe stellen, die als «Helden der Sowjetunion» ausgezeichnet wurden.

Die Ausstellung endet mit der Siegesparade in Moskau am 24. Juni 1945, an der Einheiten der 1., 2., 3. und 4. Ukrainischen Front teilnahmen. In deren Reihen kämpften nicht nur Ukrainer, wie hierzulande oft fälschlich angenommen und von offiziellen ukrainischen Stellen gern suggeriert wird. In jenen gewaltigen Schlachtverbänden stritten Angehörige fast aller Nationalitäten der Sowjetunion. Und deutsche Antifaschisten. Das erfährt man hier nicht.

Die 64 Fotografien, teils von berühmten Kriegsreportern wie Jewgenij Chaldej, stammen aus einem 400 000 Exponate umfassenden Fundus, auf den das Kiewer Museum stolz sein kann. Anzumerken bleibt, dass die Fotos etwas lieblos aufgehängt sind, brav nebeneinander, ohne gestalterische Idee. Dessen ungeachtet ist ein Besuch der Ausstellung sehr zu empfehlen. Sie mahnt indirekt, dass Deutschland sich nicht in den Ukraine-Konflikt einmischen darf, weder verbal zündeln noch in irgendeiner Weise militärisch intervenieren.

«Brennende Ukraine 1941 bis 1945», bis 6.9., Di-So 10-18 Uhr, Eintritt frei.

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