Stolz und selbstbewusst mittenmang

Die Neue Synagoge lädt zu ihrem 150. Geburtstag die Berliner und ihre Gäste zum gemeinsamen Feiern ein

»Tuet auf die Pforten«, lautet die hebräische Inschrift über den Portalen der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße. Ein Ausspruch mit Anspruch. Die Juden Berlins verstanden und verstehen sich als der deutschen Gesellschaft zugehörig und zugleich weltoffen und tolerant.

150 Jahre hat die Neue Synagoge auf dem Buckel. Man sieht es ihr nicht an. Stolz und selbstbewusst, wuchtig und grazil zugleich, mit ihrer weithin strahlenden goldenen Kuppel ist sie die schönste Synagoge Deutschlands. Und zu Recht der Stolz der Jüdischen Gemeinde Berlins. Über Jahrzehnte indes bot sie einen traurigen Anblick. Es barmte einen, als man in den frühen 1980er Jahren auf dem Weg von der Studentenbude zur Humboldt-Universität täglich an ihr vorbeikam: eine traurige Ruine, gott- und menschenverlassen. Aus Mauerritzen wucherte Unkraut, im Sommer lugten Gänseblümchen keck hervor. Das geschundene, enthauptete Bauwerk war einige Schritte lang vertrauter Wegbegleiter, der zu stillem Zwiegespräch einlud (»Hallo, altes Haus ...«) Eine Verneigung vor einem ehrwürdigen Zeitzeugen. Gern wäre man eingetreten. Jedoch: Betreten verboten. Einsturzgefahr.

Im November 1943 ist die Synagoge Opfer eines alliierten Bombenangriffs auf die faschistische Reichshauptstadt geworden. Das bekannte Foto mit dem brennenden Gotteshaus ist damals aufgenommen worden. Und nicht, wie lange Zeit und teils noch heute in Medien suggeriert wird, in der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938. Zwar drang in jener Nacht wütender Mob auch in das Gotteshaus in der Oranienburger Straße ein, um sich auszutoben, sinnlose Zerstörung zu hinterlassen. SA-Männer zündelten im Eingangsportal. Doch das Feuer konnte gelöscht werden. Dank beherzten Einschreitens des Polizeioberleutnants Wilhelm Krützfeld. So blieb der Neuen Synagoge in Berlin das Schicksal ihrer Schwestern in anderen deutschen Städten erspart, die in der »Reichskristallnacht«, wie die NS-Propaganda euphemistisch tönte, bis auf die Grundmauern niedergebrannt sind. Der mutige Reviervorsteher wurde von den Nazis abgestraft, versetzt und vor seiner Zeit pensioniert. Am 30. März 1940 fand in der Neuen Synagoge der letzte Gottesdienst statt.

Die Neue Synagoge war steingewordener Ausdruck eines Mitte des 19. Jahrhunderts gestärkten Selbstvertrauens in Folge einer seit dem preußischen Judenedikt von 1812 sukzessiv zunehmenden, Zuversicht nährenden Emanzipation und Assimilation. Die Jüdischen Gemeinde Berlins erstarkte zahlenmäßig, die Große (Alte) Synagoge in der Heidereutergasse war alsbald zu klein für die wachsende Schar der Gläubigen. Auch ein Aus- und Umbau durch Eduard Knoblauch genügte schließlich nicht mehr dem regen Zuspruch. Der renommierte Architekt (nicht mosaischen Glaubens) wurde daher mit dem Bau einer neuen Synagoge beauftragt, die den »veränderten Verhältnissen, der Größe, der Bedeutung und dem Reichthum der Jüdischen Gemeinde Berlins« entsprechen sollte.

Am 17. Mai 1859 erfolgte der erste Spatenstich. Zwei Jahre später wurde Richtfest gefeiert. Und am 5. September 1866 war es so weit. Das neue Gotteshaus wurde feierlich in Anwesenheit der städtischen Honoratoren, weltlicher und geistlicher, einschließlich des preußischen Potentatenpaars eingeweiht.

Die Neue Synagoge war in einem von Juden seit Alters her dicht besiedelten Stadtteil erstanden, umringt von zahlreichen und vielfältigsten jüdischen Einrichtungen. Die Hauptstädter bewunderten den maurischen Baustil des imposanten Sakralbaus, für dessen Vollendung nach dem Tod von Knoblauch 1865 Friedrich August Stüler verantwortlich zeichnete. Orientalisches Ambiente, exotischer Habitus war dazumal schwer angesagt. Das prachtvolle, reich verzierte Gebäude, vor allem die hoch in den Himmel ragende, vom Davidstern gekrönte Goldkuppel empfanden nur eingefleischte Antisemiten als provokant.

Die kriegsbeschädigte Kuppel wurde in den 1950er Jahren - aus Sicherheitsgründen - zum Einsturz gebracht. In den 1960er Jahren bat die kleine Ostberliner Gemeinde die DDR-Regierung, »das Gotteshaus als Erinnerung und Mahnung für alle Zeiten zu erhalten« und ein jüdisches Museum zu errichten. Es mussten jedoch noch zwei Dezennien verstreichen, ehe der Wunsch in Erfüllung ging. Im Juli 1988 wurde die Stiftung »Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum« ins Leben gerufen. Und am 9. November 1988, ein halbes Jahrhundert nach dem Novemberpogrom, im Beisein von Erich Honecker symbolisch der Grundstein gelegt. Am gleichen Tag, als »Neues Deutschland« darüber auf Seite 1 und umlaufend berichtete, vermeldete das Organ des Zentralkomitees der SED auch einen Skandal in Bonn: Bundestagspräsident Philipp Jenninger hatte sich in seiner Rede zum Jahrestag des Pogroms in die Gefühlslage der Täter, Mittäter und Mitläufer unterm Hakenkreuz zu versetzen versucht, dabei Nazijargon nutzend. Am 11. November 1988 informierte ND außerdem ausführlich über die Konstituierung eines Internationalen Kuratoriums zur Förderung des Wiederaufbaus der Neuen Synagoge, mit Siegmund Rotstein an der Spitze, der als Kind das faschistische Konzentrationslager Theresienstadt erlitt.

Inzwischen hat der Gründungsdirektor der Stiftung »Neuen Synagoge Berlin - Centrum Judaicum«, Hermann Simon, Sohn von Shoah-Überlebenden, das Haus in der Oranienburger Straße in eine erste Adresse, eine international renommierte Begegnungs-, Kultur- und Forschungsstätte verwandelt. Die bis dato über 80 dort gezeigten Ausstellungen wurden von mehr als drei Millionen Menschen aus In- und Ausland besucht. Im vergangenen Jahr legte der Historiker und Herausgeber u. a. der Publikationsreihen »Jüdische Miniaturen« und »Jüdische Memoiren« legte die Leitung der Stiftung in die Hände von Anja Siegemund.

Selbstredend war Simon am vergangenen Montag dabei, als 150 Jahre Neue Synagoge mit der Eröffnung einer neuen Exposition - »mittenmang und tolerant« - begangen wurde. Die Tafeln vor den Portalen vermitteln einen knappen historischen Abriss bis in die Jetztzeit. »Wir wollen mittenmang sein«, erklärte Simon. »Wir wollen uns einmischen, wir wollen zeigen, dass jüdisches Leben trotz aller Widrigkeiten möglich ist.« Der akribische Chronist wusste an diesem strahlend schönen Spätsommermontag zudem mitzuteilen, dass es anno domini 1866 heftig regnete und hagelte. Das ungemütliche Wetter habe die Erhabenheit des Augenblicks, die feierliche Weihung der Neuen Synagoge jedoch nicht trüben können.

Mittenmang und tolerant heißt auch, nicht einsam und allein zu feiern. Gemäß der Inschrift »Tuet auf die Pforten« lädt die Stiftung an diesem Sonntag die Berliner und ihre Gäste zu einem ganztägigen Fest ein, im Rahmen des Tages des offenen Denkmals. Und am Tag der Mahnung und Erinnerung. Geboten werden synagogale Musik von einst bis heute, interpretiert von Solisten und Chören aus Berlin und London sowie dem Abraham Geiger Kolleg. Es gibt Lesungen und Filmvorführungen (»Im Himmel, unter der Erde«; »Oma & Bella«; »Rabbi Wolff«). Erstmals gezeigt werden Dokumentaraufnahmen von der Ruine der Neuen Synagoge aus dem Jahr 1986. Kindern und Erwachsenen wird Rabbinerin Gesa Ederberg Fragen zur jüdischen Geschichte, Religion und Kultur beantworten. Der rote Teppich ist seit Montag ausgerollt.

Neue Synagoge, Oranienburger Str. 28-30, Mitte, 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei; Zeit für Sicherheitskontrollen ist einzuplanen, es wird gebeten, keine großen Gepäckstücke mitbringen.

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