Zu viel Kritik

Personalie

Es ist Usus, dass sich internationale Finanzinstitutionen Chefökonomen leisten, die für eine progressivere Wirtschaftspolitik stehen als sie selbst. Normalerweise arrangiert man sich, doch in der Weltbank brach ein Konflikt offen aus: Chefökonom Paul Romer kritisierte kürzlich die Methodik des Länder-Rankings für Unternehmerfreundlichkeit, in dem selbst die großen Schwellenländer China, Brasilien und Indien auf den hinteren Plätzen landeten. Einem Ex-Kollegen warf er sogar vor, über Jahre die Daten über Chiles Wirtschaft manipuliert zu haben, um der sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet zu schaden und ihren konservativen Gegner zu unterstützen. Der Konflikt spitzte sich in den letzten Tagen zu - nun legte Romer sein Amt mit sofortiger Wirkung nieder. Offenbar gab es intern keinen Rückhalt für ihn, dem Mitarbeiter einen ruppigen Stil vorwarfen. Romer werde wieder als Professor an der Universität New York arbeiten, erklärte Weltbank-Präsident Jim Yong Kim und lobte dessen »Ehrlichkeit«.

Die falsche Verwendung von Zahlen kann Romer gar nicht leiden. In jungen Jahren studierte der heute 62-Jährige an der Universität Chicago erst Mathematik, bevor er zur Volkswirtschaftslehre wechselte. Als Professor in Chicago, Berkeley, Stanford und seit 2010 in New York machte er sich einen Namen mit dem »Romer-Modell«: einer mathematischen Beschreibung des Wirtschaftswachstums, die technischen Fortschritt als zentrale Größe ansieht und gegen die überholten neoklassischen Modelle gerichtet war. Und er brach die »Mathiness«-Debatte vom Zaun: Er warf der Forscherelite vor, in volkswirtschaftlichen Analysen mit einer Unmenge irrelevanter mathematischer Formeln eine ideologische Agenda zu verschleiern. Auch deshalb kehrte er seiner Zunft den Rücken und ging zur Weltbank, wo er einen Vertrag bis September 2020 bekam. In der größten Institution, die Entwicklungsprojekte finanziert, hoffte er, etwas dafür tun zu können, dass sich die Lebensbedingungen von Armen verbessern. Doch nun holten den bekennenden Trump-Gegner die Missstände in der Wirtschaftswissenschaft ein.

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