Rechte mit bürgerlichem Anstrich

In diesem Jahr drohen Wahlerfolge fremdenfeindlicher Parteien in Westeuropa. Der Auftakt soll ein Treffen u.a. von AfD und Front National in Koblenz sein

  • Aert van Riel und Velten Schäfer
  • Lesedauer: 8 Min.

Fast hätte sie ja gar nicht stattgefunden, die machtvolle Kundgebung der rechten ENF in der Koblenzer Stadthalle am Samstag. Hatte doch der dortige Stadtrat in einer geheimen Abstimmung entschieden, die Halle flugs an einen chinesischen Investor zu verkaufen, um die Tagung der Anti-EU-EU-Parlamentsfraktion zu verhindern. Dies meldete jedenfalls ein »Kölner Abendblatt« vor einigen Tagen unter Berufung auf »geheime Dokumente eines ehemals hochrangigen Beamten der Stadt Koblenz«. Der gerechte Volkszorn ließ nicht lange auf sich warten: Im Internet erregte sich unter anderem der Pegida-Anführer Lutz Bachmann darüber, dass eine Halle, die erst jüngst »für 32 Millionen Euro (Steuergeld des deutschen Volkes) saniert wurde, für 17 Millionen Euro an ein ausländisches Unternehmen verkauft« werde, »nur um einen Kongress demokratisch gewählter Parteien Europas zu verhindern!« Es dauerte einige Zeit, bis Bachmann und seiner Gefolgschaft aufgefallen war, dass es sich bei dem betreffenden »Bericht« um Satire handelte: Der Text wurde mit dem Internet-Tool »Paul Newsman« erstellt, mit dem sich laut Warnhinweis unter den Zeilen »innerhalb von Sekunden Fake- oder Satireartikel in verschiedenen fiktiven Magazinen« fabrizieren lassen, die man »auf gar keinen Fall ernst nehmen oder als seriöse Quellenangabe nutzen« solle.

Weitere ironische Akzente sind in Koblenz nur bei den Gegenprotesten zu erwarten. Die Politiker, die sich dort treffen, verstehen keinen Spaß - und leiden nicht an Bescheidenheit: Dass es überhaupt eine Fraktion mit dem Namen »Europa der Nationen und der Freiheit« (ENF) gibt, haben bisher wohl nur Experten gewusst. Mit gerade einmal 40 Abgeordneten ist diese dort der kleinste Zusammenschluss. Nichtsdestotrotz werden ihre Vertreter vom Mitorganisator des Kongresses, dem AfD-Europa-Abgeordneten Marcus Pretzell, als »die Spitzenpolitiker des neuen Europas« angekündigt. Die rechten Politiker Marine Le Pen, Geert Wilders, Matteo Salvini und AfD-Chefin Frauke Petry wollen in der rheinland-pfälzischen Stadt das »Jahr der Patrioten« ausrufen. »Sie stehen kurz davor, in ihren Ländern die Regierungsverantwortung zu übernehmen«, weiß man in Pretzells Büro.

Ob es bei den anstehenden Wahlen in Westeuropa tatsächlich so weit kommt, ist aber noch längst nicht sicher. Den Rechten fehlen nämlich teils die notwendigen Bündnispartner. Obwohl sie bei der Flüchtlingsabwehr und dem neoliberalen Umbau des Sozialstaates grundsätzlich einige gemeinsame Interessen verfolgen, ist eine Koalition zwischen Union und AfD nach der Bundestagswahl im Herbst ausgeschlossen. Die Konservativen werden zunächst abwarten, in welche Richtung sich die Rechtspartei, die auf Bundesebene noch überhaupt keine parlamentarische Erfahrung besitzt, entwickelt.

Anders ist die Ausgangslage in den Niederlanden. Die Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2006 etablieren können und liegt in den Umfragen zur Parlamentswahl am 15. März mit 35 Prozent deutlich vorne. Allerdings will der amtierende Premierminister Mark Rutte von der rechtsliberalen Volkspartei VVD nicht mit der PVV zusammengehen, weil sie ihm etwa wegen der Forderung, aus der EU auszusteigen, als zu radikal gilt. Diese Meinung teilen auch alle anderen im Den Haager Parlament vertretenen Parteien. Wenn die VVD ihre Ankündigung wahr machen will, muss sie ein Bündnis mit mehreren kleinen Parteien schließen. Das dürfte ein schwieriges Unterfangen werden. Wenn Wilders weiter hinzugewinnen sollte, wird eines Tages kein Weg mehr an ihm vorbeiführen.

In Italien muss ebenfalls in absehbarer Zeit gewählt werden, nachdem Premier Matteo Renzi von der Mitte-Links-Partei PD im Dezember vergangenen Jahres das Referendum über eine Verfassungsreform verloren hatte. Die Lega Nord von Parteisekretär Matteo Salvini wird keine so wichtige Rolle spielen können wie sein Freund Wilders in den Niederlanden. Denn die rechte italienische Partei hat ihren Schwerpunkt im reicheren Norden des Landes, den sie vom armen Süden abspalten will. Umfragen sehen die Lega Nord ebenso wie die AfD bei etwa 13 Prozent. Die Lega hat Regierungserfahrungen unter dem einstigen Regierungschef Silvio Berlusconi gesammelt. Um nach der nächsten Wahl in die Regierung zurückzukehren, müsste sie wohl mit der stärkeren Fünf-Sterne-Bewegung des Kabarettisten Beppe Grillo kooperieren. Beide eint zumindest das Projekt eines Ausscheidens Italiens aus der Eurozone.

Die französische Front National (FN) will sogar, dass ihre Landsleute über einen Austritt aus der EU abstimmen. In Frankreich werden im Juni Parlamentswahlen und einige Wochen vorher Präsidentschaftswahlen abgehalten. Wahrscheinlich ist eine Stichwahl der FN-Chefin Marine Le Pen gegen den konservativen Kandidaten François Fillon. Dann kann Fillon trotz seines neoliberalen Programms, in dem er auf Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst und die Erhöhung des Renteneintrittsalters setzt, auf Stimmen der Sozialisten hoffen, die Le Pen verhindern wollen. Die Rechtsradikale gilt deswegen als Außenseiterin.

Auf internationaler Ebene begegnen sich die unterschiedlichen rechten Parteien Europas zum Teil mit Skepsis oder sogar deutlicher Abneigung. Sie verteilen sich im Europaparlament auf vier Fraktionen. Pretzell ist seit seinem im vergangenen Jahr vollzogenen Rauswurf aus der »europaskeptischen« Fraktion EKR, deren stärkste Kräfte die britischen Tories und die polnische Regierungspartei PiS sind, das einzige deutsche Mitglied der Rechtsfraktion ENF. Der ungarische Fidesz von Viktor Orban und Berlusconis Forza Italia sehen sich als rechten Flügel der christdemokratischen Parteienfamilie und sind Teil der EVP, in der auch CDU und CSU vertreten sind. Eine weitere Fraktion im EU-Parlament, deren Mitglieder als ausländerfeindlich gelten und die EU aus neoliberaler beziehungsweise nationalistischer Perspektive kritisieren, ist die EFDD, die von der britischen Unabhängigkeitspartei UKIP dominiert wird und der sich Pretzells Parteikollegin Beatrix von Storch angeschlossen hat.

Wer national denkt, für den sind internationale Zusammenschlüsse schwierig. Die Front National war ebenso wie die aufstrebende österreichische FPÖ, die ebenfalls in Koblenz vertreten sein wird, jahrelang im EU-Parlament fraktionslos, weil ihre Fraktion Identität, Tradition, Souveränität im Jahr 2007 nach wenigen Monaten zerbrochen war. Das Aus für die Fraktion kam, als fünf Abgeordnete der Groß-Rumänien-Partei den Zusammenschluss nach abwertenden Äußerungen ihrer Fraktionskollegin Alessandra Mussolini, Enkelin des früheren faschistischen Diktators Benito Mussolini, über rumänische Zuwanderer in Italien verließen. Erst im Sommer 2015 konnte die Nachfolgefraktion ENF gegründet werden. Voraussetzung war, dass sich mindestens 25 Abgeordnete aus sieben Ländern zusammenfinden.

Der Zusammenschluss in einer Fraktion bedeutet aber nicht unbedingt, dass die beteiligten Parteien enge Freunde sind. Die AfD ist sich uneins, wie sie zur Front National stehen soll. Die neoliberalen Vertreter der deutschen Rechten können sich nicht mit den sozialen Forderungen der Franzosen identifizieren, die etwa eine Erhöhung aller niedrigen Löhne um 200 Euro im Monat versprechen. Doch es gibt auch viele Gemeinsamkeiten. In ihren Staaten werben die rechten Parteien um Arbeiter, sozial Abgehängte und Mittelschichten. Den Einheimischen werden die mit ihnen auf dem Arbeitsmarkt konkurrierenden Migranten als angebliche Ursache für einen drohenden oder bereits vollzogenen sozialen Abstieg präsentiert. Deswegen setzen sich die Rechten für eine rigide Einwanderungspolitik und Benachteiligungen von Migranten ein. So droht etwa die Front National, die französischen Staatsbürger bei der Arbeitsplatzsuche und bei Sozialleistungen gegenüber Nichtfranzosen besserzustellen. Die niederländische Freiheitspartei fordert einen fünfjährigen Einwanderungsstopp für Muslime. Noch weiter geht die Lega Nord. Einige von ihren Vertretern wollen mit militärischen Mitteln gegen Flüchtlinge aus Nordafrika vorgehen. Auch Frauke Petry hatte über einen Schusswaffengebrauch gegen »illegale Grenzübertritte« sinniert.

Zugleich ist die ENF bemüht, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Die neofaschistischen Parteien NPD und Goldene Morgenröte aus Griechenland dürfen auf EU-Ebene nicht mitmachen und sind dort fraktionslos. Statt als ausländerfeindlich beschreiben sich die Mitglieder der ENF lieber als »islamkritisch«. Viele ihrer Vertreter geben zudem ein Bekenntnis ab, sich gegen Antisemitismus zu wenden. Dies war auch ein Grund, warum der frühere FN-Vorsitzende Jean-Marie Le Pen im August 2015 auf Betreiben seiner Tochter Marine aus der Partei ausgeschlossen wurde. Le Pen hatte im Sommer 2014 prominenten Kritikern seiner Partei, darunter auch Juden, offensichtlich in Anspielung auf die Krematorien in den Konzentrationslagern mit einer »Ofenladung« gedroht. Trotz des Ausschlusses des alten Führers werden sich die Denkmuster von FN-Unterstützern aber nicht über Nacht geändert haben.

Auch in der AfD wird gerade über Antisemitismus diskutiert, nachdem der thüringische Parteichef Björn Höcke über das Holocaustmahnmal in Berlin gesagt hatte, die Deutschen seien »das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat«. Pretzell hatte Höcke daraufhin vorgeworfen, »kluge und kritische bürgerliche Wähler zurück in das Lager der Nichtwähler« zu treiben. Inhaltlich distanzierte er sich nicht von der Aussage. Somit bleibt fraglich, welche Rolle der Antisemitismus in rechten Parteien in Ländern wie Frankreich, Deutschland und Österreich spielen wird, wo es in der jüngeren Geschichte große judenfeindliche Bewegungen gab. In Italien und den Niederlanden waren diese Kräfte bislang weniger stark.

Ein Problem haben die Parteien offenbar auch mit Medien. Pretzell hatte eine ganze Reihe deutscher Journalisten von der Akkreditierung zur Saalveranstaltung ausgeschlossen. Darunter sind Berichterstatter der öffentlich-rechtlichen Medien, der »FAZ«, des »Spiegel« und des »Handelsblatt«. Überraschenderweise betrifft die Ausladung zur Saalveranstaltung indes auch das Magazin »Compact« des weit rechts stehenden Publizisten Jürgen Elsässer. Hintergrund ist wohl seine Berichterstattung über die Zusammenstellung der AfD-Liste für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im vergangenen November.

»Compact«, mittlerweile offenbar den radikalen Teilen der Rechtspartei zugeneigt, hatte Pretzell vorgeworfen, dieselben mit unlauteren Mitteln weitgehend von der Liste verdrängt zu haben. »Für sie gibt es offensichtlich nur ein Kriterium: Wer gegen Pretzell ist, wird gemobbt«, klagt Elsässer in einem »offenen Brief« an Pretzell in seinem Blog. In der AfD hatte es entsprechende Gerüchte gegeben, wonach die Listenwahl manipuliert worden sein soll. Vor wenigen Tagen hat allerdings Landeswahlleiter Wolfgang Schellen nach einer »Vorprüfung« keine gravierenden Mängel festgestellt. Demnach muss die Wahlliste nicht nachgebessert werden.

Dieser Ausschluss bestimmter Pressevertreter von der Veranstaltung ist rechtlich nicht unproblematisch: Fraktionen des EU-Parlaments sollen zur politischen Meinungsbildung beitragen und kassieren dafür Steuermittel. Zwar haben sie das Recht auf interne, geschlossene Veranstaltungen - ob sie aber bestimmte Medien ausschließen dürfen und andere nicht, bleibt juristisch zumindest fragwürdig. Christian Lüth, vormaliger Mitarbeiter eines FDP-Parlamentariers und inzwischen Pressesprecher der Bundes-AfD, hat sich gegenüber der »FAZ« gegen diese selektive Medienpolitik ausgesprochen. Pretzell verweist indes darauf, es werde im Zuge der Veranstaltung auch eine allgemein offene Pressekonferenz geben.

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