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Ein Experte für alles und nichts

»Hundert Zeilen Hass« hieß in den 80er und 90er Jahren eine Kolumne von Maxim Biller. Jetzt gibt es alle Texte als Buch

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 6 Min.

Maxim Biller dürften die meisten nicht als Schriftsteller kennen, sondern als den aufgeweckt nörgelnden Hornbrillenträger aus dem »Literarischen Quartett«, einer Fernsehsendung, über die traditionell behauptet wird, es ginge dort um Literatur, obwohl es sich tatsächlich um eine Art öffentlichen Kaffeeklatsch handelt, und in der neben Biller stets Leute saßen, die offenbar mit dem Denken oder dem Bilden vollständiger Sätze oder mit beidem nicht unerhebliche Schwierigkeiten haben. Dass im deutschen Fernsehen ausschließlich Leute sitzen, denen das Bilden von Sätzen und das Sprechen schwerfällt, überrascht logischerweise niemanden, der es in den vergangenen Jahrzehnten einmal angeschaltet hat. Wenn allerdings einer wie Biller zu sehen und zu hören war, hat man den Kasten auch mal eine halbe Minute am Stück laufen lassen. Doch der lustige Schriftsteller hat das »Literarische Quartett« bedauerlicherweise vor einiger Zeit verlassen. Die Glotze kann man also auch weiterhin ausgeschaltet lassen.

Um die Zeit, die man so gewinnt, sinnvoll zu füllen, könnte man jetzt endlich mal Billers gesammelte Kolumnen aus den 80er und 90er Jahren lesen. Das kann eine recht vergnügliche Beschäftigung sein. Erinnert sich noch jemand an den Schauspieler Mickey Rourke, der in den 80ern in aller Munde war und irgendwann spurlos verschwunden ist, um vor einigen Jahren ohne jede Vorwarnung als amorpher Fleischsack wiederaufzutauchen? »Besonders unsere Ray-Ban-501-Cherrycoke-Freundinnen seufzen wehmütig, wenn sie an ihn denken. Weshalb das Wort Arschloch gut zu ihm passt«, schrieb Biller in seiner ersten, im November 1987 erschienenen Kolumne. Und wie sieht’s mit Rourkes Schauspieltalent aus? Klar: Der Mann ist ein »verschissener Postmoderner, der sich nicht nur seine Gesten und Blicke von Marlon Brando und Kirk Douglas zusammengestohlen hat, sondern auch seine innere Haltung«.

Nicht nur Rourke (Jahrgang 1952), auch Biller (Jahrgang 1960) war einmal jung und noch temperamentvoller, eitler und selbstverliebter als heute. Meinungen haute er damals raus wie Aldi Sonderangebote, gern auch mal fünf unterschiedliche halbfertige bzw. nicht zu Ende gedachte bzw. unausgegorene in ein- und demselben Text. Und nicht selten hatte man bei der Lektüre das Gefühl, dass vom Autor wiederholt nach dem Motto »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern« verfahren wurde: Was gestern noch auf diffuse Art belobigt und gepriesen wurde (die Superpostmoderne, Helmut Kohl, der »große Michail Gorbatschow«, der »kreative« »Künstler« Rainald Goetz), wurde kurze Zeit später verdammt und verlacht (die Scheißpostmoderne, Helmut Kohl, der »hinterhältige« Gorbatschow, der »akoholisierte Halbstarke« Rainald Goetz). So etwas wie eine Haltung oder Überzeugung schien nicht vorhanden zu sein, Hauptsache war, die Sätze klangen wie Ohrfeigen.

In den ausgehenden 80er Jahren, als Biller, der damals in seinen Endzwanzigern war, als Kolumnist bei der Schnöselzeitschrift »Tempo« anheuerte, die gerade neu entstanden war und den subjektiven new journalism US-amerikanischer Prägung mit deutschem Mode- und Zeitgeistgeschwätz zu verschmurgeln versuchte, war eine so ausgeprägte Meinungsfreude im eher drögen und biedersinnigen deutschen Pressewesen ungewöhnlich (woran sich bis heute genaugenommen auch nicht viel geändert hat). Biller jedoch traute sich, als eine Art selbsternannter Experte für alles und nichts, auch vermeintlich Unantastbaren wie der Preußenschachtel und langjährigen »Zeit«-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff eine »Penetranz, die einfach nervt«, zu bescheinigen sowie Berufsunfähigkeit nachzuweisen: »Dass über ihren sprachlichen Stil selbst Dönhoff-Freunde lachen, sei nur am Rande erwähnt. Die große Pfäffin Dönhoff schreibt wie ein Kind: naiv, uninspiriert, schematisch.«

Auch gegen die ihm verhassten bärtig-protestantischen, »fad-spießigen DDR-Müslis« sowie deren »Pseudo-68er-Hippie-Esoterik-Umwelt-Christen-Quatsch« und die Sozis, Grünen und Linksliberalen aus dem Westen, die alles verkörperten, was der junge und großmäulige Biller seinerzeit verabscheute (Larmoyanz, moralinsaures Salbadern, pfäffische Sonntagsreden, Verkniffenheit, Langeweile), teilte er damals genauso aus wie gegen die allgegenwärtigen alten und neuen deutschen Nazis und »Spießer«. Das war schön. Zumindest solange man von dem regelmäßig eingestreuten misogynen Gezeter des erkennbar überambitionierten Autors absah.

Vieles an diesen alten Kolumnen - fast alle entstanden zwischen 1987 und 1999 - ist lesenswert, vor allem enthalten sie oft bis heute gültige, treffende Beschreibungen bestimmter Personen und Dinge. So lesen wir etwa von der »Valium-Zeitschrift ›Lettre‹«, vom »Poesiealbumslyriker« Erich Fried, , erfahren aber auch alles Notwendige über Ulrich Tukur (»blonde Schönheit und grenzenlose Dämlichkeit gehen Hand in Hand«), Franz Beckenbauer (»bayerischer Parvenü mit Hundesalonbesitzer-Charme«), bundesdeutsche Spitzenpolitiker (»selbstzufriedene, gelbgesichtige Provinzflaschen«), Münchner (»obwohl Münchner lesen und schreiben können, sind sie dumm wie Pferdescheiße«) und die Deutschen insgesamt (»neurotische Beamte und flachgesichtige Angestellte … wenn sie einen dunkelhaarigen, unrasierten Menschen entdecken, reagieren sie verwirrt und aggressiv«).

Wenn Biller, der meist selbst zu jenem Pathos, zu jenem erhobenen Zeigefinger und jener moralgesättigten Besserwisserei neigt, die er anderen vorzuwerfen nicht müde wird, auch nie verstanden hat, was Humor ist bzw. zuweilen größte Schwierigkeiten hat, ihn zu dechiffrieren - Recht hat der Mann zufällig immer wieder gehabt, sieht man einmal davon ab, dass er mindestens genauso oft Unrecht hatte. Recht hat Biller auch mit der im Folgenden zitierten Passage behalten, denn die verzweifelt anmutenden Versuche eines Teils der Post-68er-Deutschen, einen südländisch inspirierten, hedonistisch-entspannten Lebensstil wenigstens zu simulieren und als Toskana-Genussmenschen wahrgenommen zu werden, gehen auch heute noch zuverlässig fehl: »Diese levantinische Lässigkeits-Epidemie ist aufgesetzt. Sie passt nicht zum Deutschen, denn der Deutsche ist tiefsinnig, melancholisch und gewissenhaft, also ein Wintermensch, und als solcher sollte er - statt kiloweise Cassata zu fressen oder wie ein Strandneger in Bermuda-Shorts herumzulaufen - über den Ernst des Lebens nachdenken, putzen, malochen, Völkerball spielen oder sich vor Stalingrad die Füße abfrieren lassen.«

Doch auch die lustigen Fehlurteile Billers, die sich in der Rückschau teils lesen, als stammten sie von einem Lobotomierten, der während der vergangenen 70 Jahre unter einem Stein gelebt hat, lohnen die Wiederlektüre: »Man kann sagen, was man will: Die SPD hat eine prima Tradition und einen halbwegs integren Gerechtigkeitssinn.« An dem Komiker und Filmemacher Woody Allen kritisierte Biller etwa 1988, dass seine Komödien, die »keinen mehr zum Lachen« brächten, nur von »attitüdenhaft verklemmten Linksintellektuellen mit Potenzschwierigkeiten« handeln. Allen, so schreibt Biller außerdem, sei nichts als ein »halbgebildeter kleiner TV-Autor«, der »edle Klatschgeschichten« erzähle. Man kann als Leser der Billerschen Invektiven hier erahnen, dass der halbgebildete kleine Verfasser dieser Zeilen, ein Teilzeitklatschgeschichtenerzähler, der als Kolumnist eines windigen Zeitgeistmagazins firmiert, tatsächlich gern selbst wie Woody Allen wäre. Ob der Intellektuelle Biller seinerzeit an einer ausgeprägten Potenzschwäche litt, ist allerdings nicht bekannt.

Der Umstand, dass der Kolumnist in den 80ern das »rechtsliberale Feuilleton der rechtsradikalen ›FAZ‹« ebenso wenig leiden konnte wie den damals umstrittenen konservativen Haushistoriker des Blattes, den »Wichser Nolte« (Biller), ist heute nicht ganz ohne Komik, bedenkt man, dass Biller derzeit eifrig für die Sonntags-»FAZ« Kolumnen schreibt. Ob nun aber die ›FAZ‹ nicht mehr so rechtsradikal ist wie früher oder Biller sehr viel milder und versöhnlicher gegenüber Rechtsradikalen geworden ist, lässt sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen.

Maxim Biller: Hundert Zeilen Hass. Kolumnen. Verlag Hoffmann & Campe, 399 S., geb., 25 €.

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