Musik, die irre rebelliert
Claus Guth inszenierte Richard Strauss’ »Salome« an der Deutschen Oper Berlin
Dieser Einakter nach Oscar Wildes gleichnamigem Stück braucht keine Ouvertüre. Dramatik birgt schon der erste Takt der Arie des Hauptmanns Narraboth, dieses Syrers, der die Zisterne bewacht und Salome liebt, wie man nur eine Bienenkönigin in ihrer ganzen Süße lieben kann. Später verzweifelt er derart über die Abirrungen der Salome, dass er sich das Leben nimmt. Oper ohne Tote, ohne blutende Herzen, ohne zerstochene Brüste und abgetrennte Häupter - undenkbar. All das muss Kitzel sein für die Kreise, für die solche Sachen geschrieben worden sind, für die Hochbürgerlichkeit so sehr wie für das nach Tragödien lechzende gemeine Volk. Als Richard Strauss’ »Salome« Anfang des 20. Jahrhunderts herauskam, schrien die Leute vor Verzückung, und halb Europa verlangte nach dem Opus.
Der Syrer muss selbstverschuldet sterben, weil er einem lieblichen Gesicht verfiel, das schreiende, entsetzliche Bedürfnisse verbarg. Regisseur Claus Guth fängt die »Salome« an, indem er eine Gesamtmaske, was immer das sei, etabliert. Auf der angedeuteten Terrasse über die Breite der Bühne, mit Podesten besetzt, singen die Herren zwar, aber der Zuschauer weiß nicht, wer da gerade singt. Von oben kommt das Licht und verdeckt die Hüte und Mäuler (Licht Olaf Freese). Und wenn Bewegung, dann, als bestünde die ganze Personage aus Buratinos. Die Marionettenkunst feiert hier ihre Wiedergeburt. Ihre Eckigkeit frisst sich durch die Aufführung. Das sagt: Die Gesellschaft, die sich hier mit Festen und Ballett begeilt, ist alt, verschroben, böse, mit einem Wort - zu allem fähig. Sie gehöre beseitigt. Die Inszenierung deutet das zumindest an, ohne auf die Gegenwart zu weisen.
Der Tetrarch Herodes, Stiefvater der Salome, ist die übelste Gestalt. Er ist der Salome - tiefschwarz ihre Arien - hinterher. Die hört die Stimme des Jochanaan, verliebt sich in sie und will seinen Mund küssen. Der anarchische Prophet, der unter Lumpen einsitzt, weil er gepredigt hat wider herrschendes Unrecht, der die Mutter Herodias verteufelt, weil sie mitschuldig sei an der bestehenden Unzüchtigkeit, wird zum Fixpunkt der Sinne Salomes und vertieft ihre kranke Liebe zu ihm. Sie tanzt vor Herodes ihren Totentanz und verlangt, da der Prophet sie verstoßen hat, den Kopf desselben, um mit seinem Mund Zwiesprache zu halten.
Claus Guth hat dies böse Szenario sozial genau ins Bild gesetzt, überwiegend beste Sänger zur Verfügung gehabt und mit Muriel Gerstners Arbeit ein Bühnenbild angeboten, das in seiner Starrheit und Dunkelheit einen sinnfälligen Kontrapunkt setzt zu den Eruptionen der Musik.
Strauss’ »Salome«-Musik ist die irrste Komposition, die um die Jahrhundertwende geschaffen worden ist. Derartiges hat jener, die hochbürgerliche Glanzzeit mit funkelnden Wucherungen bedienende Komponist nie mehr wiederholt. Umso bedeutender ist, was hier vorliegt. Eine Partitur, die jäh rebelliert, Musik, die die graue, schon qualmgeschwängerte Luft der Vorkriegszeit durchschneidet wie die Rasierklinge das Auge. Ein raffiniert geformtes und schlagend instrumentiertes Gebilde von geisterhaftem Wesen, voller Unruhe, berstend vor technischer Geistesgegenwart, gipfelnd in blutiger Raserei und endend in fatalen Zusammenbrüchen, dabei dem Erhabenen nicht entsagend. Ein pulsierendes Gewebe mit tief gurgelnden Tuben und Kontrafagotten, überspitzten, krähfüßigen Holzbläsern. Ein Kosmos, dessen unterirdische Kräfte wie die Wildkatze unentwegt auf der Lauer liegen und, noch bevor die Entscheidung fällt, zum Sprung anheben, ja, an die Oberfläche getreten, nicht zögern, die Glut anzufachen und das Feuer auszubreiten, bevor der Kopf fällt. Und wenn dieser fällt, zu brüllen wie der Löwe, um jene Alarmsignale in dem Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen, da Salome die Lippen des von ihrer Hand abgetrennten Kopfes Jochanans küsst. Für ihre von Grund auf sittlich verkommene Familie Anlass genug, ihre perverse Brut umzubringen. Welch blutströmendes Bild, am Ende mit fürchterlicher Stille grundiert. Schade nur, dass Strauss dieses überschießende, auf Überchromatik gründende Kompositionsdenken nur auf halber Flamme fortgeführt hat. Aufs Ganze gegangen, er wäre der große Konkurrent von Arnold Schönberg geworden, der die Konsequenzen gezogen hat.
Ganz auf der Höhe dieser ungeheuren Partitur und der Möglichkeiten der Sängerinnen und Sänger wie der Tänzer das Orchester der Deutschen Oper unter Alain Altinoglu. Leider gelang der Catherine Naglestad als Salome nicht alles. Allzu viel wischte die renommierte US-Amerikanerin über Text und Noten hinweg und verbarg ihre artikulatorischen Schwächen nur unzureichend.
Am Ende kamen die obligatorischen Buhrufe, gerichtet gegen das Inszenierungskollektiv. Das sagt, wie immer, gar nichts.
Nächste Vorstellung am 29. Januar
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