Gestern in der Großraumdisco

Die britische Popband New Order gab im Berliner Tempodrom ihr einziges Konzert in Deutschland

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Mittwochabend gab die Band New Order in Berlin das einzige Deutschland-Konzert ihrer Tournee. Aus diesem Anlass hat nd-Redakteur Thomas Blum eine Liste der 15 Dinge zusammengestellt, die man nicht tun darf, wenn man die britische Popband New Order ist.

Liste der 15 Dinge, die man nicht tun darf, wenn man die britische Popband New Order ist:

1. Man beschallt vor dem Konzert die Zuhörerschaft nicht mit einem stumpf wummerndem Techno-House-Hybrid. Auch dann nicht, wenn der DJ Daniel Miller (»Warm Leatherette«) heißt und ein nicht unerheblicher Teil des Publikums in Jahrmarktstimmung und mit Selfiesknipsen und Herumgrölen beschäftigt ist. Und sich auch sonst ungefähr wie auf Mallorca verhält.

2. Man beginnt, auch und gerade in Berlin, sein Konzert nicht mit auf der Bühnenrückwand gezeigten wackligen Dokumentaraufnahmen aus dem alten Westberlin der 80er Jahre (1.Mai-Demonstranten, Mauer in Kreuzberg, Vermummte, rennende Polizisten, brennende Autos, erste Love-Parade usw.). Und zwar deshalb nicht, weil diese Bilder offenbar nicht anders denn als ranzige Nostalgieerzeuger verwendet werden und als »Berlin-ist-cool/widerständig/subversiv«-Reklame-Images wirken sollen. Die Projektion farbiger geometrischer Formen und abstrakter Muster auf den Bühnenhintergrund geht dagegen in Ordnung.

3. Man macht keine Nostalgie-Show inklusive Kunstnebelschwaden, Stroboskopgeboller und grellbunten Strahlenbündeln aus Angeberscheinweifern. Auch dann nicht, wenn man soeben das erste Studioalbum seit zehn Jahren veröffentlicht hat und deshalb gerne einen auf dicke Eier machen möchte.

4. Man ersetzt nicht Präzision durch Lautstärke.

5. Man stellt nicht mutwillig und ohne Not Stadionrock-Atmosphäre her. Auch dann nicht, wenn man selbst im Lauf der vergangenen 15 Jahre stolz zu einer Art Stadionrockband mutiert ist, die Disco mit Stadionrock erfolgreich zu einer kompakten Einheit verschmurgelt hat.

6. Man überspielt und übertüncht nicht die offensichtliche Tatsache, dass die eigene Musik, sobald versucht wird, sie live zu reproduzieren, im Kern aus übersteuertem Keyboardfiepen und Gitarrenakkorden besteht, die mit dem dumpfen Donnern und Knallen aus Drumcomputern kollidieren.

7. Man macht keine Mitklatsch-Animation. Niemals und unter keinen Umständen. Man unternimmt keinerlei Anstalten, das Publikum durch gestische oder verbale Aufforderungen oder auf andere Weise zum Mitbrüllen und Mitklatschen zu bewegen. Das tut man niemals. Auch dann nicht, wenn man nicht New Order ist. Wobei der Verstoß gegen diese Regel schlimmer ist, wenn man New Order ist, als wenn man Bon Jovi oder Peter Maffay ist.

8. Man singt und tanzt nicht auf der Konzertbühne, wenn man, wie Gitarrist und Sänger Bernard Sumner, nur begrenztes Tanztalent und eine dünne, kaum variable, nölende Stimme hat. Auch durch das bewusste Tragen dunkler, dezenter Kleidungsstücke und eine schön zurechtgefönte Haarfrisur lässt sich in diesem Fall nicht künstlich mehr Würde herstellen.

9. Man erzeugt mit der Gitarre nicht undifferenzierte Laubbläsergeräusche, sondern unternimmt wenigstens den Versuch, gern unter Zuhilfenahme kompetenter Gastmusiker, im Konzert die elastisch federnden Gitarrenklänge zu simulieren, die man von den Studioalben kennt.

10. Man regrediert nicht zur Partyband, schon gar nicht, wenn man früher, zu besseren Zeiten, einmal wunderbare Textzeilen voller Ennui gedichtet hat (»It was Summer / Now it’s Autumn / I don’t know what to say / You don’t care anyway«).

11. Man spielt im Zugabenblock eines Konzerts nicht die bekanntesten Stücke der Band Joy Division in wenig behutsam aufgebrezelten Mitklatsch- und Mitgrölversionen und degradiert sie dergestalt zu Gassenhauern. Auch und vor allem dann nicht, wenn man früher selbst dieser stilprägenden Gruppe angehörte. Man ist nicht Jürgen Drews auf einer Ballermannkaschemmenbühne.

12. Man projiziert während der dargebotenen Zugaben auch nicht ein gefotoshoppt aussehendes Schwarzweiß-Kitschfotoporträt des vor 35 Jahren per Selbstmord aus dem Leben geschiedenen Joy-Division-Sängers Ian Curtis an die Bühnenrückwand, das wie ein überdimensioniertes Heiligenbildchen aussieht. Man blendet auch niemals, unter keinen Umständen, in Leuchtbuchstaben den phänomenal dummen Deppenschriftzug »Joy Division forever« ein. Denn weder ist man zwölf Jahre alt noch eine Joy-Division-Coverband, die in der Sporthalle Oer-Erkenschwick auftritt.

13. Man ignoriert es nicht, wenn Menschen im Publikum beim Erklingen von »Love will tear us apart« Feuerzeuge in die Höhe halten und schwenken. Man unterbindet das. Unverzüglich und mit aller gebotenen Härte des Rechtsstaats.

14. Man beendet das Konzert nicht mit einer lieblos präsentierten, blechern scheppernden Großraumdisco-Version des größten Hits, den man je hatte (»Blue Monday«). Auch dann nicht, wenn über der Bühne ein Discokugel angebracht ist.

15. Man ignoriert nicht das Schamgefühl, das man hat.

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