Riesenspiegel in der Wüste

Göttinger Astrophysiker sind an einer Kamera für ein neues Teleskop in Chile beteiligt. Von Kai Böhne

  • Kai Böhne
  • Lesedauer: 3 Min.

Der erste Spatenstich für das neue Großteleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) war genau genommen eine Sprengung. Am 19. Juni wurde die Bergkuppe des Cerro Armazones, eines 3000 Meter hohen Berges in der chilenischen Atacamawüste, weggesprengt und zu einem Plateau eingeebnet. Die ESO baut derzeit in Chile am European Extremely Large Telescope (E-ELT). Ab 2024 soll von hier das All ins Visier genommen werden. Der Name des Teleskops - übersetzt »extrem großes Teleskop« - wird schon durch die gewaltige Größe des Hauptspiegels gerechtfertigt. Der Spiegel mit 39 Metern Durchmesser wird aus 798 sechseckigen Spiegelelementen zusammengesetzt sein. Damit kann das künftig weltgrößte optische und Nah-Infrarot-Teleskop etwa 15 Mal mehr Licht sammeln als heutige optische Teleskope. Die ESO, ein Zusammenschluss wissenschaftlicher Einrichtungen aus 16 Ländern, betreibt drei einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor.

Ein Herzstück von E-ELT wird die Kamera MICADO (Multi-AO Imaging Camera for Deep Observations) sein. Sie ist ein Präzisionsgerät der Superlative und wurde eigens für das neue Teleskop konzipiert. Die MICADO-Kamera soll eine neue Ära astronomischer Präzisionsmessungen einläuten. Ihr Leistungsvermögen wird genau auf die einzigartigen Eigenschaften des neuen Teleskops abgestimmt. Daneben wird von Instituten aus Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich und den Niederlanden in den kommenden Jahren eine Kamera entwickelt, die beugungsbegrenzte Abbildungen bei Nah-Infrarot-Wellenlängen erlaubt.

Die hohe Empfindlichkeit der Kameras wird es ermöglichen, schwächste Sterne und entfernteste Galaxien nachzuweisen. Ihre beispiellose räumliche Auflösung wird Strukturen und Details in Nebeln und Galaxien aufzeigen, die weit über das hinausgehen, was derzeit möglich ist. Dank der feinen Auflösung der Sternpopulationen in entfernten Galaxien lassen sich Sternentstehungsgeschichte und -entwicklung untersuchen. Und viele astronomische Objekte werden nicht mehr wie bisher statisch erscheinen. Die Messungen der winzigen Bewegungen von Sternen in Sternhaufen werden schwarze Löcher verraten, die sich in diesen Haufen verbergen. Verfolgt man die Bewegungen der Sternhaufen, so erhält man neue Erkenntnisse darüber, wie sich unsere Milchstraße gebildet hat.

An der Entwicklung der Teleskopkomponenten sind auch Astrophysiker der Universität Göttingen beteiligt. »Der Beitrag der Göttinger Astrophysik umfasst insbesondere die Entwicklung, Auslegung, Berechnung und Herstellung der großen und schweren Strukturkomponenten sowie deren Beschaffung in der Industrie«, erklärt Harald Nicklas, Projektleiter Teleskop- und Instrumentenentwicklung am Göttinger Institut für Astrophysik. »Mit dieser Aufgabe geht einher die Verantwortung für die Erdbebensicherheit und -standfestigkeit der Anlage in einem seismisch hochaktiven Gebiet. Diese großen Instrumentenstrukturen schließen ebenso die Anbindung an das Teleskop und dessen optischen Strahlengang mit ein, auf den das Instrument hochgenau ausgerichtet werden muss, um Bildunschärfen zu verhindern, da mit dieser Kamera erstmals weit entfernte Objekte in ihrer vollen dreidimensionalen Dynamik sichtbar werden.«

Daneben sind die Göttinger Astrophysiker auch für die Integration der Energieversorgung, der Kühlung und der Datenverbindung der Kamera in die mitbewegte Teleskop-Plattform verantwortlich.

»Nach der Inbetriebnahme von Teleskop und Kamera im Jahr 2024 werden sich für uns gänzlich neue Beobachtungsmöglichkeiten eröffnen«, erwartet Harald Nicklas.

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