Sonnenseite: ein Schatten

Zum Tod des Schauspielers Manfred Krug

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Utopie in einem Kopf ist nicht automatisch das, was die Hände tun. Viel konnte den Gestalten Manfred Krugs übern Kopf und übers Herz wachsen, aber kaum was übers Maul. Aufreizend leicht glitt bei diesem Schauspieler Sanftheit ins Ironische, ohne je den menschlichen Grund zu vergessen – humanster Zynismus sozusagen. Diesem Krug passte kein Kostüm und jedes, er beließ sich stets genussvoll bei sich selber, das war seine Stärke, er besaß ein freundschaftliches, nie verkrampft ehrgeiziges Verhältnis zu seinen künstlerischen Gegebenheiten.

Wer sich den Film-Krug ins Gedächtnis holt, der sieht ihn an der Seite großer Kollegenschaft: Christel Bodenstein, Hilmar Thate, Armin Mueller-Stahl, Ursula Karusseit, Eberhard Esche. Mit Jutta Hoffmann spielte er in Frank Beyers Film »Das Versteck«: wie schnell Menschen doch ihre ehrliche Gewissheitstonart verlieren, oder: wie sie es verlernen, einander wie Sorglose zu berühren, oder: wie schlimm es ist, wenn einer von Zweien mehr Nähe braucht als der andere. Oft schien es, Natur habe sich nach diesem Kerl Krug ein Modell ihrer Mächtigkeit machen wollen. Solche Mächtigkeit konnte wundernützliche Funktionen haben: zum Beispiel eben dafür sorgen, dass neben ihr eine Jutta Hoffmann noch zarter aufschien, noch engelhafter, mit Flügelrändern, die sich angeschmutzt hatten – in Ecken, wo später so wenig DEFA sein durfte, und wo doch das meiste Leben war.

Krug, das war der frech-charmante Romantiker: »Auf der Sonnenseite«. Der vitale Trucker-King: »Weite Straßen – stille Liebe«. Das freche Unmaß, als habe sich einer der vier Musketiere nach Deutschland verirrt: »Mir nach, Canaillen!« Aber da war auch schmerzende Brüchigkeit am Abgrund – wenn im Spanienkrieg an Sinn nichts blieb, außer durchzuhalten mit »Fünf Patronenhülsen«. Und da war vor allem der Brigadier Balla in »Spur der Steine«, dem Flaggwerk der DEFA-Verbotsfilme. Arbeit als Anarchotrip auf sozialistischer Großbaustelle. Krug wirkte nicht wie einer, der zu viel weiß, aber wie einer, der weiß, worauf es ankommt. So wirkte er immer. So war er. Das gab auch jenen politisch Starken, die er spielte, jenen Widerstandskämpfern, Kommunisten, Parteimenschen (»Wege übers Land«, »Daniel Druskat«) bei aller Präsenz etwas Unergründliches und Verunsichertes. Glaubwürdigkeit entsteht ja vor allem durch diese Gleichzeitigkeit von Glück und Verlust, von Kraft und Verletzlichkeit.

In den Westen wollte er wirklich erst, als ihm erklärt wurde, die DDR sei Welt genug. Er hat mit der gleichen Leidenschaft eines beglückten Außersich-Seins in der DDR gesungen (»Es war nur ein Moment«, »Ein Hauch von Frühling«), wie er dann »drüben«, mit leidenschaftlicher Vorsicht und klugem Realismus – lange Zeit nicht sang. Alles hat seine Zeit. Er hat für sein Buch »Abgehauen«, mit dem er uns Biermann und den SED-Ungeist um die Ohren hieb, viele Jahre gewartet, wo andere mit derartigen Themen längst eifrig gehechelt hatten. Das war nicht Marktinstinkt, sondern blanke Intelligenz. Selbstmächtigkeit. »Abgehauen«: Im Hause Krug treffen sich die Petitionisten gegen die Ausbürgerung Biermanns mit Politbüromitglied Lamberz – und der Hausherr lässt heimlich ein Tonband mitlaufen.

Krug. Geboren 1937 in Duisburg. Selbstbewusst geworden in anderer Gegend. War es herumfliegender glühender Stahl, der dem einstigen Brandenburger Schmelzer ein Narben-Zeichen auf die Stirn setzte? Man wird auf die seltsamste Weise Arbeiterklasse. In diesem Schauspieler löste sich das Menschenbild von dieser Klasse auf: endlich sichtbar der Mensch! Krug hatte seine Ansichten, hatte sie stur und stoßfest, aber er war doch Angehöriger einer selten gewordenen, weil charakterstarken Spezies: Er kam stets damit zurecht, nicht überall und zu jeder Gelegenheit öffentlich eine Meinung zu äußern. Er glaubte nicht an die Veredlung eines Kommentars durch autoritätshebende Prominenz. Er wollte nicht, dass von einer eventuell dämlichen Ansicht zur Zeit schädliche Rückschlüsse auf seine Schauspielerei gezogen würden. Also schwieg er auch im Westen, spielte, sang endlich wieder mit Uschi Brüning, schrieb Erzählungen (»Schweinegezadder«) über Sehnsucht und Einsamkeit und den Trost der Selbstlüge. Ohne die es kein Glück gäbe.

Ins andere Deutschland nahm er 1977 Träume mit, die zum Teil unerfüllt blieben. Doch er buhlte nie um Popularität. Er hat gearbeitet und sich die Gesetze dieser Welt zu eigen gemacht, und er arbeitete, um zu leben, nicht umgekehrt. An seinem »Tatort«-Kommissar Stoever (in Tätereinheit mit Charles Brauer) konnte man studieren, dass die Aura eines Schauspielers auch dort lebt, wo sie nicht unbedingt alles mit dem Stoff zu tun hat. Freilich nur, wenn einer über ein durchgreifendes Vermögen verfügt, Eigenes zu behaupten. Man kann, was Krug konnte, an einem wie Jean Gabin studieren. Das Nicht-Spiel, der Kosmos der allerwinzigsten Nuancen als reifste Form des Spiels. Aber im deutschen Film fand Jean Gabin nie wirklich statt. Hier war auch der Schauspieler, der Krug heißt, nicht Gott in Frankreich. Auch wenn manche meinten, er lebe so (und ihm übelnahmen, dass ausgerechnet TV-Werbung für jämmerlich endende Telekom-Aktien zu seinem Wohlleben beitrugen).

Dieser Kerl war sorglich in den Dingen, denen er vertraute. Also war er auch treu in dem, was ihm Menschen zu Freunden erhob oder sie in seinen Augen zu Arschlöchern machte. Das Raffinierte, Verunsichernde an Krug war, dass er Leute herrlich im Unklaren lassen konnte, was von beiden sie wohl seien. Mancher irrte sich da mächtig. Der vielleicht treueste Freund war Romancier Jurek Becker, der ihm den »Liebling Kreuzberg« unter die Haut schrieb. Und herrlich skurrile Postkarten aus aller Welt, die Krug zum schönen Buch bündelte.

Man sagt so leichthin und meist falsch: Volksschauspieler. Wenn Krug einer war, dann im Sinne seiner Fähigkeit, das Packende, das Menschlistige, das Emotionale gänzlich vom Schlepperdienst für Erziehungszwecke zu befreien. Einmal schrieb er: »Kaum ein Text ist wichtig. Die Bibel mag eine Ausnahme sein. Trotzdem richten sich die wenigsten nach ihr.« Das ist so ein Satz, der die Relativität aller Lektionen offenbart, die uns täglich bedrängen. Krug ging durch seine Kunst mit krachendem Schritt und anmutigem Tanz (auch seine Stimme konnte singend tanzen); das Fauchende hatte etwas Bärisches, vielleicht lag da ein ferner Urgrund, warum Krug in der »Sesamstraße« an der Seite von Samson spielte. Er war ein lässiger, eleganter, hundsgemein witziger Boulevardier, der mit der (scheinbaren!) Gemütlichkeit einer Brummbärenseele die Tragödien- und Kömödienmöglichkeiten einer jeweiligen Filmgeschichte aufriss.

Irgendwie gehen da Schatten. Und die wird das Erinnern an die DDR nicht los. Diese Schatten kommen vom Licht, das einst geworfen – und als Erhellung des Weges nicht wirklich begriffen wurde. Manfred Krug war ein Star der DDR, den sie aufgab, als hätte sie keine Sonnenseite gebraucht, und so bleibt auch in diesem Fall – ein Schatten. Nun ist der Schauspieler im Alter von 79 Jahren in Berlin gestorben.

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