Arbeitsrechte nur auf dem Papier

Sozialdumping in Deutschland vor allem durch das System des Subunternehmertums

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir fühlten uns wie in einem Arbeitslager. Die Unterkunft war schmutzig. An den Wänden war Schimmel.« Ein polnisches Ehepaar berichtet in dem Dokumentarfilm »Der Fleischalbtraum« über ihre Erfahrungen an einer Arbeitsstelle in der Nähe von Leipzig. Nach einer Zwölf-Stunden-Schicht in der Fleischverarbeitungsfabrik sollten sie noch Überstunden machen, Krankschreiben wurde mit Lohnabzug bestraft, und als ein Beschäftigter kündigte, wurde er verprügelt.

In dem Film von Magdalena Pięta-Stritzke und Michał Talarek, der am Samstag im Roten Rathaus Berlins Deutschlandpremiere hatte, berichten auch weitere Betroffene über Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus. Nach der Vorführung wurde der Bericht »Sozialdumping durch Subunternehmertum« vorgestellt. Die vom polnischen Sozialrat im Rahmen des EU-Projektes »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« erstellte Studie macht deutlich, dass den polnischen Beschäftigen Rechte verweigert werden, die sie als EU-Bürger eigentlich besitzen. Auch wenn die Rechtsverstöße nicht immer ein Ausmaß annehmen, wie es im Dokumentarfilm geschildert wird, so sind sie doch für die Betroffenen gravierend. Überstunden, Arbeitshetze, Dumpinglöhne und ein schlechtes Arbeitsklima gehören zu den Klagen.

Kamila Schöll-Mazurek, Politikwissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), sieht die Gründe für die Diskriminierungen in einen fragmentierten Arbeitsmarkt in Deutschland. Das System der Scheinselbstständigkeit und der Subunternehmen habe bei der Etablierung schlecht bezahlter Arbeitsplätze eine besondere Bedeutung. In der Praxis werde es damit Beschäftigten schwer gemacht, ihre Rechte durchzusetzen, so die Wissenschaftlerin, die an der EU-Studie mitgewirkt hat. So bekamen Kollegen trotz gewonnener Lohnbetrugsprozesse ihr Geld nicht, weil die Subunternehmen Insolvenz anmeldeten. Mehrmals in der Debatte wurde an den Kampf der rumänischen Bauarbeiter erinnert, die bei der Errichtung des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« um große Teile ihres Lohns betrogen wurden und trotz Öffentlichkeitskampagnen und gewonnener Prozesse bisher leer ausgingen.

Jochen Empen vom DGB-Projekt »Faire Mobilität« forderte als zentrale Maßnahme, um die Diskriminierung der Beschäftigten zumindest zu minimieren, eine transnationale Strafverfolgung. Diese solle es ermöglichen, Unternehmen bei Verstößen gegen die Arbeitsrechte über die Grenzen hinweg juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Als weiteren Schritt zur Eindämmung von Diskriminierung und Lohnbetrug wird die Kettenhaftung der Unternehmen genannt. Vor allem in der Bauwirtschaft könne die verhindern, dass Beschäftigte ihren Lohn nie bekommen, weil die Subunternehmen Pleite gehen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für die entgangenen Löhne haften.

In der anschließenden Diskussion wurde gefordert, dass die Unternehmen verpflichtet werden, Rücklagen zu bilden, damit die Löhne der Beschäftigten gesichert sind. In Österreich sind solche Gesetze bereits in Kraft, in Deutschland hat die Diskussion darüber mit Betroffenen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erst begonnen. Doch viel wird auch davon abhängen, ob sich mehr Betroffene gewerkschaftlich organisieren und gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren.

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