Worthülsen und hohe Hürden

Hessen: Das jahrelange Tauziehen um die Überarbeitung der Landesverfassung geht zu Ende

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Im jahrelangen Tauziehen um eine Verfassungsreform in Hessen zeichnet sich beim dritten Anlauf seit 2005 endlich ein Ergebnis ab - wenn auch ein relativ bescheidenes. So einigten sich die Mitglieder einer Enquetekommission des Landtags dieser Tage auf eine Liste von 15 konkreten Punkten zur Ergänzung beziehungsweise Abänderung der Ende 1946 in Kraft getretenen Landesverfassung.

Die Änderungsempfehlungen hatten die Vertreter von CDU, SPD, Grünen und FDP als kleinsten gemeinsamen Nenner ausgearbeitet. Sie sollen Mitte Dezember dem Landtagsplenum zur Beratung vorliegen und dann voraussichtlich im Herbst 2018 zeitgleich zur Landtagswahl per Volksabstimmung verabschiedet werden. Hessen ist das einzige Bundesland, in dem das Wahlvolk auf Vorschlag des Landtags das letzte Wort über Verfassungsänderungen hat.

Viele der 15 Änderungspunkte sind auf die Ausweitung der sogenannten Staatsziele gerichtet. Dazu gehören die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, Kinderrechte, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, eine stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeit, die Förderung von Kultur, Ehrenamt und Sport sowie ein Bekenntnis zur europäischen Integration. Verfassungsrang erhalten demnach auch die Förderung von Infrastruktur und angemessenem Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingungen sowie die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

»Das ist ausschließlich Symbolpolitik und beinhaltet nichts als leere Versprechungen, da die Bürger diese Ziele nicht klageweise durchsetzen können und niemand für deren Einhaltung sorgen kann«, bemängelt der Landtagsabgeordnete Ulrich Wilken (LINKE). Seine Fraktion war von der auf Abgrenzung bedachten CDU, die den Ton angab, nicht an der Konsensfindung beteiligt worden, will aber einem Teil der Änderungen zustimmen.

Unstrittig unter allen Fraktionen ist die Streichung der bisher in den Verfassungsartikeln 21 und 109 vorgesehenen Todesstrafe. Dieses höchste Strafmaß war 1946 offensichtlich auf ranghohe NS-Verbrecher gemünzt und fand in Hessen nie Anwendung, weil Bundesrecht Landesrecht bricht. »Die Todesstrafe ist abgeschafft«, so steht es im Grundgesetz von 1949. Unstrittig ist auch eine Senkung der Altersgrenze für die Wählbarkeit zum Landtag von bisher 21 auf 18 Jahre - was anderswo im Bund und auch für andere Wahlen in Hessen längst üblich ist.

Zur »Stärkung der Volksgesetzgebung« sollen die Hürden für den Erfolg landesweiter Volksbegehren und Volksentscheide künftig bei fünf beziehungsweise 25 Prozent aller Stimmberechtigten liegen. Somit wäre ein Begehren nur dann erfolgreich, wenn mindestens ein Viertel des Wahlvolks tatsächlich dafür stimmt.

Ein solches Zustimmungsquorum von 25 Prozent sei »im Bundesvergleich immer noch sehr hoch«, kritisiert Anne Dänner vom Verein »Mehr Demokratie« und verweist darauf, dass etwa in Bayern überhaupt kein Quorum für die Annahme einfacher Gesetze per Volksabstimmung bestehe. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein liegt die Schwelle bei 15 Prozent, in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen bei 20 Prozent aller Stimmberechtigten. Auch in Hessen nimmt niemand Anstoß daran, dass direkt gewählte Oberbürgermeister oft deutlich weniger als ein Viertel des Wahlvolks hinter sich haben. So wurde der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, Peter Feldmann (SPD), 2012 von einem Fünftel ins Amt gewählt und Wiesbadens einstiger OB Helmut Müller (CDU) bei der Direktwahl 2007 von nur 17,6 Prozent der Wahlberechtigten.

Unangetastet bleiben sollen markante Artikel in der Landesverfassung zur Sozialisierung wichtiger Industriebranchen und zur Enteignung bei Missbrauch wirtschaftlicher Macht. Gleiches gilt für Artikel zum Recht auf Arbeit, zum Aussperrungsverbot, zur Ächtung von Kriegen, zum Asylrecht sowie zum Antifaschismus. Zwar wollten CDU, Grüne und FDP einige dieser Bestimmungen streichen oder inhaltlich aufweichen. Weil jedoch neben der Linksfraktion auch SPD und DGB nicht mitgezogen hätten, fanden sich die anderen Parteien auch mit kapitalismuskritischen Aussagen ab. Auf eine polarisierte öffentliche Diskussion dieser Fragen mit offenem Ausgang in der Volksabstimmung wollte es der Bürgerblock offenbar nicht ankommen lassen. Auch der von CDU und Kirchen geforderte Gottesbezug soll nicht in die Verfassung aufgenommen werden.

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