Es kommen immer mehr nach Ungarn

Kein Ende der Krise im Grenzgebiet / Budapester Notstandsgesetze sollen zusätzlich abschrecken

  • Thomas Roser, Rözske
  • Lesedauer: 3 Min.
Obwohl schon Tausende Flüchtlinge weitergereist sind, harren noch viele in Ungarn aus. Und es kommen immer mehr. Ein Ende der Krise ist im serbisch-ungarischen Grenzgebiet nicht in Sicht.

Stacheldraht auf dem auf vier Meter erhöhten Zaun. Eher wie ein Internierungs- als ein Auffanglager wirkt die eingezäunte Zeltstadt. Vor dem neuen Auffanglager im südungarischen Rözske zoomen die Visiere der Kameras der aufgereihten Übertragungswagen auf die hinter dem Maschendraht in langen Reihen in der Mittagssonne kauernden Flüchtlinge.

Mit beheizbaren Armeezelten ist das erst am Wochenende neu errichtete Camp zur Registrierung der Neuankömmlinge ausgerüstet. Doch die Kapazität von 1000 Schlafplätzen reicht schon in den ersten Nächten nicht aus: Hunderte Flüchtlinge hätten in der Nacht auf Montag frierend unter freien Himmel verbringen müssen, weil für sie in den Zelten kein Platz mehr gewesen sei, berichteten heimische Medien.

Zurückgelassene Decken künden vor dem hermetisch abgeriegelten Lagertor von der kalten Nacht. Unbemerkt von den bulligen Wachleuten schleicht an der nahen Autobahn eine Familie in der Straßenböschung an dem Lager vorbei. Die meisten der Flüchtlinge, die sich drei Kilometer südlich in langen Kolonnen am Ortsausgang der serbischen Grenzstadt Horgos in Richtung Röszke aufmachen, gelangen über den Bahndamm über die Grenze nach Ungarn. 4000 seien am Wochenende so gekommen, meldet der serbische Fernsehsender RTS.

Manche brechen mit geschulterten Rucksäcken entschlossen zu Fuß in Richtung der ungarischen Grenze auf, andere entsteigen vor dem Durchgangslager im nordserbischen Kanjiza mit müden Blicken den Bussen aus der Hauptstadt Belgrad und dem Süden des Landes. Es sei ein »ständiges Kommen und Gehen«, die meisten würden sich »nur einige Stunden« ausruhen und dann weiterziehen, berichtet Lagerleiter Robert Lesmajster. Von einem Abflauen des Andrangs von durchschnittlich 2000 Neuankömmlingen könne keine Rede sein, im Gegenteil: »Wir haben Informationen, dass in den letzten beiden Tagen noch mehr Menschen aus Mazedonien nach Serbien gelangt sind als bisher.«

Zwei Monate jung ist das in die Morgensonne blinzelnde Baby, das ein kräftiger Familienvater aus Irak in einer Tragetasche ins Lager trägt. »Germany, Deutschland« lautet die kurze Antwort auf die Frage, wohin er seinen Sohn denn bringen wolle. Nein, Angst vor der Passage durch Ungarn hätten die Neuankömmlinge nicht, so Lesmajster: »Sie haben schon Schlimmeres durchgemacht. Aber alle haben es eilig, wollen unbedingt durch Ungarn, bevor es noch schwieriger wird.«

Anzeichen für eine Änderung der Flüchtlingsrouten über Serbien nach Ungarn gebe es noch keine. Der Grenzzaun und das harte Auftreten von Ungarns Polizei habe auch bislang »keinerlei Effekt« auf die Zahl der Durchreisenden. »Der Zaun bremst die Leute vielleicht ab, aber aufhalten kann er sie nicht.« Denn sie hätten nichts, wohin sie zurückkehren könnten.

Mit einem Kinderwagen zieht eine Flüchtlingsfamilie auf der Autobahn unweit von Röszke in Richtung Budapest: Aus ganz Ungarn werden auch zu Wochenbeginn Trecks von trotzig zu Fuß in Richtung Österreich ziehenden Flüchtlingen vermeldet. Ihre Hoffnung auf weitere Buskonvois in den Westen versuchen die Regierungen in Wien und Berlin mit der Beteuerung zu zerstreuen, dass es sich am Wochenende um eine »einmalige« Aktion gehandelt habe.

Mit einem noch strengeren Grenzregime und den am 15. September in Kraft tretenden Notstandsgesetzen hofft Budapest, die unerwünschten Durchwanderer abzuschrecken. In Europa regiere die Heuchelei, aber Ungarn werde sich zu helfen wissen, drohte Premier Viktor Orban zu Wochenbeginn.

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