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»Unter der Oberfläche bewegt sich etwas«

Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst über ihre jüngste Reise nach Iran, wo angesichts des angespannten Verhältnisses zu den USA die Kooperation mit Europa eine immer größere Rolle spielt

Nach vier Jahren weilten Sie vor Weihnachten mit einer Parlamentsdelegation erneut zu Gesprächen in Iran. Was hat sich seit Ihrer letzten Reise getan?

Das alte Misstrauen der Eliten in Iran gegenüber dem Westen ist ungebrochen. Und doch erlebten wir vier Jahre nach unserer letzten Reise einen spürbaren Wandel. 2013 wurden wir als erste offizielle Delegation des Europaparlaments schon auf dem Teheraner Flughafen hermetisch abgeschirmt. Damals öffneten sich nach Jahrzehnten vorsichtig die Türen der Macht und im Land wir erlebten eine Gesellschaft, die wach und aufgeschlossen jeden Millimeter Bewegung wahrnimmt. 2013 mussten wir uns noch von Klerikern wie Rafsanjani über unsere Politik belehren lassen, verbunden mit schlimmen antiisraelischen Attitüden. Aber Ende 2017 sind die Signale klar auf Kooperation mit Europa gestellt. Die Hauptbotschaft ist: Das Anti-Atom-Abkommen mit Iran muss eingehalten werden. Außenminister Zarif stellte uns gegenüber klar, dass Iran auch ohne die USA an diesem Abkommen festhalten wird, sofern die Europäer mitmachen. »Ihr seid doch die Erwachsenen«, meinte er zu uns, eine unüberhörbare Forderung nach einer eigenständigeren Politik der EU. Zarif lehnt Neuverhandlungen zum Abkommen ab, weil damit die Büchse der Pandora geöffnet würde. Überall wohin wir kamen, wurde diese Position geteilt, auch außerhalb der wohldekorierten Räume.

Das heißt, Iran orientiert sich weltpolitisch weniger an den USA oder Russland, sondern vor allem an Europa?

Kooperation mit Europa ist das große Thema in Iran. Parlamentspräsident Larijani eröffnete uns einen ganzen Katalog von Vorschlägen zur Zusammenarbeit, weit über den Nuklear-Deal hinaus. So führt beispielsweise die Sanktionspolitik im Bankenbereich dazu, dass Investitionen in Iran nur schwer möglich sind. Die Wirtschaft braucht aber Anschub, um die Lebensbedingungen zu verbessern. Hier sieht er Europa als Partner. Ein anderes großes Problem, bei dem Iran auf die Unterstützung aus der EU hofft, ist die gewaltige Luftverschmutzung und die Austrocknung ganzer Regionen. Wer durch Teheran geht, kann das ohne Mundschutz immer weniger durchhalten. Die Stadt ist mit Autos vollgestopft, ganze Seen und Flusslandschaften sind den Staudämmen zum Opfer gefallen.

Ein weiteres spezifisches Problem sind über drei Millionen Drogenabhängige in Iran. Händeringend bitten die Iraner um Hilfe. Dass ich unter dem Bild des gestrengen Chamenei mit Aktivisten über erneuerbare Energien und proaktive Drogenpolitik würde reden können, war wirklich nicht abzusehen.

Wird sich die EU auf diese Wünsche einlassen? Schließlich handelt es sich bei Iran ja keinesfalls um einen demokratischen Staat.

Das ist richtig. Aber erstens sollten wir nicht unsere europäische Demokratievorstellungen zur Vorgabe für andere Staaten erheben. Und zweitens tut sich etwas in Iran. Zum Beispiel bei den Frauenrechten. Die Parlamentarierinnen, mit denen wir sprachen, unterliegen zwar der »schwarzen Kluft« und von Geschlechtergerechtigkeit kann wirklich keine Rede sein. Und doch gibt es jetzt deutlich mehr Frauen im Parlament, bestens ausgebildet und mit großem Selbstbewusstsein. Als wir im Teheraner Parlament einer Debatte folgen konnten, waren sie überall anzutreffen, als Journalistinnen, Abgeordnete und Studentinnen. Und das ist wohl generell typisch für Iran.

Was auch immer das Regime zur Disziplinierung der Untertanen tut, unter der Oberfläche regt und bewegt es sich. Das beweist, dass die Islamische Republik eine gewisse Flexibilität an den Tag legt, auch getrieben von den Hoffnungen einer jungen Generation. Als wir abends unterwegs waren und mit Teheranern reden konnten, sagte man uns: Das eine ist, dass wir besser leben wollen, das andere: wir wollen frei sein. Zur Freiheit gehören Musik und Tanz, aber auch das freie Internet, Rede- und Versammlungsfreiheiten.

Die Meinungsfreiheit gehört zu den universellen Menschenrechten, die auch von Teheran gewährleistet werden müssen. Das hat mit einer eurozentrischen Sicht nichts zu tun.

Genau, und darauf dringe ich auch. Nicht nur bei der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sondern insbesondere bei der Abschaffung der Todesstrafe. Genau hier sind die Grenzen des Regimes erreicht. Der Chef des Human Rights Committee ließ keine Zweifel aufkommen, indem er verteidigend feststellte: »In Iran gibt es keine Rede- und Pressefreiheit.« Und nichts deutet auf einen Wandel hin. Fehlende Freiheitsrechte sind das größte Problem. Umso wichtiger ist ein ernsthafter Menschenrechtsdialog mit Iran, ohne doppelte Standards und eine europäische Politik, die auf Ausgleich, soziale und friedliche Entwicklung ausgerichtet ist. Dafür ist der Weg frei, ob ihn die EU beschreitet, werden wir sehen. Für den Nahen und Mittleren Osten wäre es ein wichtiger Schritt.

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