Kaputte Alarmsirenen

FKA twigs: «M3LL155X»

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Ich glaube, das hier ist mein letztes Interview«, soll die derzeit mit Kritikerlob überhäufte Künstlerin FKA twigs alias Tahliah Barnett, so der bürgerliche Name der 27-jährigen Britin, kürzlich geantwortet haben, als sie von einer Journalistin nach ihren »Hochzeitsplänen« befragt wurde. Frau Barnett lässt sich die Überzeugung, dass man auch mit Künstlerinnen - nicht anders als mit Künstlern - über ihr Werk reden sollte und nicht über ihre Unterleibsaktivitäten oder die neuesten Frisurentrends, bislang erfreulicherweise nicht nehmen. (Man stelle sich zum Vergleich einmal vor, wie Peter Handke wohl reagieren würde, wenn ein Journalist es wagte, den Schriftsteller ernsthaft danach zu befragen, ob er als Unterwäsche eher Boxershorts oder eng anliegende Slips bevorzuge.)

FKA twigs, »Postergirl einer Popmusik, die endlich zu unserer Gegenwart aufgeschlossen hat« (»Taz«), macht eine Musik, die sich nicht darin erschöpft, die Pop-Muster der Vergangenheit wieder und wieder aus der Rumpelkammer zu holen und das an ihnen für verwertbar Befundene endlos wiederaufzubereiten und neu zu variieren. FKA twigs hat kein Interesse am Alten. Man kann ja auch Neues machen. Bereits vor einigen Wochen wurden fünf neue Stücke von ihr als Download veröffentlicht, die dieser Tage als Vinyl-EP erscheinen: »M3LL155X« heißt sie bzw. »Melissa«, wie sich der Schriftzug auch lesen lässt.

Kommen wir also zu dem komplexen, unregelmäßig knatternden Trip-Hop-Geruckel, den mal schleppenden, mal sich überschlagenden Beats und den bedrohlich knurrenden Bässen, gerne mal gestört von ratternden, klackernden Büromaschinen, kaputten Alarmsirenen oder Geräuschhaftem, das sich wie Gewehrschüsse oder nicht anspringende Motoren anhört. Oder als hätte man die Abtastnadel des Plattenspielers durch ein Stück Schmirgelpapier ersetzt: Hier wird Musik aus den Fesseln der Gleichförmigkeit befreit und der fade Konsens aufgekündigt, dass Popstücke mitsing- oder -brüllbar sein müssten.

Zu ihrer kunstvoll am Rechner zusammengeschraubten Musik, die wie ein abstraktes Mosaik aus unterschiedlichsten Klangfragmenten daherkommt, sprechsingt, oder besser: fleht, schimpft, säuselt und haucht FKA twigs Texte, in denen es um Macht und Sexualität, Abhängigkeit und Schmerz, Selbstaufgabe und Autonomie, um Freiheit und Liebe geht. Allerdings werden der Gesang und das Geboller zu keinem Zeitpunkt versöhnt miteinander. Und das ist das Schöne: Während die Stimme fleht, umwehen und umflirren die Beats sie nervös, bevor sie freimütig in verschiedenen Geschwindigkeiten in verschiedene Richtungen davonrumpeln und -rappeln. Gleichzeitig durchweht diese ruhelose, beunruhigende Musik etwas Geisterhaftes.

FKA twigs: »M3LL155X« (Young Turks/XL/Beggars)

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