Leben in Blechkisten

Containerdörfer müssen nicht sein, schreiben Architekten in einem Sammelband

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 2 Min.

Im August wurde das Wasser knapp vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, wo Tausende Flüchtlinge in der prallen Sonne warteten. Plötzlich bekannte die Politik, dass die Behörden unterbesetzt waren. Sie konnten die Flüchtlinge nicht in angemessener Zeit registrieren. Auch die Unterkünfte reichten nicht aus.

Statt langfristige Fluchtbewegungen richtig zu interpretieren, zeigten sich deutschlandweit Kommunen, Behörden, Politiker und Bürger überrascht von den vielen Menschen, die über Ungarn und Österreich nach Deutschland kamen. Statt langfristig Unterkünfte zu planen und einzurichten, müssen noch immer viele Menschen auf der Straße schlafen und werden in schnell aufgestellte Wohncontainer gepfercht. Der Markt für diese Blechbauten ist mittlerweile so gut wie leergefegt, und so werden vermehrt andere Lösungen gesucht, um Flüchtlinge unterzubringen: Turnhallen ohne ausreichende Sanitäranlagen, lange unbenutzte Kasernen. In Berlin sind Flüchtlinge im Hangar des ehemaligen Flughafens Tempelhof untergebracht. Zum Duschen sollen sie zunächst ins Sommerbad am Columbiadamm - 15 Minuten zu Fuß für schlecht isolierte Sammelbäder.

Flüchtlinge würden an den Stadtrand abgeschoben, unsichtbar gemacht und lediglich zwischengelagert, kritisiert Jörg Friedrich in seinem Beitrag für den Band »Refugees Welcome - Konzepte für eine menschenwürdige Architektur«, erschienen im Juli im Jovis-Verlag. »Wieso heutzutage die Architektur für Flüchtlinge nur Schrott aus Blech sein muss, die Umwelt verschandeln und keine Zukunft haben soll, ist unverständlich«, schreibt er. Die »Blechkistenarchitektur« fördere Aggression, Gewalt und Abgrenzung. Integration und ein »gemeinsamer Alltagskontext« mit Deutschen lasse sich damit nicht erzeugen.

Dabei gehöre die inklusive Gesellschaft zur »unabdingbaren Voraussetzung des Lebens in der europäischen Stadt nach der Aufklärung«. Und Container seien pro Quadratmeter sowieso oft teurer als Eigentumswohnungen.

Jörg Friedrich und seine Co-Herausgeber Simon Takasaki, Peter Haslinger, Oliver Thiedmann und Christoph Borchers plädieren dafür, mit alternativen Baukonzepten menschenwürdiges Ankommen zu ermöglichen. Sie stellen verschiedene Konzepte vor, darunter ein Projekt der Leibniz-Universität Hannover, das exemplarisch zeigt, wie schnell und unkompliziert 2500 Menschen in Hannover untergebracht werden können, indem vorhandene Strukturen genutzt werden. Grundideen des Konzepts sind das Wohnen in der Stadt statt der Peripherie und Gemeinschaft statt Isolation. Die Ergebnisse des Projekts sind übertragbar auf andere Städte. Johanna Treblin

Jörg Friedrich, Simon Takasaki, Peter Haslinger, Oliver Thiedmann, Christoph Borchers (Hg.): Refugees Welcome. Konzepte für eine menschenwürdige Architektur, Jovis Verlag, 256 Seiten, ISBN 978-3-86859-378-5, 28 Euro

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