In allen vier Jahrzehnten präsent

Eine bemerkenswerte Enzyklopädie - über DDR-Filme, die die Verfolgung und Ermordung der Juden in der NS-Zeit anklagten

  • Günter Agde
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein bemerkenswertes Buch - nicht zur schnellen Lektüre bestimmt, sondern zum Blättern, Nachschlagen, Nachdenken und Weiterrecherchieren. In tausend Textbeiträgen inventarisierte die Filmhistorikerin Elke Schieber Darstellung jüdischen Lebens und Anklage faschistischen Judenmords »in den audiovisuellen Medien der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR«, wie es etwas sperrig im Untertitel heißt.

Die Autorin referiert Kino- und Fernsehfilme sowie die enorm zahlreichen publizistischen Beiträge in der Wochenschau »Der Augenzeuge«, in TV-Magazinen, Sondersendungen und Reports - sachlich und nüchtern, die Fakten sollen sprechen. Natürlich erwähnt sie Kurt Maetzigs Spielfilm »Ehe im Schatten« (1947), den ersten deutschen Film zum Thema. Und sie lässt keinen der folgenden Filme aus - von Frank Beyers »Jakob der Lügner« (1974, nach Jurek Beckers Roman) bis zu »Esther« (1980, Regie Robert Trösch, nach einer Novelle von Bruno Apitz). Sie erfasste auch publizistische Nebenschauplätze wie den »Schwarzen Kanal« und bezog ebenso studentische Arbeiten der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg mit ein. Den Filmtiteln fügte sie die nötigen Stabangaben hinzu, Personalia, Sende- und Aufführungsdaten sowie kurze Annotationen zu den Inhalten.

Schiebers Rapport macht deutlich, wie umfassend und wie kontinuierlich das schwierige und weit verzweigte Thema in allen Bereichen audiovisueller Produktion in allen vier DDR-Jahrzehnten präsent war. Wer heute die These vom »verordneten Antifaschismus« in der DDR vertritt, der zudem Judenverfolgung und Judenmord unterm Hakenkreuz ausgeklammert habe, kann sich hier vom Gegenteil überzeugen - so er willens ist. Und dies zumindest hinsichtlich Film und Fernsehen der DDR. Freilich, er sollte sich auch die Mühe machen, wenigstens stichprobenartig die aufgelisteten Beiträge anzusehen. Viele der Filme sind mittlerweile auf DVD erhältlich und digitalisiert - und dies in bester optischer Qualität (dank der DEFA-Stiftung.) Fündig wird man auch im Deutschen Rundfunkarchiv in Babelsberg, das alle erhaltenen Sendungen des DDR-Fernsehens aufbewahrt, aber auch bei YouTube und generell auf dem schier unbegrenzten Internetmarkt.

Die Methode des Inventars schließt aus, was es alles an Plänen, an Nichtrealisiertem oder auch an Verhindertem zum Thema gab und was alles als unveröffentlichte Schriften in den Archiven lagert. Das bleibt wohl einstweilen noch im Verborgenen, leider. Die Enzyklopädie lädt jedenfalls explizit dazu ein, sich die Filme selbst anzuschauen. Erfahrungsgemäß wird man dabei viel Unerwartetes und Neues, auch Spezifisches entdecken, das kein noch so guter Text beschreiben kann.

Zum Beispiel die erste Gesamtberliner Antifa-Kundgebung nach dem Krieg im Berliner Lustgarten, über die ein großer Beitrag in der Wochenschau »Der Augenzeuge« (Nr. 21/ 1946, 2. Sujet) berichtete. Die Säulenvorhalle des Alten Museums war mit den Fahnen der »Opferländer« zugehängt, darunter auch die Fahne mit dem Davidstern, die zwei Jahre später zur Flagge des Staates Israel wurde - alle gleich groß und also gleichberechtigt. Diese bildliche Gleichberechtigung, die ja auch eine politische Anerkennung artikuliert, verschwand später aus Filmsequenzen wie auch aus dem öffentlichen Raum in der DDR - Indiz für einen außenpolitischen Wandel. Oder jene atemberaubende Einführung in den Fernsehvierteiler »Die Bilder des Zeugen Schattmann« (1972, nach Peter Edels Roman, Regie Kurt Jung-Alsen): Familie und Freunde nehmen mit einem großen, melancholisch- zeremoniellen Abendessen nach jüdischem Brauch Abschied von einem, der am nächsten Tag nach Theresienstadt deportiert werden soll.

Hauptfeld des medialen Umgangs in der DDR blieb der deutsche Faschismus in all seinen Facetten und mit seinen verheerenden Folgen. Schieber bietet auch eine Übersicht über die Nachkriegsauseinandersetzungen mit diversen Formen des Neofaschismus - in beiden deutschen Staaten. Für die DDR-Medien war lange Zeit die Hauptreizperson Globke, der Kommentator der NS-Rassengesetze und später Adenauers Staatssekretär. Da lief die SED-»Konterpropaganda« zu übergroßer Schärfe und auch zu Unsachlichkeiten auf. Amüsant zu beobachten ist mittlerweile, dass die historische Aufarbeitung mancher bundesdeutscher Behörden vielen damaligen DDR-Argumenten - trotz mancher Kritik im Detail - letztlich Recht geben muss. Konsequenterweise bezieht Schieber auch die DDR-Berichterstattung über den Nahostkonflikt mit ein, die von einer »Klassenauseinandersetzung« sprach, die von »imperialistischen Regierungen und monopolistischen Ausbeuterinteressen« diktiert sei. Mit dieser offiziellen SED-Version, verbunden mit bedingungsloser Parteinahme für die PLO, was mit den außenpolitischen Intentionen Moskaus einherging, wurden wichtige reale Konflikte verschwiegen.

Die Enzyklopädie gehört in die Handbibliothek eines jeden, der sich mit dem medialen Umgang mit Faschismus und Judenmord befasst.

Elke Schieber: Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Bertz + Fischer Verlag, Berlin. , 692 S., geb., 29 €.

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