Taliban und Wunschdenken

Präsident Ghanis Flucht in Durchhalteparolen

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Taliban haben sich zum Anschlag auf das Gelände der internationalen Hilfsorganisation Care in der afghanischen Hauptstadt Kabul bekannt. Bewaffnete hatten am Montagabend den Komplex, zu dem auch ein Gästehaus gehört, im Zentrum Kabuls angegriffen und sich ein mehr als elf Stunden dauerndes Gefecht mit Soldaten geliefert. Dabei waren drei Angreifer getötet worden.

Das Care-Gelände sei nur als Gästehaus getarnt und in Wahrheit ein »Beratungs- und Planungszentrum von Geheimdiensten«, hieß es auf einer Taliban-Webseite am Dienstagabend. Die Aufständischen, so teilten sie selbst mit, hätten das Gelände während der vergangenen drei Monate observiert.

Staatspräsident Ashraf Ghani hatte, wie stets nach Attacken der Taliban in einer großen Stadt, die Taten verurteilt und den Angehörigen der Opfer öffentlich sein Mitgefühl ausgesprochen. Geschieht Ähnliches in abgelegenen Regionen des Landes, wo kaum mit ausländischen Medien gerechnet werden muss, die davon etwas mitbekommen, werden auch blutigste Ereignisse häufig verschwiegen bzw. erst eingeräumt, wenn sie nicht mehr zu leugnen sind.

In Kabul ist das kaum möglich. Also ergreift Ghani notgedrungen die Gelegenheit zur Vermittlung von Durchhalteparolen, gemischt mit Pathos. Nach dem Angriff auf Care erklärte er: »Die Feinde von Afghanistan haben ihre Fähigkeit verloren, die Sicherheits- und Verteidigungstruppen des Landes zu bekämpfen. Das ist der Grund, warum sie Straßen, Städte, Moscheen, Schulen und einfache Leute angreifen.«

Glaubwürdiger hat ihn das in den Augen der Afghanen nicht gemacht. Auch deshalb, weil jeder weiß, dass die Taliban derzeit in mehreren Landesteilen in der Offensive sind. Die afghanische Armee bereitet sich derzeit darauf vor, eine Taliban-Offensive zur Eroberung von Laschkar Gah, der Hauptstadt der südlichen Provinz Helmand, abzuwehren.

Die Taktik der Wirklichkeitsverdrängung scheint allerdings in Afghanistan kein Alleinstellungsmerkmal der Regierung zu sein. Auch die US-Streitkräfte, die noch immer mit fast 10 000 Militärangehörigen in dem Land am Hindukusch stehen, sind bemüht, die Situation schönzureden. Trotz der steigenden Opferzahlen im Krieg gegen die Taliban heißt es aus dem Pentagon, die afghanischen Streitkräfte seien auf dem richtigen Weg. »Alles in allem denken wir noch immer, dass die Leistung der Afghanen in diesem Jahr besser ist als im vergangenen Jahr«, sagte Brigadegeneral Charles Cleveland vorige Woche in einer Telefonkonferenz mit Journalisten.

Die Taliban hätten zuletzt lediglich örtlich und meist nur zeitlich begrenzt Erfolge erzielt. »Sie stellen sicherlich eine Gefahr für die Regierung Afghanistans dar, aber aus unserer Sicht werden ihre Fähigkeiten etwas überschätzt«, sagte Cleveland weiter. Die Taliban hätten mit Führungsproblemen, Geldmangel und internen Differenzen zu kämpfen. Ghani wünschte sicher, der General hätte damit recht. dpa/roe

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