Flexible Demagogie

Die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen nutzt die Sprache der Linken und Konservativen

  • Bernard Schmid, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Marine Le Pen wird vorgeworfen, abgekupfert zu haben. Bei ihrer letzten Großveranstaltung vor der Stichwahl zu Anfang dieser Woche in der Pariser Vorstadt Villepinte beschwor sie in langatmigen Passagen die »Identität« Frankreichs. Dabei ging es in aller Ausführlichkeit um die Landschaften des Landes, seine Küsten vom Ärmelkanal über den Atlantik bis zum Mittelmeer, seine Mittelgebirge, seine Bergketten, seine Geschichte, seine Kathedralen.

Doch dann stellte sich heraus, dass diese Stellen im Redetext geklaut wurden: Sie stammten fast wortwörtlich aus einer Ansprache des konservativen Kandidaten François Fillon von Mitte April in Puy-en-Velay. Geschrieben wurde die Rede in Wirklichkeit von dem reaktionären Schriftsteller Paul-Marie Coûteaux, einem Gratwanderer zwischen Konservativen und Rechtsextremen, doch Fillon hielt sie in seinem Namen. Coûteaux war nach den Kommunalwahlen 2014 aus der FN gedrängt worden, weil er etwas zu laut über Konzentrationslager für Roma fantasiert hatte.

Viele Zeitungen schrieben daraufhin vom »Plagiat«. Marine Le Pen antwortete allerdings, ihre Übernahme der Passagen Fillons sei vielmehr volle Absicht gewesen: Hätte sie nicht die Medien auf diese Fährte gelockt, dann hätten dieselben auch nicht von diesem Teil ihrer Rede gesprochen. So aber sei diese »Hunderte von Malen ausgestrahlt und kommentiert worden«. Sie wisse schließlich, wie der Medienbetrieb funktioniere, und dass es einen »Buzz« brauche.

Ob es ihr letztlich schadet oder nutzt, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Gesichert ist: Es handelte sich um einen Wink, der an die konservativen WählerInnen gerichtet war. 28 bis 33 Prozent derer, die im ersten Wahlgang für François Fillon votierten, sollen vorhaben, in der zweiten Runde Marine Le Pen zu wählen, rund die Hälfte hingegen den marktliberalen Emmanuel Macron.

Unter den konservativen SpitzenpolitikerInnen rufen mittlerweile die meisten dazu auf, Macron in der Stichwahl zu unterstützen. Nicht jedoch Lauent Wauquiez, der Regionalpräsident in Lyon und frühere Unterstützer des Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, der eher zu einer Enthaltung tendiert. Auch die durch rassistische Sprüche - über die notwendige »Verteidigung der weißen Rasse« - aufgefallene Ex-Staatssekretärin Sarkozys für Familienpolitik, Nadine Morano, sperrt sich gegen einen Wahlaufruf für Macron. Am Donnerstag erklärte sie allerdings nach der TV-Debatte der beiden SpitzenkandidatInnen, sie erteile dem Ex-Wirtschaftsminister »neun Punkte« und Marine Le Pen »einen Punkt«. Unmittelbar zur Wahl der FN-Präsidentschaftsbewerberin aufgerufen hatte dagegen Sarkozys frühere Ministerin für Wohnungspolitik, die rechtskatholische Fanatikerin Christine Boutin. Das ist jene Dame, die 1999 gegen die Einführung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare wetterte und dabei die Bibel im Parlament schwenkte.

Aber nicht nur im konservativen Lager wird Marine Le Pen abgreifen können. Zwischen neun und 20 Prozent, je nach Umfrage, der rund sieben Millionen WählerInnen des Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang ziehen eine Wahl Marine Le Pens in Betracht. Über die Hälfte werden dagegen Macron unterstützen, während Mélenchons Wahlplattform La France insoumise - infolge einer Urabstimmung der 450 000 eingetragenen UnterstützerInnen im Internet - zu zwei Dritteln entschied, entweder nicht oder ungültig zu wählen.

Ihrerseits versuchte Marine Le Pen in mehreren Redetexten und Medienauftritten, den WählerInnen Mélenchons Honig um den Mund zu schmieren. Wie er spricht sie nach dem ersten Wahlgang nunmehr von der »Oligarchie«, die »dem Volk« gegen überstehe - früher sprach Mélenchon eher noch von sozialen Klassen, Marine Le Pen hingegen stets von »der Kaste« gegen »das Volk«.

Unter Anspielung auf den Namen von Mélenchons Wahlplattform bezeichnete Le Pen sich wörtlich als »insoumise«, also als »nicht Unterworfene« oder Unbeugsame. Und am vorigen Sonntag übernahm Le Pen bei einem Besuch im südfranzösischen Gardanne, wo eine Aluminiumfabrik immense Umweltprobleme aufwirft, Mélenchons langjährige Forderung nach »ökologischer Wirtschaftsplanung« (planification écologique).

Ihre Demagogie lässt sie sowohl auf der Linken als auch auf der konservativen Rechten jeweils Diskurselemente abgreifen. Zur Präsidentschaft wird es am Sonntag wohl nicht reichen. Aber Marine Le Pen denkt auch an ihren Parteiaufbau für die Oppositionszeit danach.

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