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Vertrieben nach Mauritius

Shenaz Patel enthüllt eine kaum bekannte Tragödie

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Mauritius: Da denkt man an die blaue Briefmarke, die zuletzt einen Auktionspreis von über einer Million Euro erzielte. Shenaz Patel wurde 1966 auf Mauritius geboren. Sie hat ihren Roman Charlesia, Raymonde und deren Sohn Désiré gewidmet, »die mir ihre Geschichte anvertraut haben« und jetzt kümmerlich auf Mauritius leben.

• Shenaz Patel: Die Stille von Chagos. Roman.
A. d. Franz. v. Eva Scharenberg. Weidle, 160 S., geb., 18 €.

Die beiden Frauen stammen von der Insel Diego Garcia, die zum Chagos-Archipel gehört, einem letzten Überbleibsel des riesigen Kolonialreiches »East of Suez« des britischen Imperiums. »British Indian Ocean Territory« ist der offizielle Name, die Hauptinsel ist indes seit 50 Jahren an die USA verpachtet, die dort einen Militärstützpunkt unterhalten mit modernsten Lauschanlagen, Langstreckenbombern, Kriegsschiffen verschiedener Größe, U-Booten und einem Arsenal an Nuklearwaffen.

Die etwa 2000 Chagossianer wurden seinerzeit zwangsweise auf die Seychellen und nach Mauritius umgesiedelt, wo sie als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Désiré, der Sohn von Raymonde, ist auf der Deportationsfahrt auf dem ausgemusterten norwegischen Schiff »Nordvaer« geboren. Seine Geburt wurde bei einem Zwischenhalt auf den Seychellen beurkundet, seitdem hat er die dortige Staatsangehörigkeit. Das ist der Hintergrund für einen Roman, der sich als »Vertreibung aus dem Paradies« in der Gegenwart liest, als Kolonialgeschichte seit der frühen Neuzeit, als persönliche Tragödie unschuldiger Menschen, die einem strategisch-militärischen Kalkül weichen mussten.

Die Autorin erzählt einfühlsam vom einfachen Leben der Chagossianer vor der Vertreibung. Sie findet poetische Worte für die vom Meer beherrschte Natur auf der Insel, deren Name sich von dem spanischen Entdecker herleitet, der den Archipel 1544 dem portugiesischen Imperium einverleibte. Ende des 17. Jahrhunderts beanspruchte Frankreich die Inselgruppe für sich, und obwohl sie Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen mit Mauritius an Großbritannien ging, blieb Französisch mit einer eigenen Version des Kreolischen die Umgangssprache. Die Autorin hat ihren Roman in dieser »Sprache der Freiheit« verfasst, Eva Scharenberg hat ihn behutsam übersetzt. Aus wechselnder Perspektive eröffnet sich dem Leser ein idyllisches, immer aber realistisches Bild einer Lebensweise, die auf Selbstversorgung, menschenwürdiger Arbeit, familiärem und nachbarschaftlich gestütztem Glück beruht. Die Kinder schlürfen Schildkröteneier, selbst geangelte Fische werden zu einer Bouillabaisse verarbeitet. Die Kokosnuss dient als Nahrung und ihre Fasern zur Herstellung von Textilien.

Shenaz Patel erzählt das alles nach den Erinnerungen der beiden von dort stammenden Frauen. Désiré, der von seiner Umgebung meist »Nord« gerufen wird, weil er auf der »Nordvaer« geboren wurde, ist der im Prekariat lebende Zeuge der Diskriminierung der Chagossianer auf Mauritius, wo sie Fremde bleiben, kaum Arbeit finden, in Armutsvierteln hausen. Alle ihre Versuche, auf juristischem Wege ihre Rückkehr nach Chagos zu erzwingen, sind bislang gescheitert.

Schön geheim hatten die USA auf Diego Garcia ein zweites - oder wie vieltes? - Guantanamo errichtet. Die internationale Rechtsordnung hatte bisher kein Erbarmen mit den Vertriebenen. Der 2016 ausgelaufene Pachtvertrag Großbritanniens mit den USA ist gerade um 20 Jahre verlängert worden. Das formal noch zur EU gehörende »British Indian Ocean Territory« ist eine Schande. Der Roman »Die Stille von Chagos« legt sie literarisch bloß.

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