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Ein gutes Jahr zum Sterben

Leo Fischer über den Umgang in den sozialen Netzwerken mit dem Tod berühmter Persönlichkeiten

Es ist ein gutes Jahr zum Sterben. Wie ein betrunkener Bauer läuft der Sensenmann übers Feld des Jahres, kappt die Pflänzchen in ihrer schönsten Blüte, schont auch die Besten nicht. Dahingerafft sind Hilary Putnam, Guido Westerwelle und Nicolas Harnoncourt; entleibt Wolfgang Nitsch und Hansrudi Wäscher. Verweht hat der Wind den Staub von Antonin Scalia, Roger Willemsen und Helmut Zyla. Die Lords Alan Rickmann, George Weidenfeld, David Bowie und Achim Mentzel, sie sind nicht mehr, zerstört und zerschmettert selbst Umberto Eco, Harper Lee und Edzard Würstchendörfer.

Es ist ein Schnitter, der heißt Tod; es ist ein Bookerl, das heißt Face. Je fleißiger diesseits gestorben wird, umso lauter die Klage im Jenseits der Sozialnetzwerker. Die Nutzer, sie hüllen ihre Profile in Schwarz oder Nationalfarben, kramen Anekdoten aus und raunen einander erregt die neuesten Tode zu wie uralte Klatschweiber. Jeder Tote ist dankbarer Anlass, aus dem immer gleichen Einerlei von Tier- und Futterfotos auszubrechen: Die einen können demonstrieren, dass auch sie zu tief empfundenem Gram in der Lage sind, die anderen können sich als zynische Knochen inszenieren, deren Biss auch vorm Grabesschlund nicht weicht.

Wann hat das angefangen? Wohl mit Loriot. Nie wurde so hart und lang um einen geweint, wie um den beliebten Spaßmacher. Der Pomp funèbre war höchstens mit einem Mitglied des britischen Königshauses zu vergleichen. Am liebsten hätten sie ihn wohl zu ewigem Leben verdammt, den armen, stets so bescheiden auftretenden Knollnasenaffen, so schwarz war das Feuilleton, wochenlang. Seither ist die Trauerlust schier endlos.

Dass Guido Westerwelle wie keiner vor ihm die Entrechtung der Arbeitnehmer betrieb, Hartz-IV-Empfänger als dekadente Zivilisationszerstörer abfertigte und den Gastwirten gleich zu Regierungsantritt Steuermillionen überwies - vergessen angesichts der persönlichen Tragödie. Schon werden dem doch vergleichsweise unbekannten Roger Cicero noch ganze Nachrufe hinterhergeworfen. Fast scheint es, dass das Publikum, welches die Promis zuvor nach Belieben vor sich hertrieb, nicht so sehr um deren Verlust trauert, sondern um die Verfügungsgewalt über sie. Jetzt, wo sie tot sind, lassen sie sich nicht mehr rauf- und runterwählen, hypen oder in den Dschungel schicken. So wäre die Trauer nicht mehr als der versteckte Hass der Gefangenen auf die Davongekommenen.

Fast beneidet man diejenigen, die ihren finalen Quotenexit geschafft haben - sie müssen wenigstens ihre eigenen Nachrufe nicht mehr lesen.

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