Stiftung in Schieflage

NS-Erinnerungsorte in Sachsen bei Mittelvergabe benachteiligt / Kritik an Geschäftsführer

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gedenkstättenstiftung in Sachsen gibt den Löwenanteil ihrer Mittel an Gedenkorte für die DDR-Zeit. Auch deshalb gerät der Geschäftsführer immer mehr unter Druck.

Ein frühes KZ, Lager für sowjetische Kriegsgefangene, Erinnerungsorte für Zwangsarbeiterinnen, Opfer von Euthanasie und die Wehrmachtsjustiz: Sachsen hat viele Orte, die an Greuel des NS-Regimes erinnern. Ihre Zahl unterscheidet sich kaum von der jener Orte, die politisches Unrecht in sowjetischer Besatzungszone und der DDR benennen. Einen ganz anderen Eindruck vermittelt indes die Mittelvergabe der Gedenkstättenstiftung in Sachsen. Von deren Geldern fließen seit 2013 nur zwischen 13 und 16 Prozent an NS-Gedenkorte. Ein »eklatantes Defizit« nennt das die grüne Kulturpolitikerin Claudia Maicher.

Die Zahlen, die Maicher beim Wissenschaftsministerium erfragte, wecken unschöne Erinnerungen an die »Periode der Beschämung«. So hatte die SPD-Frau Eva-Maria Stange - heute ist sie als Ministerin für die Stiftung zuständig, ein jahrelanges Zerwürfnis in deren Gremien bezeichnet. Der Stiftung wurde eine unzureichende Differenzierung zwischen NS-Diktatur und dem politischen System der DDR zur Last gelegt; Verbände wie der Zentralrat der Juden stellten die Mitarbeit ein. Erst 2012 sorgte ein neues Gesetz für inhaltliche Klarstellung. Zugleich ist festgelegt, dass beide Perioden finanziell ausgewogen zu behandeln sind: In der Satzung steht, es sei eine »angemessene Verteilung« der Gelder zwischen Gedenkorten an NS- und DDR-Zeit »anzustreben«.

Dass dies nicht geschieht, kritisiert Maicher - und beugt auch möglichen Einwänden vor, es würden womöglich nicht genügend Anträge gestellt. Die Stiftung müsse Projekte auch befördern; wenn die Geschäftsführung »etwa wegen der privaten Vorlieben und Meinungen« dazu nicht in der Lage sei, »dann muss sie gehen«.

Mit dieser kaum verhohlenen Forderung nach Rücktritt oder Abberufung verstärkt sich der Druck insbesondere auf Stiftungsgeschäftsführer Siegfried Reiprich. Der Schriftsteller war 2009 insbesondere wegen seiner Vergangenheit als Bürgerrechtler der DDR in das Amt gewählt worden; er war in der DDR wegen seiner kritischen Haltung zwangsexmatrikuliert und ausgebürgert worden. Als er 2010 seine erste fünfjährige Amtsperiode antrat, sprach die damalige Ministerin Sabine von Schorlemer (CDU) aber nicht nur von einem »kompetenten Mann«, sondern nannte Reiprich zudem eine »erfahrene Leitungsperson«. Die Formulierung löst bei Mitarbeitern und ehrenamtlich Engagierten nur noch Sarkasmus aus. Schon 2012 berichtete das »nd« über Fördervereine, die sich von Reiprich missachtet und aus der Arbeit ihrer Gedenkstätte gedrängt fühlten. Wenn heute aus dem Innenleben der Stiftung berichtet wird, ist selten von wissenschaftlicher Arbeit die Rede, um so öfter aber von Abmahnungen. Lokalzeitungen berichteten kürzlich von juristischen Auseinandersetzungen mit Mitarbeiterinnen, denen der Geschäftsführer finanzielle Unregelmäßigkeiten vorwarf. Eine Ex-Mitarbeiterin ertrotzte dagegen aber eine Unterlassungserklärung.

Es sind solche Querelen, mit denen die Stiftung in Erscheinung tritt - oder Vorfälle wie ein Pegida-freundlicher Twitter-Eintrag von Reiprichs Vize Bert Pampel im November, den Maicher ein »unübersehbares Alarmsignal« nennt. Ein solches sind auch Äußerungen etwa von Klaus-Dieter Müller. Der langjährige Stiftungsvize warf Reiprich in der »Dresdner Morgenpost« vor, gar nicht zu »konzentriertem wissenschaftlichen Arbeiten« in der Lage zu sein. Den Soziologen Manfred Wilke, Chef im Förderverein der Gedenkstätte Bautzen, zitiert das Blatt mit der Äußerung, Reiprich sei »nicht mehr tragbar«.

Der von Ministerin Stange geleitete Stiftungsrat hat reagiert und im Dezember die Einsetzung einer Arbeitsgruppe beschlossen. Diese soll bis zur nächsten Sitzung des Gremiums im Mai einen Vorschlag erarbeiten, wie mit »Beschwerdeschreiben der verschiedenen Absender« zu verfahren sei. Das Gremium müsste Reiprich indes auch in Finanzdingen auf die Finger schauen: Laut Satzung beschließt es sowohl den Haushalt als auch Richtlinien für eine »angemessene« Verteilung der Stiftungsgelder.

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