Weniger Blut, mehr Geld

Der härteste Kampfsport der Welt: Mixed Martial Arts bewegt sich zwischen Neonaziszene und großem Geschäft

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 9 Min.

Ein achteckiger Drahtkäfig, darin zwei Männer: Der eine tanzt leichtfüßig umher, der andere kickt fortwährend mit seinen Füßen, doch die Tritte gehen ins Leere. Der Platz im sogenannten Oktagon ist grell ausgeleuchtet, als sich die Kontrahenten an diesem Dezemberabend in der Berliner Arena am Ostbahnhof gegenüberstehen. Rund 4000 Zuschauer warten gespannt auf eine Eskalation, die Veranstaltungsreihe »We Love MMA« bietet in den nächsten Stunden gleich zwölf Kämpfe an. Der Ringrichter hält sich dezent zurück. Als der Tscheche Jirka Nemecek gegen den Draht gedrängt wird und für einen kurzen Augenblick nicht aufpasst, nutzt Kevin Hangs seine Chance: Er wirft seinen Gegner hart zu Boden und schlägt mit der gepolsterten Faust mehrmals auf dessen Kopf ein. Am Boden ringen dann beide, doch Hangs gelingt es bereits nach wenigen Sekunden, das Bein seines Widersachers in einen Klammergriff zu zwingen. Der Unterlegene verzieht schmerzvoll sein Gesicht und muss nach knapp einer Minute Kampfzeit abklopfen. Der Sieger springt an das Gitter und klopft sich stolz auf die Brust.

Mixed Martial Arts (MMA - Gemischte Kampfkünste) kann für neue Zuschauer recht brutal wirken. Nicht ohne Grund gelten die Auseinandersetzungen als die härtesten in der Kampfsportszene. Es wird geschlagen und getreten, auch Bodenkämpfe sind erlaubt. Die Ursprünge lassen sich zu den sogenannten Vale-Tudo-Wettkämpfen in Brasilien zurückverfolgen. Kampfsportler aus verschiedenen Stilen traten hier seit den 1920er Jahren ohne Schutzausrüstung gegeneinander an, um den Besten unter sich zu bestimmen. 1993 fand in den USA die erste Vale-Tudo-Kampfveranstaltung statt. Wenig später erreichte der damals noch weitgehend unregulierte Vollkontaktsport unter der Bezeichnung »Free Fight« Europa. Einige der professionellen Sportler setzten sich für Faustschützer und das Verbot von bestimmten Angriffen ein. »MMA« war geboren.

Heute wird drei Runden für jeweils fünf Minuten um Punkte, bis zum Knockout oder bis zum Abklopfen gekämpft. Verboten sind Angriffe auf Augen, Kehlkopf, Genitalien und Hinterkopf. Die Kontrahenten können im Käfig auf ein breites Spektrum an Techniken zurückgreifen. Kickboxen, Judo, Muay Thai, Jiu-Jitsu und Ringen gehören zum Fundus der Kämpfer. Ernsthafte Verletzungen erleiden diese dabei regelmäßig, auch wenn das Risiko laut einer Studie der US-amerikanischen Glen Sather Sports Medicine Clinic von 2015 geringer ist als beim Boxen. Zerschundene Körperteile sind auch für den MMA-Kämpfer Jesse-Björn Buckler nichts Ungewöhnliches. Der 40-Jährige gehört zu den Pionieren des Sports in Deutschland. Gebrochene Rippen, mehrfach gebrochene Hände sowie einen Bruch des Augenhöhlenbodens haben sich auch in seiner rund 30 Kämpfe umfassenden Karriere angesammelt. »Wenn Leute sich mit voller Kraft treten oder sich Ellbogen ins Gesicht schlagen, dann geht halt auch mal etwas kaputt«, sagt Buckler mit einem Schulterzucken.

Eine Verletzung führte innerhalb der Szene jedoch kürzlich wieder zu einem Skandal: Bei der Kampfreihe im Dezember in Berlin trat Mustafa Ahmadi an. Der vor anderthalb Jahren nach Deutschland geflüchtete Afghane kassierte im Bodenkampf einen nicht erlaubten Kniestoß an den Kopf und musste im Krankenhaus wegen eines doppelten Kieferbruchs operiert werden. Nach dem Kampf stellte sich heraus, dass Ahmadi auf dem Anmeldebogen sein Geburtsdatum gefälscht hatte und zum Zeitpunkt des Kampfes erst 16 Jahre alt war. Auch wenn er aufgrund der Disqualifikation seines Gegners noch auf dem Weg zum Krankenhaus zum Sieger erklärt wurde, hätte er nicht antreten dürfen, da er noch nicht volljährig war. Der Veranstalter erklärte später, Ahmadi von weiteren Events auszuschließen und zusätzliche Ausweiskontrollen einzuführen.

Nicht nur wegen solcher Vorfälle haftet MMA ein schmuddeliges Image an. Übertriebene Gewalt, eine reaktionäre Inszenierung von Männlichkeit sowie Verbindungen in Neonazikreise sind wiederkehrende Bestandteile der Kritik. Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hielt MMA gar für so unangemessen, dass sie 2010 eine Übertragung von Profiwettkämpfen im deutschen Fernsehen verbot. »Die ersten Veranstaltungen in Berlin waren tatsächlich eher eine unangenehme Mischung«, erinnert sich Jesse-Björn Buckler. »Auch damals gab es schon Fans aus der eher traditionellen Kampfkunstszene - es kamen aber auch Leute aus gewaltaffinen Milieus, also Türsteher, Hooligans, Rotlichtszene und Rocker.« Für Buckler ist das keine wirkliche Überraschung: »Der Kampfsport zieht Leute an, die in ihrem Leben mit körperlicher Gewalt konfrontiert sind.«

Seit den Anfangstagen des Sports hat sich jedoch viel getan. Veranstaltungsreihen wie das bundesweit rotierende »We Love MMA« erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Fachkundigen werden mehr, die Blutdürstigen weniger. »Die Gewaltfans und Schläger sind alle noch da, aber das Publikum ist größer geworden«, sagt Buckler. »Die gehen jetzt in der Menge der Sportfans einfach unter.« Besonders die USA spielten für den Normalisierungsprozess eine wichtige Rolle. Ende 2000 übernahm der dortige Marktführer Ultimate Fighting Championship (UFC) ein umfassendes Regelwerk, das sich heute in großen Teilen der Szene durchgesetzt hat und alle paar Jahre aktualisiert wird. In Deutschland wird die Einhaltung vieler Kämpfe durch die Grappling and Mixed Martial Arts Association e.V. (GAMMA) überwacht. Die veränderte Wahrnehmung des Sports hängt für Buckler auch mit der stärkeren Reglementierung und der gewachsenen Bedeutung des Punktesystems zusammen: »Früher hatte man sich manchmal erst vor dem Turnier über die Regeln geeinigt«, erklärt er. »Mittlerweile bauen die Leute ihre Kämpfe aber viel taktischer auf.« 2014 konnte der amerikanische Marktführer dann auch das deutsche Fernsehübertragungsverbot kippen. Für die Verbände war dies ein wichtiges Anliegen, denn längst war aus MMA ein großes Geschäft geworden: Vergangenes Jahr verkaufte die UFC-Muttergesellschaft Zuffa die Mehrheit ihrer Anteile für vier Milliarden Dollar.

Die deutsche Szene liegt in der Bedeutung im Vergleich immer noch weit zurück, doch auch hier gibt es mittlerweile rund 200 bis 300 aktive Kämpfer. Ein gemeinsamer Dachverband fehlt aber noch. Dies führt zu verschiedenen Problemen: So würden einheitliche Regularien und Lizenzen den Weg in den Mainstream weiter vereinfachen. Andererseits wäre dann auch ein kollektives Vorgehen gegen im Sport aktive Neonazis möglich. Momentan ist dies vor allem von der Einstellung der Veranstalter und Vereine abhängig. Für manche wie Peter Angerer, ein Urgestein der deutschen Kampfsportszene, ist Sport einfach Sport. Mit seinem Shidokan-Verband vertrat er in einer Erklärung 2014 die Position: »Leute, die für Toleranz, Gleichheit, Freiheit und viele weitere schöne Begriffe einstehen, gestehen diese Rechte anderen nicht zu«. Damit forderte er letztlich eine Toleranz für Neonazis, solange diese sich nur sportlich betätigen. So ließ er auch umstrittene Klubs bei sich kämpfen.

»We Love MMA« gilt dagegen als authentisch in dem Bemühen, rechtsradikale Umtriebe nicht nur aus Marketingzwecken, sondern aus Prinzip zu unterbinden. Die Berliner Veranstaltungsreihe »Sprawl and Brawl« rief wiederum im April 2016 Proteste hervor. Die Kritik richtete sich damals gegen den »Athletik Klub Ultra« (AKU) aus Neumünster, der mit mehreren Kämpfern für die Veranstaltung angemeldet war. Auch wenn die vorgesehen Sportler offenbar keinen rechtsradikalen Hintergrund hatten, so galt doch der Betreiber und Vorsitzende des AKU, Tim Bartling, als ehemaliger führender Kopf der Schleswig-Holsteiner Neonaziszene. Laut antifaschistischen Gruppen sollen in seinem Verein auch weiterhin Rechtsradikale geduldet werden. Der Veranstalter lenkte letztlich ein und strich die Kämpfer aus dem Programm. »Sportveranstalter sind zuerst Geschäftsleute«, sagt Jesse-Björn Buckler. »Entsprechend haben die meisten kein Interesse daran, bekannte Neonazis zu buchen und damit schlechte Presse zu riskieren.«

In Leipzig waren es jedoch im August des vergangenen Jahres die Veranstalter der »Imperium Fighting Championship« selbst, die in der Kritik standen. Nach Informationen der Kampagne »Rechte Netzwerke zerschlagen!« handelte es sich bei dem Trainer des gastgebenden »Imperium Fight Teams« um Benjamin Brinsa. Dieser sei ein bekanntes Mitglied der rechtsradikalen Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig und ein ehemaliges Führungsmitglied der mittlerweile aufgelösten Hooligangruppe »Scenario Lok«, hieß es. Eine Demonstration mit 1000 Teilnehmern protestierte am Austragungsort im linksalternativen Stadtteil Connewitz, mehrere Sponsoren der Veranstaltung konnten vergrault werden. Brinsa galt früher als großes MMA-Talent und schaffte es sogar, bei dem US-Marktführer UFC unter Vertrag zu kommen. Nachdem die amerikanische Organisation 2013 aber auf dessen politische Aktivitäten hingewiesen wurde, war die Karriere schnell wieder vorbei. »Ein deutscher Neonazi in der UFC wäre eine Katastrophe für den Sport gewesen und hätte ein klares Signal in die Naziszene gesendet«, sagt Buckler. Der Berliner MMA-Kämpfer hatte selbst immer wieder rechte Tendenzen in der Kampfsportszene kritisiert.

Nachdem es für Neonazis schwieriger geworden ist, bei professionellen Kampfveranstaltungen öffentlich aufzutreten, setzen sie mittlerweile verstärkt auf szeneinterne Turniere. Das inzwischen verbotene »Spreelichter«-Netzwerk aus Brandenburg organisierte beispielsweise mehrere »Kampfsportturniere des Nationalen Widerstands«. Auch die Vereinigung »Hammerskins« veranstaltete unter dem Namen »Kampf der Nibelungen« seit 2014 an verschiedenen Orten in Deutschland MMA-Turniere. 2016 fand der letzte Wettkampf vermutlich in Dortmund statt, einschlägige rechtsradikale Modemarken traten als Sponsoren auf. In sozialen Netzwerken wird auch für dieses Jahr ein Turnier angekündigt. Die Wettkämpfe werden normalerweise konspirativ geplant und erreichen somit auch kaum jemanden außerhalb der Nazinetzwerke.

Ein Grund, warum MMA bei Neonazis auf Interesse stößt, ist dabei nicht nur sein harter Ruf, sondern vor allem eine Interpretation des Sports, die die Stärke und Selbstoptimierung der meist männlichen Kämpfenden in den Fokus rückt. Die »Imperium Fighting Championship« in Leipzig warb beispielsweise mit martialischen Postern, die vier muskulöse Männer in römischer Gladiatorenbekleidung zeigten. Während die trainierten Kerle dann in Shorts später aufeinander einschlagen, zeigen leicht bekleidete Frauen, ähnlich wie beim Boxen, zwischen den Kämpfen die Nummer der jeweiligen Runde an. »Das ist eine Inszenierung von Körperkapital, männliches, repräsentiert durch Dominanz und weibliches, repräsentiert durch Schönheit«, kritisiert Buckler. Für ihn sei das »zutiefst sexistisch«. Doch auch mit im Blick auf die Geschlechterbilder wird der Sport langsam erwachsen. So findet bei »We Love MMA« regelmäßig auch ein Kampf zwischen Frauen statt. Noch gibt es in Deutschland nur wenige Kämpferinnen, doch Sportlerinnen wie die 29-jährige Daniela Kortmann machen Hoffnung. 2014 gewann sie in Las Vegas die MMA-Amateur-Weltmeisterschaft, im Profibereich holte sie im vergangenen Herbst ihren zweiten Sieg.

Nach einigen Jahren Pause arbeitet Jesse-Björn Buckler nun daran, wieder ein neues Team aufzustellen. Er hängt an dem Sport, auch wenn viele seiner potenziellen Gegner mittlerweile 20 Jahre jünger sind als er. »Kämpfen macht mir Spaß«, erklärt er, doch vermutlich ist es mehr als das. Er denkt kurz nach und sinniert: »Im Kampfsport triffst du auf zwei Arten von Menschen. Die einen haben Spaß daran, andere zu dominieren. Die anderen wollen verhindern, dass jemand sie fremdbestimmen kann.«

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