Der Nebenkanzler regiert

Kritik an Maizières Alleingängen - doch «Dublin» soll wieder gelten

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.
Obwohl der Beschluss an der Kanzlerin vorbei getroffen wurde, will Deutschland zum Dublin-System zurückkehren. Fraglich ist indes, ob das noch funktioniert.

Den Witz des Tages machte am Mittwoch «Spam». Der Bundesnachrichtendienst, forderten die Satiriker von «Spiegel Online», solle künftig den deutschen Innenminister abhören. Dann wüsste Regierungschefin Angela Merkel (CDU) wenigstens wieder, was ihr Parteifreund und Untergebener Thomas de Maizière so treibt. Ähnlich wirkt derzeit die Realität. Demnach wollen die Regierungsfraktionen von Union und SPD künftig einmal in der Woche vom Innenminister darüber in Kenntnis gesetzt werden, was sein Haus denn nun schon wieder tue oder plane.

Die SPD müsse sich auf Absprachen verlassen können, sagte Christine Lambrecht, die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion. Es gebe es keine Koalitionskrise, «aber eine Krise in der Union». Es sei nicht erkennbar, wer in der Union «die Zügel in der Hand hält». Dabei müsse sich auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Fragen nach der Richtlinienkompetenz stellen lassen. Derzeit gebe erst Maizière eine Erklärung ab, «die vom Kanzleramt zurückgeholt und dann vom Finanzminister bestätigt wird».

Scharfe Kritik an diesem Zustand kam auch von anderen SPD-Politikern. Aydan Özoguz (SPD), die etatmäßige Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung: «Es kann nicht sein, dass der Bundesinnenminister, statt für Ordnung zu sorgen, die Abläufe fast täglich chaotisiert». In Rheinland-Pfalz, das sich im Wahlkampf befindet, kritisierte nicht nur die Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) diese Situation scharf. SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer forderte den Rücktritt Maizières.

Tatsächlich soll Maizière nach den Worten von Regierungssprecherin Christiane Wirtz am 21. Oktober ohne das Wissen der Kanzlerin sowie ihres «Flüchtlingskoordinators» Peter Altmeier (CDU) angeordnet haben, auf syrische Flüchtlinge wieder das sogenannte Dublin-Verfahren anzuwenden, nach dem Flüchtlinge in das erste EU-Land zurückgeschickt werden können, das sie erreicht haben. Die Anwendung des Abkommens war im August ausgesetzt worden.

Ungeachtet dieses Alleingangs und - bisher - im Unterschied zu von Maizière jüngst verkündeten Plänen, die den Familiennachzug für Syrer betroffen hätten, stellt sich die Regierung inhaltlich aber offenbar hinter den Innenminister, der wie ein Nebenkanzler agiert. Eine Rückkehr zum Dublin-Verfahren sei kein Abrücken von der «Willkommenskultur», so Wirtz: «Das hat nichts damit zu tun, dass in irgendeiner Form die politische Richtung sich geändert hat.» Das europäische Recht sei punktuell korrekturbedürftig, doch die bestehenden Regeln «gelten und sie sind nicht aufgehoben». Auch die Bundes-SPD opponiert nicht in der Sache. Justizminister Heiko Maas etwa sagte am Mittwoch, «zusammen mit dem Bundesinnenministerium» sei er «früh der Auffassung gewesen», dass die «Aussetzung von rechtlichen Grundlagen auf europäischer Ebene stückweise wieder zurückgeführt werden muss.» Die CDU-Abgeordnete Andrea Lindholz sagte im Bundestag, die Bürger verlangten von der Politik die «Umsetzung geltenden europäischen und nationalen Rechts» - dazu gehöre auch das Dublin-Verfahren.

In der Sache gab es Kritik aus der Opposition. Aus Brüssel erklärte der grüne EU-Parlamentarier Sven Giegold im Mitteilungsdienst Twitter, so werde es zu einer «Lahmlegung» des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration« und einer »Reaktivierung unfairer EU-Asylpolitik« kommen. Seitens der Linksfraktion bezweifelte Sevim Dagdelen in einer Aktuellen Stunde im Bundestag, dass sich die SPD langfristig tatsächlich gegen den begrenzten Familiennachzug aussprechen werde.

Ob Dublin freilich noch funktioniert, scheint fraglich. Viele Flüchtlinge, die sich derzeit auf dem Weg befinden, ist im ersten betretenen EU-Land nicht registriert worden, sodass unklar ist, wohin sie überhaupt geschickt werden sollten. Länder wie etwa Ungarn haben bereits ausgeschlossen, etwaige zurückgeschobene Flüchtlinge aufzunehmen.

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