Rechtsbeistand aus dem Wohnwagen

Seit Dienstag können sich Geflüchtete vor dem LAGeSo von Anwälten beraten lassen

Die Fälle vor dem Sozialgericht Berlin häufen sich, weil das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) Geflüchteten elementare Leistungen nicht gewährt.

Adil Hemidis* Hoffnungen sitzen in einem Wohnwagen, aber davon weiß er noch nichts. Am Dienstagvormittag läuft er verzweifelt vor dem LAGeSo in der Moabiter Turmstraße hin und her. »Haben die das Tor etwa schon wieder zu gemacht?«, fragt er. Er holt Unterlagen aus seiner Manteltasche. Die Klarsichtfolie ist zur Makulatur geworden, aber die Dokumente darin sind alles, woran er sich klammert.

Seit fünf Tagen schläft Adil, ein stolzer, gepflegter älterer Mann in Bundfaltenhose und kariertem Hemd im gegenüberliegenden Park oder in der Nähe des LAGeSo. Seit fünf Tagen drückt ihm das Amt Zettel in die Hand, mit der Bitte, am darauffolgenden Tag wiederzukommen, die er ordentlich aneinander geheftet hat. Darunter in dicken Druckbuchstaben: »Bus fährt am Abend«. Den will er aber nicht nehmen, weil er Angst hat, am nächsten Morgen nicht rechtzeitig von der Notunterkunft loszukommen.

Die Kostenübernahme für sein Hostel in Mitte ist am 5. November abgelaufen. »Ich sollte gehen«, sagt Adil. Ronya L. von der Initiative »Moabit hilft« spricht ihn an. Sie erzählt Adil vom Republikanischen Anwaltsverein, der seit Dienstag eine Rechtsberatung für Geflüchtete anbietet. Nein, Adil lehnt ab. 20 Minuten später sitzt er doch im Wohnwagen, den der Verein für seine Beratungen nutzt. »Es ist leider ein bisschen ungemütlich, aber wir können arbeiten«, sagt Anya Lean. Die junge Asyl- und Sozialrechtsanwältin ist eine von sechs JurstInnen, die in dieser Woche von Dienstag bis Freitag zwischen 12 und 14 Uhr rechtliche Unterstützung anbieten. Adils Fall ist eigentlich klar, sagt Lean. Die Anwältin wird ein Eilrechtsschutzverfahren beim Sozialgericht auf vorzeitige Kostenübernahme für eine Notunterbringung stellen. Laut Gesetz ist das Land dazu verpflichtet Obdachlosigkeit zu vermeiden, außerdem sieht das Asylbewerberleistungsgesetz eine Unterbringung in einer Unterkunft vor.

Erst im Oktober hatte das Berliner Sozialgericht im Falle eines Afghanen geurteilt, dass das LAGeSo in der Pflicht sei, Sachleistungen zu gewähren. Sich um eine Unterkunft zu kümmern, kann nicht Aufgabe des Geflüchteten sein, urteilte das Gericht. Allein in den ersten drei Oktoberwochen waren 50 solcher Eilanträge eingegangen. Aber selbst mit den positiven Urteilen vom Sozialgericht kämen einige beim LAGeSo nicht weiter, heißt es vom Anwaltsverein. »Rechtsgültige Urteile werden einfach ignoriert«, kritisiert Lean. Mit der Beratung will der Verein nicht nur Hilfe im Einzelfall bieten. »Es geht auch darum, Druck auf die Behörden auszuüben und deren systematisches Versagen offen zu legen«, sagt Lean.

Adil sitzt nun am Campingtisch im Wagen. Draußen warten inzwischen 20 Menschen, die ebenfalls dran kommen wollen. Adil soll seine Geschichte erzählen. Er versteht die Frage falsch und seine Augen werden glasig. Er hält sich die Hände vors Gesicht. Als würde er nicht eh jeden Tag an die Flucht aus Aleppo denken und dass er seine Frau und die Kinder das letzte Mal in der Türkei gesehen hat. »Nein, sagen Sie uns, wie wir helfen können«, versucht Lean es erneut. Adil hat Angst, dass er Ärger mit dem LAGeSo bekommt, wenn klar ist, dass er geklagt hat. »Das ist Ihr Recht, was wir einfordern«, sagt Lean. Adil nimmt ihre Visitenkarte und verspricht, am nächsten Tag in der Kanzlei vorbeizukommen, dann verschwindet er durch die Plastiktür. *Name geändert

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