»Ich bin es wirklich«

Ich bin stolz auf meinen Onkel Werner, der es wagte zu desertieren. Von Christa Kikels

  • Christa Kikels
  • Lesedauer: 3 Min.

Immer wenn ich am Platz der Einheit in Potsdam am Denkmal für den unbekannten Deserteur vorbeikomme, muss ich an meinen Onkel Werner denken, denn dieses Denkmal wurde auch für ihn geschaffen.

Eigentlich sollte es auf dem Friedensplatz in Bonn stehen, doch das dortige Stadtparlament lehnte die dauerhafte Aufstellung der Skulptur, die »die Fahnenflucht verherrlicht«, wie der damalige Oberbürgermeister erklärte, ab. Doch dieses Denkmal wurde von dem türkischen Bildhauer Mehmet Aksoy 1989 im Auftrag des »Bonner Friedensplenums« genau für diesen Platz geschaffen.

Nach einer wechselvollen und konfliktreichen Ausstellungsgeschichte konnte die weiße Marmorskulptur in der Bonner Partnerstadt Potsdam eine Heimstatt finden. Die Stadtverordneten der ehemaligen Garnisonsstadt beschlossen 1997 mit 100 zu acht Stimmen und in Zusammenarbeit mit dem Freundeskreis der Militärtotalverweigerer die dauerhafte Aufstellung des Denkmals. Erst ein Jahr später konnte sich der Bundestag zu einem Gesetz zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure im Zweiten Weltkrieg durchringen.

Mein Onkel Werner war mit einer jüngeren Schwester meiner Mutter verheirate. Er war Jahrgang 1916 und musste bald in den Krieg. Im Jahre 1944 erhielt die Familie die Nachricht von seinem Tod. Doch im Frühjahr 1949 traute eine andere Schwester meiner Mutter, die als Schaffnerin bei der Deutschen Reichsbahn arbeitete, ihren Augen nicht, als sie ihren totgeglaubten Schwager Werner aus dem Zug steigen sah. Sie erkannte ihn sofort, und auf ihr erstauntes Gesicht reagierte er mit den Worten: »Ich bin es wirklich.«

Onkel Werner sprach erst viele Jahre später über einige seiner Kriegserlebnisse. So erzählte er, dass er in einem britischen Internierungslager in Ägypten war und von dort flüchtete. Doch weiter als bis zu einem Beduinenstamm kam er nicht. Durch die Wüste nach Deutschland zu gelangen, war unmöglich. So ging er, auch wegen des für ihn ungewöhnlichen Essens, reumütig zurück in das Lager der Briten und wurde 1949 nach Hause entlassen. Was ich aber erst jetzt erfuhr, waren seine Aktivitäten zwischen 1944 und 1945, davon hatte er nur in seiner engeren Familie gesprochen.

1985 wurde in der Tageszeitung »Neues Deutschland« in einer ganzseitigen Reportage von Michael Müller über den heldenhaften Kampf der griechischen Partisanen gegen die deutschen Okkupanten berichtet. Daraufhin schrieb Onkel Werner einen Leserbrief an die Zeitung, in dem es unter anderem hieß: »Nachdem ich die Grausamkeiten des Faschismus kennenlernte, habe ich als Soldat in Griechenland im September 1944 den Weg zu den Partisanen gesucht. Bei der gemeinsamen Räumung der Minenfelder fand ich das Vertrauen der griechischen Partisanen. In ihren Reihen habe ich dann als Propagandist gearbeitet. Vor den Stützpunkten der Faschisten forderte ich die deutschen Soldaten auf, die Waffen niederzulegen und dem Krieg ein Ende zu setzen.«

Dieser Schritt war für ihn ein großes Wagnis und sollte sein ganzes künftiges Leben entscheidend verändern. Er hatte nicht nur das Vertrauen der Partisanen gewonnen, sondern sein Leben bekam einen völlig neuen, tieferen, auf die Zukunft orientierten Inhalt. Fortan setzte er sich auf vielerlei Art für die Erhaltung des Friedens ein, arbeitete im Betrieb und im Wohngebiet bis ins hohe Alter in verschiedenen Gremien aktiv mit.

Erst nach seinem Tod, als in einer Wochenendausgabe im Juli 2016 in einer weiteren Reportage über Griechenland der Name meines Onkels auftauchte, fragte ich nach. Nun wurde mir auch klar, warum ihn die faschistische Wehrmacht 1944 für tot erklären ließ und warum er nicht in die Gefangenschaft, sondern in ein britisches Internierungslager kam.

Für mich ist gut zu wissen, dass es in meiner Familie einen Menschen gab, der aktiv gegen die Faschisten kämpfte. So hat Onkel Werner mir durch seinen Mut ein Zeichen gesetzt, niemals im Kampf um den Frieden nachzulassen, und das ist aktueller denn je. Ich bin stolz auf meinen Onkel Werner, der viel gewagt und dabei nicht nur einmal sein Leben riskiert hat.

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