Auf den Spuren Thomas Müntzers

Abstecher nach Mühlhausen ist Kontrastprogramm zu Würdigungen Martin Luthers 2017

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Martin Luther ist als Kirchenreformator und Geburtshelfer der Evangelischen Kirche in aller Munde. Weniger im Rampenlicht hingegen steht Thomas Müntzer, der sich als Kirchenmann und ehemaliger Weggefährte Luthers mit den revolutionären Bauern solidarisierte und eindeutig Partei für sie bezog. Er war vor fünf Jahrhunderten Vordenker und Anführer der Bauernkriege und wurde nach seiner Teilnahme an der letzten Schlacht in Frankenhausen im Mai 1525 von der Obrigkeit verfolgt und hingerichtet.

Auf den Spuren Müntzers besuchten Mitglieder der Wiesbadener LINKEN am Wochenende die Westthüringer Stadt Mühlhausen. Die ehemalige freie Reichsstadt mit ihrer mittelalterlichen Tradition war vor knapp fünf Jahrhunderten letzte Station und Wohnort Müntzers und Zentrum der revolutionären Erhebungen in Deutschland. Hier sind auf Schritt und Tritt Erinnerungen an Müntzer lebendig. Weil die westliche Stadtmauer am inneren Frauentor baufällig ist und Einsturzgefahr besteht, ist das 1957 am Fuße der Mauer aufgestellte Müntzer-Denkmal des Bildhauers Will Lammert derzeit durch Bauzäune abgeschirmt, erklärte Stadtführer Walter Bütof den Gästen zu Beginn einer dreistündigen Tour durch die Altstadt. Dass die Müntzer-Statue hier in einer Hand eine Bibel und in der anderen Hand ein Schwert hält, ist kein Zufall. »Er suchte zuerst das Bündnis mit den Fürsten und forderte sie auf, mit ihm für die gerechte Sache zu kämpfen. Als es nicht anders ging, war er davon überzeugt, dass ›die Gewalt dem gemeinen Volk gegeben‹ werden soll. Somit war für ihn das Volk der Schöpfer der Geschichte«, brachte es der ortskundige und profunde Müntzer-Kenner auf den Punkt.

Bütof ist Museumspädagoge und aktives Mitglied der Thomas-Müntzer-Gesellschaft, die sich nach dem Ende der DDR der Aufgabe verschrieben hat, Leben und Wirken des kämpferischen Theologen und seine Bezüge zu Reformation und Bauernkrieg wissenschaftlich aufzuarbeiten und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In ihr haben sich Historiker, Theologen, Archivare und andere Interessenten aus dem In- und Ausland zusammengeschlossen. »In der DDR wurde Müntzer als großer Volksheld gefeiert und für mich ist er auch einer«, so Bütof. »Er hat sein Leben für die Sache gegeben, während andere hinter dem warmen Ofen saßen.« Eindrucksvoll schilderte Bütof den Besuchern beim Stadtrundgang das Wirken Müntzers in seiner letzten Lebensphase.

Nach der Hinrichtung Müntzers und seiner Mitstreiter unternahm die Obrigkeit alles, um seinen Namen auszulöschen. Erst 325 Jahre später öffnete Friedrich Engels mit seiner Schrift »Der Deutsche Bauernkrieg« in der aufstrebenden Arbeiterbewegung den Blick auf den linken Flügel der Reformation und die Rolle Müntzers in der Revolution. Mitte der 1920er Jahre zogen die Arbeiterparteien SPD und KPD in Mühlhausen an einem Strang und erreichten, dass Müntzer mit einem Denkmal unweit des neuen Bahnhofs gewürdigt und eine Straße nach ihm benannt wurde.

Zu DDR-Zeiten war das Gedenken an Thomas Müntzer eine staatliche Angelegenheit. Anlässlich des 450. Jahrestages der Bauernkriege verlieh die Berliner Regierung 1975 im Beisein des damaligen Chefs der DDR-Bauernpartei DBD Mühlhausen den Namen »Thomas-Müntzer-Stadt«. Viele Straßen, Einrichtungen, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und Betriebe wie das Kalibergwerk in Bischofferode (Eichsfeld) trugen bis zum Ende der DDR den Namen Müntzers. In der restaurierten Kirche am Kornmarkt wurde ein Bauernkriegsmuseum eingerichtet, das bis heute Ursachen, Verlauf und Folgen der damaligen Revolution darstellt. Derzeit werden in einer Sonderausstellung neben Müntzer auch andere, weniger bekannte Vertreter alternativer Reformationsideen als »Luthers ungeliebte Brüder« gewürdigt. Für den 13-jährigen Pawel, der bei der Stadtführung Bütofs Worten aufmerksam lauschte, war die mit Modellfiguren dargestellte »Schlacht bei Frankenhausen« nach eigenen Worten der eindrucksvollste Teil des Abstechers nach Mühlhausen, der ihm noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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