Lada knacken, erwachsen werden

Wolfgang Herrndorfs großer Roman »Tschick« läuft als Adaption nun auch im Kino

Vielleicht war es keine gute Idee, das Buch so kurz vor dem Filmstart noch einmal zu lesen. Die Angst ist groß nach der Lektüre, dass einem die so klar von Herrndorf in den Kopf hineingeschriebenen Bilder wieder geklaut und durch andere, falsche, missverstandene, ersetzt werden. Das ist das Schicksal vieler Romanadaptionen fürs Kino, sicher. »Tschick«, ein Roman, der lange brauchte, bevor über zwei Millionen Menschen in Deutschland erkannten, wie wertvoll er ist. Die Faszination mag daher rühren, dass die Zeit der verquollenen Poren, triefenden Körper und unglücklichen Lieben jeder miterlebt und miterlitten hat und Herrndorf das ganze Elend in eine Sprache übersetzte, die die Pubertät im Nachhinein fast erträglich erscheinen lässt. Meistens wandeln sich solche Bucherfolge vom Rotwein, der sie gewesen sind, zum Fischstäbchen. Egal, was übrig ist, es wird was draus gemacht. »Tschick« ist das meistgespielte Theaterstück Deutschlands und das war auch unumgänglich, bei der Bilderwut, die die Herrndorfsche Sprache liefert und seiner Liebe zu den Hauptfiguren, die so ganz allein auf der Welt scheinen.

Scharf sieht man dann auch das sauteure weiße Einfamilienhaus der Klingenbergs mit der sauteuren weißen Küche auf einer Marzahner Wiese stehen und den blauen Lada Niva durch die Maisfelder rauschen. So sehr knistert es, als Maik und Tschick auf die verwahrloste Isa treffen und so endzeitlich ist die Stimmung, als am Ende der Schweinelaster auf der Autobahn umkippt und das rosa Fleisch nur noch Matsch ist.

Herrndorf selbst hatte für eine Mitarbeit am Drehbuch keine Kraft mehr. Es dauerte nicht lange, schon kurz nach der Veröffentlichung des Romans im Jahr 2010 kamen die ersten Anfragen zu Filmrechten beim Rowohlt Verlag an. Herrndorf, der sich 2013 das Leben nahm, war da schon sehr krank. Er hasste die deutsche Comedy und »Tschick« sollte von ihr nicht »verhackstückt« werden, das war seine einzige Bedingung, zu der er noch die Kraft hatte, sie zu äußern. Eine Wichtige. Damit eng verknüpft die Forderung, Lars Hubrich, ein Freund und Autor, sollte das Drehbuch schreiben. Er tat es, musste aber, nachdem Fatih Akin die Regie übernahm, weil der eigentlich vorgesehene Regisseur David Wnendt (»Er ist wieder da«, »Feuchtgebiete«) aufgrund von Terminproblemen (so ist das Business), plötzlich keine Zeit mehr hatte, das Geschriebene noch einmal ordentlich überarbeiten.

Akin (Gegen die Wand, Soul Kitchen) ist wohl die beste aller möglichen Alternativen für die Verfilmung dieses Stoffes. Rock›n‹Roll ist das Buch und Rock›n‹Roll ist auch Akin. Ein anderer hätte sich vielleicht zuerst der Sprache angenommen, hätte »Fotze«, »ficken«, »Mongo« gestrichen, damit die Anschlussfähigkeit an ein Publikum gewahrt bleibt, das aus den Ferien kommt und als letztes Emma Schweiger in »Conni und Co.« gesehen hat. Er hätte als nächstes solche Szenen geopfert wie diese, in der Tschick vor versammelter Klasse, weil schon wieder betrunken, einem Mitschüler auf den Tisch kotzt. Ein anderer wäre vielleicht nicht auf die Idee gekommen, in Abwandlung der James-Bond-Fantasie, die Maik im Roman entwickelt, als der Vater mit seiner neuen Flamme auftaucht, um sie zum »geschäftlichen Treffen« mitzunehmen, den 14-jährigen Jungen eine Gewaltfantasie ausleben zu lassen, in der er aus dem Pool heraus den beiden Turteltauben von hinten in den Rücken ballert und das Blut nur so zu allen Seiten spritzt.

Akin hat ein gutes Gespür für die Isoliertheit, die Maik und der Spätaussiedlersohn Tschick in ihrer angepassten Umwelt erleben. Er lässt ihnen ihre pubertären Unsicherheiten, die Traurigkeit, als sonnenklar wird, dass sie nicht dazugehören, weil sie die Einzigen sind, die nicht zur Party des Jahres kommen dürfen, genauso aber ihre herrlich bockige Rotzigkeit dazu.

Anand Batbileg, der den Tschick spielt, stand zum ersten Mal überhaupt vor einer Kamera. Er und Tristan Göbel als Maik Klingenberg waren beide 13 Jahre alt, als der Film gedreht wurde. Beide schaffen es, die Furchtlosigkeit, mit der Tschick und Maik sich aus der ihnen feindlich gesinnten Umgebung befreien, aus dem Buch heraufzubeschwören. Man kauft ihnen die Zwanglosigkeit ab, die sie empfinden, als sie mitten in der Brandenburger Pampa Tiefkühlpizzen durch die Gegend werfen, weil die mit dem Feuerzeug nicht warm zu kriegen sind und wie sehr sie sich verloren fühlen, als sie sich auf der Flucht vor einem Dorfpolizisten aus den Augen verlieren. Herrndorfs Sprache lebt im Film durch kommentierende Voice-Over weiter und es ist gut, dass Akin sich für diese Variante entschieden hat, weil einige Dialoge des Drehbuchs es nicht schaffen, Maiks umwerfend lakonischen Witz einzufangen (im Buch heißt es einmal zum Lehrer Wagenbach, der Maik vor der gesamten Klasse lächerlich macht: »Ich glaube, er wäre wahnsinnig gerne Schauspieler geworden oder Kabarettist. Aber es hatte nur zum Arschloch gereicht.«).

Was nervt, ist - wo auch immer dieses Dogma festgeschrieben sei - der gestalterische Zwang, Roadmovies mit möglichst fetziger Musik unterlegen zu müssen. So kommt der Film nicht ohne lange Kamerafahrten über Maisfelder aus, zu denen Seeed und K.I.Z läuft, die der wunderbar grausamen »Ballade pour Adeline« von Richard Clayderman schlichtweg die verdiente Schau stehlen, weil der ironische Bruch im Popnachhall untergeht.

Dass Akin etliches aus dem Roman nicht übernommen hat, kann man ihm schlecht vorwerfen. Den Fokus, den er wählte, schon. Zwar tauchen alle Nebenfiguren auf der Reise im geknackten Lada auf, die man schmerzlich vermisst hätte (es gibt die Risi-Pisi-Familie, genauso wie den Segelschuh- und Perlenkettenverein »Adel auf dem Radel«), verschrecken wird er aber jene, die das Buch als Hommage an jugendlichen Optimismus gelesen haben, die den Teil im Buch für wichtig hielten, in dem Maik rückblickend erzählt, dass er nicht mehr daran glauben will, was sein Vater ihm einbläute, nämlich, dass der Mensch sich selbst der größte Feind ist und die Beschissenheit der Dinge das Leben bestimmt. Akin, selbst die menschgewordene Lederjacke mit Nieten, wollte den »Montessori-Quatsch« nicht in den Mittelpunkt rücken, lieber das Leiden eines Jungen verfilmen, der unsterblich verliebt ist in die Klassenschönheit mit Mangaaugen, in Tatjana, die »taube Nuss« (Tschick). Und das alles, weil Akin selbst mit 14 Jahren mal unglücklich verliebt war und abserviert wurde, wie er dieser Zeitung sagte (nd vom 7.9.2016). Und so bleibt ein Teil der Empathie, die Herrndorf für die Außenseiter dieser Welt übrig hatte, auf der Strecke. Am Ende muss Maik, den diese absurde Tour emotional dauerimprägnierte, im Film den Starken geben. Auf die aufgeregte Nachfrage Tatjanas, die ihn das Schuljahr über mit Ignoranz bestrafte, wo er gewesen sei, antwortet Maik eiskalt: »Walachei«. Im Buch ist er selbst nach diesem irren Trip, auf der er fast angeschossen, vergiftet und entjungfert worden wäre, immer noch aufgeregt, als Tatjana ihm im Unterricht einen Zettel zusteckt. Es war wohltuend, dass aus diesem Gerade-noch-Kind, nach einem Sommer kein erwachsener Drübersteher geworden war.

»Tschick«, das war ein Buch, zu dem Wolfgang Herrndorf einmal folgenden Brief erhielt: »Eigentlich hasse ich es, Bücher zu lesen, aber das hier hat mir Spaß gemacht. Das ist auch das Beste, was ich gelesen habe, aber ich habe eh nur 2 gelesen. Das andere war aber scheiße.« Fatih Akin hat es geschafft, dass von diesem Roman das Wesentliche übrig geblieben ist: Das Traurige und das Komische sind meistens gleichzeitig wahr. Endbescheuert, würde Maik sagen.

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