Mittelamerika - verlorene Projektionsfläche linker Ideale?

Ein Sammelband wider die publizistische Randstellung einer Region, in der die einstige Guerilla heute teilweise regiert

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem »Engagiert - resistent - bedroht« ist nach langer Zeit wieder ein länderübergreifender Sammelband zu Mittelamerika erschienen.

Gut eine Generation ist es nun her, dass Mittelamerika im Fokus der Weltöffentlichkeit stand. In den 80er Jahren sorgten die in Nicaragua regierende Sandinistische Front der Nationalen Befreiung (FSLN) und die in El Salvador kämpfende Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) für Solidaritätsbekundungen auf der einen und scharfe Ablehnung auf der anderen Seite.

Die in den beiden Ländern sowie Guatemala von den USA unterstützten Kriege endeten Mitte der 90er Jahre. Doch der Frieden ging in allen Fällen mit einer neoliberalen Wirtschaftspolitik einher, die nichts an den Ursachen der Konflikte änderte und diese teilweise noch verschärfte. 1990 wählte die kriegsmüde Bevölkerung überraschend die FSLN ab, die einstigen Guerillas in Guatemala und El Salvador verwandelten sich in politische Parteien. Heute regieren sowohl FMLN als auch FSLN in ihren Ländern. Während die linke Regierung in El Salvador durchaus einige soziale, wirtschaftliche und demokratische Fortschritte erreicht hat, baute Präsident Daniel Ortega Saavedra die FSLN über die Jahre zu einem »Familienbetrieb« um.

Außerhalb Mittelamerikas hatten sich die meisten engagierten Menschen ohnehin bereits Anfang der 90er Jahre enttäuscht von der Region abgewandt, die als Projektionsfläche eigener Ideale nicht mehr taugte. Lediglich der Putsch in Honduras sorgte 2009 noch mal für zaghafte Mobilisierungen, ansonsten ist es still geworden um Mittelamerika. Publikationen sind in zuletzt vor allem zu einzelnen Ländern erschienen.

Diese Lücke wollen Ina Hilse und Kirstin Büttner schließen. Mit dem Sammelband »Engagiert - resistent - bedroht« streben die beiden Herausgeberinnen an, die »Handlungsspielräume und Perspektiven sozialer Bewegungen in Mittelamerika« zu ergründen. Ausgewiesene LänderexpertInnen widmen sich in ihren Beiträgen Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der zentralamerikanischen Länder. Mit Belize und Panama werden auch Staaten berücksichtigt, die als ehemalige britische Kolonie bzw. früherer Teil Kolumbiens Sonderwege beschritten haben. Neben den Länderporträts widmen sich länderübergreifende Texte Themen wie Religion, Freihandel, Drogenkrieg und Gewalt gegen Frauen.

Angesichts der publizistischen Randstellung, die Zentralamerika mittlerweile einnimmt, bietet der Sammelband einen kompakten Überblick über eine Region, die - von wenigen Ausnahmen wie Costa Rica oder Panama abgesehen - heute zu den ärmsten und gewalttätigsten Regionen der Welt zählt. Entgegen dem Titel des Buches stehen soziale Bewegungen allerdings nicht im Zentrum des Buches. Deren Probleme, Herausforderungen und Perspektiven dienen den Herausgeberinnen aber als Bezugspunkt, »weil wir von einander lernen können und uns politisch aus unterschiedlichen Gesichtspunkten zu einem Thema austauschen können.«

Um diesen Anspruch zu verdeutlichen sind den einzelnen Beiträgen des Sammelbandes »Aussagen von AktivistInnen aus Mittelamerika vorangestellt«. Zusätzlich zu den Zitaten hätten der eine oder andere Beitrag zentralamerikanischer Autor_innen oder Interviews mit AktivistInnen den Sammelband bereichert. Aber auch so bietet das Buch sowohl EinsteigerInnen als auch den einstigen solidarisch Bewegten interessante (Wieder)-Begegnungen mit wichtigen Themen Mittelamerikas.

Ina Hilse/Kirstin Büttner: Engagiert-resistent-bedroht. Handlungsspielräume und Perspektiven sozialer Bewegungen in Mittelamerika, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2015, 212 Seiten, 14,80 €.

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