Vom Mechaniker zum Partisanengeneral

Jože Pirjevec hat rechtzeitig zum 125. Geburtstag von Josip Broz Tito eine opulente Biografie vorgelegt

  • Till Hahn
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer sich vom Monumentalwerk des in Triest geborenen Historikers Jože Pirjevec einen Baustein im Personenkult um den jugoslawischen Diktator erhofft, wird - glücklicherweise - enttäuscht werden. Obgleich der Band mit Titos Konterfei unter dem fünfzackigen roten Stern im Ährenkranz nach bekanntem vulgär-kommunistischem Führerkult aussieht, ist diese wissenschaftliche Biografie durchaus kritisch. Sie kommt aber ohne die Gehässigkeit aus, die die Biografien kommunistischer Führer sonst so schwer lesbar macht. Dieses Buch ist lesbar und lesenswert. Trotz der übersteigerten Liebe des Autors zum Detail und der fast schon manischen Anhäufung von Quellen ist es nicht nur äußerst informativ, sondern auch streckenweise recht amüsant.

Pirjevec will uns das Leben des jugoslawischen - ja was: Diktators? - Josip Broz, Deckname Tito, vorstellen. Und damit gleich zur ersten Lektion des Buches: Es ist schwer zu sagen, wer der Mann, der am 7. Mai 1892 im Norden Kroatiens geboren wurde, eigentlich war. Die Biografie zeigt ihn in seinen vielen, oft widersprüchlichen Rollen: Als junger Soldat der österreichisch-ungarischen Monarchie, Exilant in Russland, Funktionär der KP, Partisanenführer, Staatsmann, Ehemann, und ja, auch als Diktator. Die fast 600 Seiten sind ein Gewaltmarsch durch ein bewegtes Leben in einem bewegten Jahrhundert.

Beginnend mit den Jahren, die der junge Broz im Ersten Weltkrieg verbrachte, wo er als k.u.k.-Soldat von den Russen gefangen genommen wurde, und so Zeuge der Entstehung der Sowjetunion wurde, geht es weiter mit dem Aufbau der kommunistischen Partei in Jugoslawien und dem Partisanenkampf gegen die Nazi-Okkupanten. Geschildert werden die Bemühungen um die Unabhängigkeit und der Streit mit Stalin sowie schließlich das Ringen um einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. Berichtet wird aber auch über die Beziehung von Tito zu seinen engen Mitarbeitern, seinen Frauen und nicht zuletzt über Korruption und Machthunger. Das Einzige, was Pirjevec unbeachtet lässt, ist der Mechaniker Tito - immerhin sein Lehrberuf. Queen Elizabeth II. soll übrigens behauptet haben: »Wenn das ein Mechaniker ist, dann bin ich keine Königin.«

Die Anhäufung solcher Kleinigkeiten verleiht dem Werk einen für die trockene Gelehrsamkeit des historischen Fachs durchaus untypischen Charme. So wird etwa eine Erinnerung Titos aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zitiert, in der er berichtet, wie er beinahe von einem deutschen Schrapnell getötet worden wäre: Er kroch, nachdem er wieder zu sich gekommen war, unter dem Baumstamm hervor, hinter dem er Deckung gesucht hatte, und fand einen Vogel, dessen Flügel von der Explosion zertrümmert worden war. Für einen Moment scheint die ganze Grausamkeit des Krieges in diesem Tier zu oszillieren.

Leider ging Pirjevec bei solcher detailreichen Bebilderung selektiv vor. Während scheinbar fast jedes Geschenk, das sowjetische und jugoslawische Führer jemals untereinander getauscht haben, akribisch aufgelistet ist, wird die Errichtung des jugoslawischen Lagersystems nach dem Krieg auf einigen wenigen Seiten abgehandelt. Ebenso erfahren wir zwar viel über die Beziehungen zwischen Jugoslawien und den Großmächten USA und der Sowjetunion, was zugegebener Maßen von einiger Wichtigkeit ist, über die Verhältnisse auf dem Balkan dagegen sehr wenig.

Im zweiten Teil der Biografie wird die Sache dann noch schwieriger. Nun ist die Regierungszeit natürlich langweiliger als die Partisanenzeit (Schrapnelle und verwundetes Federvieh fehlen hier gänzlich), dennoch scheint die kalte Anhäufung von Fakten, mit der der Autor den »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zeichnen will, ungerecht gegenüber dem Sujet. Trocken wird Wirtschaftsreform an Wirtschaftsreform gereiht. Doch immerhin gibt es die ewigen Querelen in der Führungsriege hinter Tito: Da stechen sich Minister gegenseitig aus, fallen Menschen in Ungnade oder kämpfen sich an die Macht empor, dass es eine wahre Freude ist. Shakespeare und George R. R. Martin würden garantiert blass vor Neid werden. Diese Biografie ist also trotz allem Infotainment im besten Sinne. Man hat den Eindruck, einen Politthriller gelesen zu haben.

Jože Pirjevec: Tito. Die Biografie. Verlag Antje Kunstmann. 600 S., geb., 39,95 €.

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