Libysche Küstenwache meldet rund 200 Tote

2015 bereits über 300.000 Menschen über Mittelmeer geflohen / Vier Verdächtige in Ungarn festgenommen / Noch mehr Leichen als befürchtet in Österreich entdeckt

  • Lesedauer: 9 Min.

Update 14.50 Uhr: LINKE kritisiert Kriminalisierung von Flüchtlingen
Katina Schubert, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der LINKEN, hat angesichts der über 70 Toten im Schleuser-LKW die Kriminalisierung von Flüchtlingen kritisiert: »Wer Flüchtlinge kriminalisiert und somit Schleusern überlässt, ist mitschuldig!«, sagte sie. Und weiter: »Ungarn will härter gegen Flüchtlinge vorgehen, Großbritannien macht regelrecht Jagd auf ›Illegale‹ und Deutschland hat sein Asylrecht so verschärft, dass Flüchtlinge fast automatisch zu Kriminellen werden.« Wer so eine Politik mache, trage Mitverantwortung für die Toten im Mittelmeer, die Toten im Schleuser-LKW von Wien und jedes Opfer, das die Festung Europa an ihren Grenzen fordere .

Update 14.35 Uhr: EU will militärisch härter gegen Schleuser vorgehen
Der EU-Militäreinsatz gegen Schleuserkriminalität im Mittelmeer soll so schnell wie möglich ausgeweitet werden. Nach Einschätzung des zuständigen Befehlshabers könnten Soldaten bereits im Oktober damit beginnen, außerhalb der libyschen Küstengewässer fahrende Schiffe von Menschenschmugglerbanden zu stoppen und zu zerstören, wie die Deutsche Presse-Agentur am Freitag aus EU-Kreisen erfuhr. Mutmaßliche Kriminelle müssten dann mit einer Festnahme rechnen.

Update 14.14 Uhr: Ungarns Polizei bestätigt vier Festnahmen wegen Flüchtlingsdrama
Die ungarische Polizei hat am Freitag bestätigt, dass sie im Zusammenhang mit der Flüchtlingstragödie in Österreich am Vortag vier Personen festgenommen hat. Darunter seien drei Bulgaren und ein Afghane, teilte die Polizei mit. Es sei Untersuchungshaft beantragt worden. Darüber hinaus wurden knapp 20 Zeugen vernommen. Weitere Einzelheiten teilte die Polizei nicht mit. Aus einem Lastwagen, der am Donnerstag im Osten Österreichs entdeckt worden war, waren die Leichen von 71 Menschen geborgen worden. Das Fahrzeug war von Ungarn nach Österreich gekommen.

Update 13.58 Uhr: Libysche Küstenwache meldet rund 200 Tote
Bei der neuen Flüchtlingstragödie im Mittelmeer sind nach Angaben der libyschen Küstenwache mindestens 200 Menschen ums Leben gekommen. Zahlreiche Tote seien am Morgen an Land gespült und geborgen worden, erklärte ein Sprecher der Küstenwache am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Unter den Opfern seien auch Kinder. Die Küstenwache versuche, die endgültige Zahl der Toten festzustellen.

Aktivsten hatten zuvor von 65 Leichen in Suwara berichtet. 190 Menschen seien gerettet worden, erklärte das Suwara-Medienzentrum. Eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Libyen sagte der Deutschen Presse-Agentur zunächst, es gebe sehr unterschiedliche Zahlen, die bisher nicht verifiziert werden konnten.

Update 12.10: Fast 80 Tote bei Untergang von Flüchtlingsboot vor Libyen
Beim Untergang eines Flüchtlingsboots vor der libyschen Küste sind neuen Angaben zufolge fast 80 Menschen ums Leben gekommen. Wie ein Sprecher der Hilfsorganisation Roter Halbmond am Freitag der Nachrichtenagentur AFP sagte, wurden bislang 76 Leichen geborgen. 198 der insgesamt rund 300 Passagiere seien gerettet worden.

Das Schiff war am Donnerstag vor der Hafenstadt Suwara rund 160 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis gesunken. Ein Vertreter der libyschen Küstenwache hatte am Donnerstagabend zunächst von rund 30 Toten und dutzenden Vermissten gesprochen.

Update 11.41: 2015 bereits über 300.000 Menschen über Mittelmeer geflohen
Seit Beginn des Jahres haben nach UN-Angaben bereits mehr als 300.000 Flüchtlinge den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa genommen. Rund 2500 Menschen seien dabei ums Leben gekommen, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), Melissa Fleming, am Freitag. Fast 200.000 Menschen erreichten demnach Griechenland, weitere 110.000 gelangten nach Italien.

Update 11.37 Uhr: Drei Festnahmen nach Flüchtlingsdrama in Österreich
Die Landespolizei des Burgenlandes hat die Zahl der Toten bei der Flüchtlingstragödie auf der Autobahn 4 im Osten Österreichs auf 71 Personen nach oben korrigiert. Ein Polizeisprecher sagte am Freitag bei einer Pressekonferenz in Eisenstadt, dass sich unter den Opfern auch drei acht- bis zehnjährige Jungen und ein ein- bis zweijähriges Mädchen befinden. 59 der Opfer seien Männer, acht seien Frauen. Bei den Leichen hätten die Ermittler ein syrisches Reisedokument gefunden: »Wir gehen davon aus, dass es sich um syrische Flüchtlinge handelt.«

Der Polizeisprecher bestätigte außerdem Medienberichte, wonach es in Ungarn bereits erste Festnahmen gegeben habe. Bei einem der drei Männer handle es sich um einen »rumänischen Staatsangehörigen libanesischer Herkunft«, dem der Lkw gehören soll, in dem die Toten am Donnerstagmorgen unweit des Länderdreiecks Österreich-Slowakei-Ungarn gefunden wurden. Bei zwei weiteren Festgenommenen handle es sich um einen Rumänen und eine Person mit ungarischen Papieren. »Dabei handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um jene Personen, die das Fahrzeug gelenkt haben«, sagte der Polizeisprecher.

Update 11.15 Uhr: Gründe: Tote in Lkw belegen Versagen des europäischen Asylsystems
Das Flüchtlingsdrama in Österreich erfordert nach Ansicht der Grünen ein Umdenken in der Asylpolitik. »Die mehr als 70 toten Flüchtlinge in einem Lastwagen in Österreich und erneut rund 200 Tote vor der Küste Libyens sind ein weiterer erschütternder Beleg für das Versagen des europäischen Asylsystems«, sagte die Parteivorsitzende Simone Peter am Freitag in Berlin. Sie forderte ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das sichere Zugangswege und Bleibemöglichkeiten gewährleistet. Peter warnte, wer nur die Schlepper in den Fokus nehme, werde noch viele weitere Opfer zu Wasser und zu Lande zu verantworten haben. »Dieser Tod mit Ansage muss ein Ende haben«, sagte Peter.

Update 9.55 Uhr: Österreichische Kirche fordert legale Zugänge nach Europa
Nach der Flüchtlingstragödie an einer österreichischen Autobahn hat die evangelisch-lutherische Kirche des Landes legale Zugänge nach Europa gefordert. Dies sei der einzige Weg, dem Schlepperwesen den Boden wegzuziehen, sagte Bischof Michael Bünker am Donnerstag in Wien. Durch eine Abschottung der »Festung Europa« und eine schärfere Verfolgung der Schlepperei werde kein Mensch, der in Europa Schutz vor Krieg suche, abgehalten. Vielmehr würden nur die Preise steigen und das Risiko für Flüchtlinge größer, in Lebensgefahr zu geraten.

Update 9.50 Uhr: Zeitung: Schlepper in österreichischem Flüchtlingsdrama gefasst
Die für das Flüchtlingsdrama mit mehr als 70 Toten in Österreich verantwortlichen Schlepper sind nach Informationen der österreichischen »Kronen Zeitung« gefasst. Die Polizei bestätigte den Bericht vom Freitag zunächst nicht.

Nach bisherigen Erkenntnissen war der Lastwagen am Mittwoch bei Budapest losgefahren. In der folgenden Nacht soll er die österreichisch-ungarische Grenze überquert haben. Er wurde schließlich verlassen an einer Autobahn 50 Kilometer südöstlich von Wien entdeckt. Im Laderaum befanden sich Dutzende Tote.

Update 9.30 Uhr: Hunderte Ertrunkene befürchtet
Nach dem Kentern von zwei Flüchtlingsbooten vor der libyschen Küste werden nach einem Bericht des britischen Senders BBC Hunderte Tote befürchtet. Der Sender zeigte am frühen Freitagmorgen Fernsehbilder von zahlreichen Leichensäcken.

In einem Flüchtlingsboot seien etwa 50 Menschen gewesen. Das andere habe 400 Menschen an Bord gehabt. Beide seien am Donnerstag gekentert. Die libysche Küstenwache suche nach Überlebenden. Mindestens 100 Leichen seien in das Krankenhaus von Suwara westlich von Tripolis gebracht worden, habe ein Anwohner dem Sender gesagt.

Die italienische Küstenwache, die auch Rettungseinsätze vor der libyschen Küste koordiniert, erklärte, zu der möglichen neuen Katastrophe seien bei Ihnen keine Notrufe eingegangen. Eine Sprecherin des Flüchtlingswerkes UNHCR sagte, sie habe bisher keine Informationen über das neue Unglück vor Libyen.

Update 9.00 Uhr: In Österreich noch mehr tote Flüchtlinge
Bei dem Flüchtlingsdrama in Österreich sind deutlich mehr Menschen ums Leben gekommen als zunächst angenommen. Aus dem an einer Autobahn abgestellten Lastwagen wurden mehr als 70 Leichen geborgen, wie ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums am Freitagmorgen sagte. Am Donnerstagabend war von 20 bis 50 Toten die Rede gewesen. Da viele der Leichen bereits stark verwest waren, war es schwierig, unmittelbar genauere Angaben zu machen. Der Lastwagen mit ungarischer Zulassung war in einer Pannenbucht an einer Autobahn im Burgenland abgestellt und am Donnerstag dort entdeckt worden. Nach ersten Erkenntnissen startete das Fahrzeug am Mittwochvormittag in der Nähe von Budapest und verbrachte die Nacht im Grenzbereich zu Österreich.

Update 8.45 Uhr: Zweites Boot mit Flüchtlingen gesunken
Medienberichten ist in den vergangenen Stunden noch ein zweites, mit etwa 50 Flüchtlingen besetztes Boot im Mittelmeer gesunken. Es ist unklar, wie viele Opfer es bei diesem Unglück gibt. Beim Untergang eines Flüchtlingsschiffes vor Liyben mit 400 Menschen an Bord, sind bereits mindesten 100 Tote in in ein Krankenhaus westlich von Tripolis gebracht worden, wie die BBC berichtet.

200 Tote bei Untergang von Flüchtlingsboot befürchtet

Berlin. Wieder sterben Menschen an den Grenzen der Festung Europa - diesmal vor der libyschen Küste. Dort werden nach dem Untergang eines Schiffs mit rund 400 Flüchtlingen an Bord viele Opfer befürchtet. Es kursierten am Freitagmorgen unterschiedliche Angaben über die Zahl der Menschen, die mit dem Schiff von Suwara aus, rund 160 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis, ins See stachen. Zunächst war von zehn Toten sowie 20 bis 30 Geretteten die Rede gewesen; später wurden 30 Vermisste angegeben. Inzwischen ist davon die Rede, dass die Behörden fürchten, dass rund 200 Flüchtlinge ertrunken sind - viele von ihnen waren offenbar unter Deck gefangen, als das Schiff sank.

Täglich versuchen derzeit hunderte Menschen, von Afrika nach Europa zu gelangen. Dabei kommt es immer wieder zu Unglücken. Schätzungen zufolge starben in diesem Jahr bereits 2.500 Flüchtlinge bei der gefährlichen Überfahrt. Nach Angaben der italienischen Küstenwache wurden allein am Donnerstag rund 1400 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor der libyschen Küste gerettet, nachdem dort am Mittwoch rund 3000 gerettet worden waren.

In Palermo auf Sizilien kam unterdessen das schwedische Schiff »Poseidon« mit mehr als 570 Flüchtlingen an, die gerettet werden konnten. An Bord waren auch die Leichen von 52 weiteren Flüchtlingen, die im Frachtraum eines Boots bei der Überfahrt nach Europa gestorben waren. Die Toten waren am Mittwoch entdeckt worden, die Staatsanwaltschaft von Palermo leitete Ermittlungen ein.

Mit seinen Schilderungen hat ein kanadischer Mediziner von Ärzte ohne Grenzen derweil die verzweifelte Lage von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer deutlich gemacht. Der 56-jährige Arzt Simon Bryant war dabei, als am Mittwoch auf einem Flüchtlingsboot 52 Leichen entdeckt wurden. Nach diesem schrecklichen Erlebnis habe er nicht schlafen können, sagte der Arzt im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Vielen seiner Kollegen sei es ebenso gegangen.

Die schwedische Küstenwache hatte die Besatzung der »Phoenix«, mit der Ärzte ohne Grenzen Bootsflüchtlinge vom Mittelmeer rettet, am Mittwoch um ihre Hilfe gebeten. Bryant ging daraufhin an Bord des Flüchtlingsbootes. Unter Deck des Holzbootes habe er nach Überlebenden gesucht, aber vor allem Leichen gefunden. »Ich begann, bei den Menschen nach Lebenszeichen zu suchen, und nach 24 habe ich aufgehört zu zählen«, sagte Bryant über die vielen Leichen.

»Als ich zurück an Deck kam, war da auch nicht viel mehr Platz und es lagen vier Körper dort, aber einer von ihnen hat schwach geatmet«, erzählte Bryant. Der Mann sei schnell mit einem Hubschrauber auf die italienische Insel Lampedusa gebracht worden. Bryant untersuchte den Rest des Tages die Überlebenden von dem Boot und weitere Gerettete.

Auch wenn die Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt überleben, ist Bryants Arbeit sehr belastend. Die meisten Flüchtlinge seien so erschöpft, dass sie erst einmal lange schliefen. »Danach bekommt man ihre Geschichten zu hören und das kann eine sehr traurige, sehr sorgenvolle Zeit sein«, sagte der kanadische Arzt.

Die Flüchtlingstragödie auf dem Mittelmeer wäre nach seiner Einschätzung bei genügend internationalem Engagement vermeidbar. Unter den gegenwärtigen Umständen werde es aber noch »viele Tote« geben, warnte Bryant. »Das sind nicht nur Zahlen, das sind Menschen, die eine Geschichte haben, die wir niemals werden hören können.« Agenturen/nd

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