Entzauberte Inseln

Auf Malta und Sizilien stranden viele Flüchtlinge ohne Zukunftsperspektive

  • Katja Herzberg
  • Lesedauer: 8 Min.

Sein Mittagstisch ist immer gut besucht. Pasta in Tomatensugo mit Schinken oder ohne, Nino kann seinen Gästen nur eine kleine Auswahl bieten und auch das nur Dank der umliegenden Cafeterien, die das Essen spenden. Der umtriebige, kleine Mann versorgt jeden Tag ein paar Dutzend Geflüchtete und Obdachlose in Catania. Während Büroarbeiter und Touristen die Sonne am Tischchen der Bar ihrer Wahl genießen, stellen sich die umherirrenden Migranten bei Nino an.

Durch ein vergittertes Fenster reicht er ihnen die Plastikteller. Und das seit Jahren - Nino ist längst Rentner, kümmert sich aber schon seit den 1980er Jahren um Bedürftige, damals sind die Cavalieri della Mercede hier eingezogen sind. Vor dem Gebäude der kirchlichen Hilfsorganisation in der Via Antonio di Sangiuliano löffeln die jungen Männer das lauwarme Nudelgericht. Es gibt zwar auch einen Aufenthaltsraum, doch darin nicht viel Platz und einen unangenehmen Geruch - die Tür zur Toilette steht offen, aus einem kleinen Raum zum Duschen bahnt sich eine Wasserlache ihren Weg.

Ninos Gäste haben keine Wahl. Die meisten sind Asylsuchende, die mit einem Boot über das Mittelmeer kamen. Am liebsten würden sie weiterziehen, zu Freunden und Verwandten in Nord- und Mitteleuropa, die oft denselben Weg hinter sich haben. Aber sie hängen in der zweitgrößten Stadt Siziliens fest. Lamin, Mumakar, Mohammed - sie sind alle zwischen Anfang und Ende 20, stammen aus Gambia, Guinea Bissau, Senegal oder Cote d’Ivoire. »Wir haben gehofft, in Europa ein sicheres und besseres Leben zu finden. Nun leben wir hier in Catania auf der Straße und es ist sehr schwierig«, sagt Lamin. Die Italiener wollten sie nicht, ließen sie aber auch nicht gehen. Sie haben bei ihrer Ankunft einen Zettel bekommen, in italienischer Sprache. Darauf steht, dass sie binnen einer Woche das Land verlassen müssten. Einen Asylantrag haben sie nicht stellen können, erzählt Lamin, der nun seit vier Wochen ohne Obdach ist. »Am liebsten würde ich mich in den nächsten Zug setzen«, sagt der 21-Jährige in fließendem Englisch - eine von vielen Sprachen, die er beherrscht, auch aufgrund seiner Fluchtgeschichte. Ihre Anwälte haben ihnen jedoch geraten, nicht abzuhauen. Sie alle mussten bei ihrer Ankunft im Hafen ihre Fingerabdrücke abgeben, bei einer Kontrolle droht Lamin und seinen Leidensgenossen die Inhaftierung. So bleibt ihnen nur das Warten, bis sie von der Polizei Dokumente erhalten. Und das kann dauern, berichtet Mohammed, der schon seit acht Monaten in Catania ist. »Ich hatte keine Ahnung, dass es hier so hart und das Verfahren so kompliziert ist«, sagt er.

Nur 80 Kilometer weiter südlich von Catania, im kleinsten EU-Land Malta, haben es die Boatpeople kaum leichter. Der dicht besiedelte Inselstaat nimmt gern zahlungskräftige Menschen und Investoren auf, Flüchtlinge aber nur noch, wenn es unbedingt sein muss. Im vergangenen Jahr waren es 106. Gerüchte um eine Vereinbarung, wonach alle im zentralen Mittelmeer Geretteten nur noch in italienische Häfen gebracht werden sollen, dementieren die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten beider Länder hartnäckig. Klar ist nur, dass auf Malta kein sogenannter Hotspot der EU, also ein Erstaufnahmezentrum zur Registrierung sowie Verteilung oder Abweisung der Ankommenden vorgesehen ist. Dennoch leben viele Asylsuchende in Sammelunterkünften wie dem Marsa Open Centre am Rande eines Industriegebiets nahe der Inselkapitale Valletta.

Erhalten sie eine Aufenthaltserlaubnis, können sie sich - wie Ahmed - eine eigene Wohnung suchen. Vor drei Jahren wurde er von der Küstenwache gerettet und nach Malta gebracht. Am frühen Morgen ist er in der Festungsstadt unterwegs, auf dem Weg zum Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Er begleitet einen jungen Mann, der wie er aus Somalia stammt, und übersetzt dessen Fluchtgeschichte auf Englisch. Einen anderen, regulären Job in Malta zu finden, sei schwer. Der inzwischen 25-Jährige hat Personalwesen und Elektrotechnik studiert. Aber: »Die Firmen geben Leuten wie mir nur niedere Jobs. Zuletzt war ich als assistierender Elektroinstallateur angestellt. Diskriminierung ist hier Alltag.« Mit erstaunlicher Ruhe berichtet Ahmed aus seinem Dasein, in dem ihm am meisten eine Zukunftsperspektive fehlt.

Damit ist er nicht allein. Laut dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) Malta haben sich in den vergangenen drei Monaten mindestens drei Asylsuchende das Leben genommen. »Es ist sehr schwer, sich als Flüchtling, hier etwas aufzubauen. Viele fühlen sich nicht respektiert und als gleichwertige menschliche Wesen behandelt. Das liegt auch daran, dass ihnen die einfachsten Dinge verwehrt werden wie Dokumente«, erklärt JRS-Direktorin Katrine Camilleri die Suizidfälle.

Der JRS sieht sich in Catania aber - schlicht angesichts der höheren Zahl an Flüchtlingen - mit einer krasseren Situation konfrontiert. Allerdings ist die karitative Organisation hier Teil eines sehr engen Netzwerks von Helfern. Ihre Räumlichkeiten liegen direkt um die Ecke von denen der Cavalieri della Mercede und sind wochentags stundenweise geöffnet. Nothilfe leistet nicht nur Nino. Allein seine Einrichtung verfügt neben der Essensausgabe auch über eine Kleiderkammer, eine Apotheke, ein Behandlungszimmer, das ehrenamtlich tätige Ärzte nutzen, und ein Anwaltsbüro. Zudem ist der linke Kulturverband ARCI ganz in der Nähe ansässig. Er organisiert Sprachkurse für die Geflüchteten. Eine Moschee - die größte Süditaliens - ist ebenso nur ein paar Gassen entfernt. Doch ein Dach über dem Kopf kann selbst der Imam nicht allen bieten. Jeden Abend suchen Dutzende Flüchtlinge in Catania einen Schlafplatz.

Die meisten Asylsuchenden kommen seit dem vergangenen Sommer zwar über Griechenland nach Europa, die Zahl der Bootsflüchtlinge im zentralen Mittelmeer ist jedoch kaum zurückgegangen. Dasselbe gilt für die Zahl der Toten - trotz des groß angelegten Militäreinsatzes und vermehrt ziviler Seenotrettungsteams. In den ersten zwei Wochen dieses Jahres sind bereits mehrere Boote mit zusammengenommen über 350 Menschen an Bord zwischen der libyschen und der italienischen Küste aufgegriffen worden. Auch eine Leiche wurde an Land gebracht. Seit dem Jahr 2000, so schätzen Hilfsorganisationen, sind mindestens 22 000 Menschen bei dem Versuch der Überquerung des Mittelmeers ertrunken.

Die, die rechtzeitig gefunden werden, landen nun in der Regel auf Sizilien. Vier Hotspots sollten auf der größten italienischen Insel längst in Betrieb sein. Der Hauptzweck - das Aussortieren jener, die nach Ansicht der Behörden keine Chance auf Anerkennung eines Asylantrages haben, - ist längst Praxis. Das berichten sizilianische Menschenrechtsinitiativen. So komme es seit Monaten immer wieder zu massenhaften Zurückweisungen von Flüchtlingen, sagt Alfonso di Stefano vom Antirassistischen Netzwerk Catania. Der Mittfünfziger kennt die Geschichten von Lamin und Mohammed nur zu gut. Die Sammelunterkünfte seien überbelegt, argumentieren die Behörden. So würden selbst Schwangere einfach auf die Straße gesetzt. Auf die Stadt, aber auch die Vertreter des UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM), ist Alfonso nicht gut zu sprechen. »Die kuschen, zum Beispiel wenn die Polizei junge Männer einfach als volljährig registriert. Sie hätten Anspruch auf besonderen Schutz. Doch den wollen die Beamten nicht gewähren«, sagt Alfonso kopfschüttelnd. Zusammen mit weiteren Aktivisten versucht er, Flüchtlingen schon bei ihrer Ankunft zu helfen, etwa mit Flugblättern zum Thema Grundrechte in der EU und zum Ablauf eines Asylverfahrens. »Wenn Sie um internationalen Schutz bitten wollen, müssen Sie nur Ihren Namen, Vornamen, Geburtsdatum und -ort auf ein Blatt Papier schreiben und hinzufügen: ›Ich bitte um politisches Asyl, weil ich aus einem Land komme, in dem ich gefährdet bin‹«, steht unter anderem in englischer Sprache darauf. Diese Informationen zu geben, sei eigentlich Aufgabe der Mitarbeiter der Grenzschutzagentur Frontex und der italienischen Polizei. Doch die versuchten einzig, vermeintliche »Wirtschaftsflüchtlinge« und Schlepper unter den Menschen auf den Booten auszumachen. Immer wieder fordern Organisationen wie das Antirassistische Netzwerk, Borderline Sicilia und weitere wegen der fragwürdigen Registrierpraxis und der mangelhaften Unterbringung von Flüchtlingen die Stadt, Regionalverwaltung und Frontex zum Handeln auf. Seit Juli 2015 unterhält die Behörde ihren operativen Stützpunkt für die EU-Militärmission »Triton« in Catania.

Um auch überregional auf die Lage der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, organisierten die Initiativen zudem zahlreiche Protestaktionen auf der Insel. Alfonso zeigt mit Stolz die im Büro der Basisgewerkschaften (Cobas) hängenden Plakate zu den Demonstrationen von 2005 und 2006. Das Hauptanliegen damals: die Schließung des Lagers CARA di Mineo. Die ist nicht erfolgt. Die Sammelunterkunft im Landesinneren von Sizilien wird noch immer genutzt, aber sie ist immerhin kein Gefängnis mehr. Die nächste Großdemonstration für einen humanen Umgang mit den Geflüchteten ist nun für den 17. April geplant. »Wenn man sich ansieht, was Länder wie Libanon oder Jordanien leisten müssen, ist es eine Schande für Europa, so mit Schutzsuchenden umzugehen«, sagt Alfonso überzeugt. Doch er kann eine gewisse Frustration nicht verbergen. Seit den 1970ern kenne man hier auf Sizilien das Phänomen der Bootsflüchtlinge. Dass die rechtspopulistische Partei Lega Nord und andere Rassisten versuchen, mit dem Thema Angst zu schüren und eine »Invasion« herbeifantasieren, ist für ihn nur schwer erträglich. »Die Leute hier in Catania nutzen die Migranten ja selbst als billige Arbeitskräfte aus«, ärgert sich Alfonso.

Genau so fühlt sich Ahmed in Malta. Wenn die Lage in Somalia irgendwann wieder stabil ist - wenn er nicht mehr Angst haben muss, von der radikal-islamischen Terrormiliz Al-Shabaab getötet zu werden, weil er damals nicht für sie arbeiten wollte -, Ahmed würde sofort zurückkehren. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus, seine Zukunft bleibt ungewiss. An diesem warmen Tag trägt er ein T-Shirt mit dem Konterfei von Mesut Özil auf der Brust und einem »Germany«-Schriftzug auf der Rückseite. Reiner Zufall, sagt Ahmed. Nach Deutschland wolle er gar nicht. Er hat sich beim UNHCR um einen Platz im Umsiedlungsprogramm mit den USA beworben. Doch am liebsten würde er helfen, seine Stadt Kaimani wieder aufzubauen. »Wir haben dort alles: natürliche Ressourcen, viele gute Menschen und sogar noch besseres Wetter als hier. Viele andere würden auch zurückkommen, da bin ich sicher.«

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