Wenn der Ude den Sarrazin macht

Bayern: Der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker rechnet mit dem »Establishment« ab

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.

Während im Nachbarland Österreich der Innenminister überlegt, am Brenner Panzer auffahren zu lassen, um etwaige Flüchtlinge zu stoppen, sorgt in Bayern Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) für Aufsehen. In seinem neuen Buch »Die Alternative« wettert er gegen »Lichtgestalten« und die »postfaktischen Thesen« der »Freunde offener Grenzen« und fragt hinsichtlich der Flüchtlingsfrage, ob jeder »besorgte Biedermann« auch ein »Brandstifter« sein müsse.

Montagabend, das Bildungszentrum der Münchner Volkshochschule an der Einsteinstraße 28. Christian Ude, langjähriger Ratshauschef und 2013 Spitzenkandidat der bayerischen SPD im Landtagswahlkampf, stellt sein neues Buch »Die Alternative oder Macht endlich Politik!« vor. Der Saal ist voll und die Veranstaltung wird per Video in den Eingangsbereich übertragen, das Publikum besteht meist aus älteren Zuhörern. Ude, seit 2014 in Pension, erscheint mit zwei Sicherheitsleuten, strahlt das Lächeln eines finanziell im Alter Abgesicherten, genießt sichtlich das Rampenlicht und sollte eigentlich von Giovanni di Lorenzo, dem Chefredakteur der Wochenzeitung »Die Zeit« interviewt werden. Beide hätten sicherlich ein schönes Beispiel narzisstischen Zusammenspiels abgegeben. Doch di Lorenzo weilt in der Türkei wegen eines Erdogan-Interviews und ein anderer »Zeit«-Redakteur macht den Stichwortgeber.

Und was ist jetzt mit der »Alternative«, ein Titel, der sich seltsam eng an »Alternative für Deutschland« anschmiegt? Macht Ude jetzt den süddeutschen Sarrazin? Um diesen Verdacht zu entkräften, weist der 69-Jährige darauf hin, wo er engagiert ist: Zum Beispiel bei der Äthiopienhilfe, beim Verein gegen rechtsextreme und rassistische Gewalt und beim NS-Dokumentationszentrum. Da dürfe man doch mal sagen, was gesagt gehört, ohne dass man in die rechte Ecke gestellt werde.

Zum Beispiel, dass der Flüchtlingsansturm nach Norden in Zukunft ein »gigantisches Problem unwahrscheinlichen Ausmaßes« darstellen werde. Ude möchte diesbezüglich »manchen Moralisten vom hohen Ross« herunterholen. Etwa bei der Verurteilung der ungarischen Flüchtlingspolitik von Viktor Orbán. Denn nur weil die Balkanroute geschlossen und Zäune errichtet wurden, seien die Flüchtlingszahlen zurückgegangen: »Niemand erwartet, dass alle Merkelianer in CDU, SPD und FDP sowie bei den Grünen und LINKEN sich bei Viktor Orbán bedanken, aber sie könnten doch wenigstens so ehrlich sein, insgeheim zu bedenken, dass sie da Schwein gehabt haben und dass ohne die von ihnen verachteten und gebrandmarkten Maßnahmen die eigene Hütte längst brennen würde.«

Ude bringt auch schon mal ins Spiel, dass wenn man schon bei Flüchtlingen mit Bleiberecht oder Abschiebehindernissen am »Rand der Überforderung« angelangt sei - »nicht bei der Willkommensparty am Bahnhof, sondern in den Monaten und Jahren danach«, bemerkt er dazu abwertend in einem Nebensatz - dann verbiete es sich, den Kreis der Bleibeberechtigten »grenzenlos auszuweiten«. Ude ist hier anscheinend ganz bei der Flüchtlingspolitik der CSU. Und wie ist das mit der Rettung Flüchtender aus Seenot durch Hilfsorganisationen? »Ich wage kein Urteil, weil ich das Engagement bewundere und die Auswirkungen kritische sehe«, schreibt Ude. Ja und, wo ist sie denn jetzt, die Alternative?

Die Antwort des ehemaligen Spitzenpolitikers der bayerischen SPD lässt konkrete Antworten vermissen, die »Alternative« erschöpft sich meist »in einem Sagen, was ist«, in »Sachpolitik«. Fragt sich nur, in welcher. Seltsam muten dabei die Belehrungen an das politische »Establishment« an, doch endlich Politik zu machen. Wo war Ude in den vergangenen 20 Jahren? Auf Mykonos? Oder war er nicht als Oberbürgermeister einer der erfolgreichsten Kommunalpolitiker der SPD mit weitreichenden Verbindungen in seiner Partei? Irgendwann im Vortrag hält dann im hinteren Teil des Saales ein Zuhörer ein Schild in die Höhe. »Thilo Ude« ist darauf in Anspielung auf Sarrazin zu lesen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal