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Gutes Brot

Rezension: Eivind Aarset

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Mann hat schon einige Genres durchprobiert in seinem Leben: Erst spielte er klassischen Bluesrock nach der Art von Jimi Hendrix oder Peter Green, später dann Heavy Metal, und wiederum viele Jahre danach begleitete er Künstler wie Ray Charles oder die Chansonsängerin Ute Lemper. Das mag auf den ersten Blick und auch auf den zweiten nicht ganz zusammenpassen, aber der Gitarrist, von dem hier die Rede ist, macht auch eine Musik, in der nichts zusammenpassen und die keine erkennbare Einheit bilden will.

Eivind Aarset heißt der 54-jährige Norweger. Und natürlich arbeitet er seit Jahren mit anderen norwegischen Jazz-Erneuerern zusammen, etwa mit Bugge Wesseltoft und dem traurigen Trompeter Nils Petter Molvaer. Die Klänge sollen nicht eingegrenzt werden, nicht gemaßregelt für ihr plötzliches Entstehen, vielmehr sollen sie frei fluten, hin- und herströmen, aufbrausen und wieder verebben. Wie die Töne kommen, sollen sie auch wieder vergehen: frei, ihrem Erzeuger nichts mehr schuldig, nachdem sie ihn verlassen haben. Eine Art antiautoritäre Erziehung der Töne also: Entfaltet euch, Regeln gelten nur, solange sie euch dienen. Und auch der Zufall sei willkommen, solange er nie gehörte Sounds zutage fördert. Wir werden mal sehen, was herauskommt.

Und so ist Aarsets Soundwelt auf seinem neuen Album - das er mit seinem Sonic Codex Quartet, zu dem auch zwei Schlagzeuger gehören, und dem Elektro- und Samplingwizard Jan Bang eingespielt hat - nicht gerade eine Einladung zum Mitklatschen. Aarset tue »wenig, um seinem Publikum den Zugang zu erleichtern«, hieß es vor ein paar Jahren auf »Zeit Online«. Mal hört man auf seinem Album eine robust vor sich hin jammende Hardrock-Combo, kurz darauf glaubt man wiederum, da ertöne eindeutig der sich irgendwo im Klein-Klein der Mikro-Klangfragmente verfummelnde und verlierende, leise verdaddelte Besinnungspostrock von Tortoise. Mal hört sich das so an, als würde jemand, der sehr traurig ist, im Drogenrausch einen improvisierten Soundtrack zu einem wie in Zeitlupe ablaufenden Alptraum einspielen. Mal klingt das für Momente nach dem krachigen New-York-No-Wave der späten 70er und frühen 80er Jahre, mal nach aufgeblähtem Prog-Rock und dem elektrifizierten Miles-Davis-Jazzrock der mittleren 70er Jahre, mal so, als könnten die Musiker sich nicht entscheiden. Genauso ist es mit der Dynamik: rauf, runter, laut, leise, spröde, fett, elektronisch, akustisch, Maschinenraum, Gänseblümchenwiese. Hier werden die Gitarrenklänge durch Sampler und Loopmaschinen getrieben oder geschreddert, dort bleiben sie folky und waldschratig. Das ist nichts für Leute, die in der Mittagspause gerne im Viervierteltakt wippen. Das ist das gute harte Brot des norwegischen Klangforschungsvereins.

Eivind Aarset: »I.E.« (Jazzland Rec./Edel)

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