Späte Gerechtigkeit

Verurteilte Homosexuelle sollen endlich rehabilitiert werden

Bundesjustizminister Heiko Maas wählte deutliche Worte, um das Gesetzesvorhaben zur Rehabilitierung von verurteilten Homosexuellen anzukündigen. Frühere Urteile nannte er »Schandtaten«, »eklatantes Unrecht« sei von der Justiz gesprochen worden. Aber die Stärke eines Rechtsstaates zeige sich nicht zuletzt darin, eigene Fehler zu korrigieren, so der Minister.

Dies strebt die Große Koalition jetzt an, indem sie die Urteile der Schwulenverfolgung aus der Nachkriegszeit aufheben und die Opfer entschädigen will. Die betroffenen Männer sollen nicht länger »mit dem Makel der Verurteilung leben müssen«, sagte Maas, wenngleich er auch anmerkte, dass begangenes Unrecht nie ganz beseitigt werden könne.

Im Detail sieht der Gesetzesentwurf vor, für jede aufgehobene Verurteilung 3000 Euro an Entschädigung zu zahlen. Je angefangenes Jahr erlittener Freiheitsentziehung sollen die Opfer zusätzlich 1500 Euro erhalten. Die Bundesregierung schätzt, dass die Urteile im Schnitt rund zwei Jahre Haft nach sich zogen. Geplant ist eine pauschale Aufhebung der Strafurteile. Dazu angeraten hatte ein juristisches Gutachten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, um den Betroffenen entwürdigende Einzelfallprüfungen zu ersparen. Von einer Rehabilitierung ausgenommen sind entsprechende Verurteilungen wegen Gewaltanwendungen und sexuellen Handlungen mit Kindern.

Das Vorhaben der Großen Koalition ist bemerkenswert, weil damit zum ersten Mal eine Rechtsprechung aus der Bundesrepublik aufgehoben wird. Die Bundesregierung tat sich damit sichtlich schwer, wie die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen aus dem Frühjahr 2015 zeigte. Zwar nehme die Regierung eine Aufarbeitung des »schweren Unrechts außerordentlich ernst«, heißt es dort. Ob eine rückwirkende Aufhebung der Urteile verfassungsrechtlich zulässig sei, hielt sie für »äußerst umstritten«. Erhebliche Bedenken hatte die Bundesregierung hinsichtlich des Verfassungsprinzips der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich eine Mehrheit der Länder aber bereits längst für eine Rehabilitierung der Betroffenen ausgesprochen.

Eine Schwulenverfolgung fand in der Bundesrepublik über Jahrzehnte statt. Die Bonner Republik hatte den berüchtigten Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches aus dem Deutschen Reich schlicht übernommen; der verbot eine »Unzucht zwischen Männern« und sah dafür eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren vor. Vor allem in den 50er und 60er Jahren ging die Sittenpolizei gegen schwule Männer vor. Schätzungen gehen in diesem Zeitraum von rund 50 000 Verurteilungen aus.

Auch in der DDR war gleichgeschlechtlicher Sex unter Männern strafbar, die Verfolgung hatte bis zur Einstellung des Paragrafen im Jahr 1968 aber nicht die Dimension wie in der Bundesrepublik. Nach Angaben der Magnus-Hirschfeld-Stiftung gab es dort etwa 4300 Verurteilungen. Mit der deutsch-deutschen Vereinigung kam der Paragraf 175 dann für kurze Zeit in die ostdeutschen Länder zurück, wenngleich es in der Zeit so gut wie keine Verurteilungen mehr gab.

Justizminister Maas hatte den Gesetzentwurf zur Rehabilitierung von Homosexuellen bereits im Herbst vorgelegt. Weil es aber erheblichen Abstimmungsbedarf mit der Union gab, verzögerte sich das Verfahren. Mit Blick auf das hohe Alter vieler Betroffener drängte der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) seit Längerem auf eine zügige Umsetzung des Vorhabens und zeigte sich nun erleichtert, dass das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode in Angriff genommen wird. Viele Betroffene der Schwulenverfolgungen sind aber bereits verstorben. Die Bundesregierung geht von rund 5000 Männern aus, die noch Anspruch auf eine Rehabilitierung haben.

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