Rechtsbruch im Mittelmeer

Gutachten erklärt Libyens Vorgehen gegen Seenotretter als unzulässig

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir können nicht einfach Menschen im Mittelmeer retten und sie dann zwingen, zurück nach Libyen zu gehen«, schrieb die in Malta ansässige Seenotrettungsorganisation MOAS am Montag in einer Erklärung. Man wolle nun seine Aktivitäten nach Südostasien verlegen. MOAS ist damit die vierte Nichtregierungsorganisation, die ihre Rettungsmissionen im Mittelmeer aussetzt. Sie hatte zuvor den von Rom geforderten und vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages als völkerrechtswidrig eingestuften Verhaltenskodex unterschrieben. Hintergrund für ihre aktuelle Entscheidung dürfte neben dem anhaltenden politischen Druck die Ausrufung einer 74 Meilen großen »Such- und Rettungszone« durch die libysche Einheitsregierung vor einigen Wochen sein.

Nachdem die EU eine weitere finanzielle Unterstützung der libyschen Küstenwache verkündet hatte, erklärte die Einheitsregierung unter Ministerpräsident Fajes al-Farradsch, in einer den nationalen Hoheitsgewässern (zwölf Meilen) nachgelagerten Zone privaten Hilfsorganisationen die Durchfahrt zu verweigern. Aufgebrochene Flüchtlinge sollten damit wieder zurück nach Libyen gebracht und Seenotretter offenbar vertrieben werden. Man beanspruchte die alleinige Hoheitsgewalt. Die Maßnahme war ein wesentlicher Baustein in der Strategie Italiens und der EU, die Flüchtlingsbewegungen über die zentrale Mittelmeerroute zu stoppen.

Im August kam es dann zu zwei Zwischenfällen, in denen die libysche Küstenwache Hilfsorganisationen attackierte: Anfang des Monats hätten Milizen bei einem Zusammentreffen in internationalen Gewässern Warnschüsse abgefeuert, erklärte die spanische NGO »Proactiva Open Arms«. Per Funk habe man ihnen gedroht: »Nächstes Mal schießen wir auf Sie.« Knapp eine Woche später wurde das Schiff »Golfo Azzurro« unter Waffengewalt gezwungen, Richtung Tripolis zu fahren. Eine an Bord anwesende Richterin setzte sich per Telefon mit der EU-Marinemission Eunavfor Med in Kontakt. Erst Stunden später durfte das Rettungsschiff weiterfahren. »Kommt ihr wieder, schießen wir«, habe man laut der Organisation auch ihnen gesagt. Die Boote der libyschen Küstenwache sollen in beiden Fällen aus Italien stammen. 200 Millionen Euro wendet die EU auf, um Tripolis zu unterstützen.

Laut einem neuen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verstößt Libyen jedoch mit der Behinderung der Seenotretter gegen das Völkerrecht. In dem Gutachten heißt es, das Recht auf freie Schifffahrt gelte auch für eine Such- und Rettungszone jenseits des Küstenmeers. Die Behinderung von Rettungseinsätzen sei dort nicht zulässig.

Diese Einschätzung stellt die umstrittene Zusammenarbeit zwischen Berlin und Tripolis in Frage. »Die Bundesregierung weist die libysche Einheitsregierung sowie die Küstenwache regelmäßig darauf hin, dass es nicht zu völkerrechtswidrigen Einschränkungen von Seenotrettungen kommen darf«, heißt es lediglich aus dem Auswärtigen Amt gegenüber »nd«. Die Operation Sophia vermittele im Rahmen der Ausbildung der libyschen Küstenwache zudem »Grundlagen des Seerechts, des Völkerrechts und der Menschenrechte.«

Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, kritisiert diese Perspektive: »Die libysche Küstenwache ist eine kriminelle Bürgerkriegsmiliz, die auf Recht und Gesetz pfeift und in schlimmste Verbrechen verwickelt ist.« Die Zusammenarbeit von Bundesregierung und EU mit diesen »Gangstern« müsse sofort eingestellt werden. Sonst machten sie sich der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen schuldig. »Bundesregierung und EU müssen die Unterstützung der libyschen Machthaber unverzüglich einstellen«, forderte auch Grünen-Parteichefin Simone Peter. Sie nannte es in Berlin »hochgradig schizophren«, wenn die Bundesregierung »unter dem Banner der Schlepperbekämpfung mit gemeinen Kriminellen zusammenarbeitet«.

Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Italien kommen, ist derweil drastisch zurückgegangen. Der Weg nach Europa ist so gut wie versperrt. Hinweise verdichten sich, dass Italien über die libysche Einheitsregierung auch lokale Milizen finanziert, damit diese die Schutzsuchenden an einer Überfahrt nach Sizilien hindern. Gegenüber der Nachrichtenagentur AP berichteten Sprecher der im Westen des Landes aktiven Milizen »Brigade 48« und »Al-Ammu«, dass sie eine Vereinbarung mit Rom und Tripolis geschlossen hätten. Laut Anwohnern der Küstenstadt Sabratha waren die Einheiten zuvor in Schmuggelgeschäfte involviert. »Die Schlepper von gestern sind die Anti-Schlepper-Kraft von heute«, kommentierte ein libyscher Sicherheitsbeamter. Italien wies die Vorwürfe zurück. Das UNHCR geht davon aus, dass sich noch mehrere Hunderttausend Flüchtlinge in Libyen befinden. Sprecher Marco Rotunno: »Diese hängen nun alle hier fest und werden missbraucht.«

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