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Ja, ich will nicht
Als ihre Mutter einen neuen Mann kennenlernt, ist Zeinabs Leben nicht mehr das eines normalen Berliner Mädchens. Sie soll in den Libanon. Chronologie einer Zwangsheirat
Erst nahm er sich von mir, was er wollte. Danach fing er an, sich daran zu gewöhnen, mich zu schlagen. Ich wurde schwanger, verlor das Kind wegen der Prügel. Das ist schlecht, oder? Zeinab* blickt hilfesuchend in den Raum als bedürfe es wirklich einer Antwort auf diese Frage. Zeinab ist 24 Jahre alt, geboren in Berlin. Eigentlich ist sie eine normale deutsche Frau mit libanesischem Migrationshintergrund. Geboren in der Berliner Charité in Wedding, wie so viele Berliner auch. Doch ihr Geschichte ist nicht normal.
Ihre Kindheit ist unbeschwert und friedlich. Sie geht in den Kindergarten. Sie feiert Weihnachten und Ramadan. In der Grundschule verliebt sie sich in Yasin. Daraus wird aber nichts. Yasins Eltern sind nicht einverstanden, auch wenn es nur Kinder sind, nichts Ernstes. Sie haben eine andere religiöse Auslegung der islamischen Religion. Manchmal denkt Zeinab noch an ihn. Doch die Geschichte ist lange vorbei und völlig harmlos im Vergleich zu dem, was danach kommt. Es gibt Liebesgeschichten, die nur aus einem Blickwinkel normal scheinen.
Zeinab ist 19 Jahre alt als ihre Mutter zum zweiten Mal heiratet. Khadijah, die Zeinab und ihre drei kleinen Geschwister allein großgezogen hat, lebt fortan mit einem echten Patriarchen zusammen. Für ihren leiblichen Vater war der Alkohol die einzige Liebe. Er verließ die Familie und lebt heute allein in einer Wohnung im Stadtteil Moabit. Der Stiefvater ist zwar neu in den Familienstrukturen, gibt aber schnell den Ton an. Er hat eine Idee. Ein Familienurlaub in Libanon, das Land, aus dem sie alle stammen. Im Hinterkopf gärt da schon sein hässlicher Plan. Die Familie zieht in die Wohnung dieses Mannes. Zeinab richtet sich in einem Mädchenzimmer ein. Eines Abends legt sie sich schlafen, als ihre Mutter herein kommt. Sie macht es kurz und schmerzvoll. Der Urlaub wird kein normaler Familienurlaub werden, sagt sie. Zeinab wird morgen heiraten. Sie wird Ehefrau eines Mannes, von dem sie nichts weiß. In Zeinabs Wahrnehmung ihrer Religion ist es nicht möglich, eine Frau zu verheiraten, wenn sie es nicht will. Doch das interessiert niemanden an diesem »verfluchten Ort«, wie Zeinab ihr Elternhaus in Libanon ab jetzt nennt. Am nächsten Tag trifft sie den drei Jahre älteren Hassan. Sie fragt sich, ob es ein Zufall ist, dass er so heißt wie der Verlierer, der ihr leiblicher Vater ist? Zeinab und Hassan werden verheiratet. Mit verweinter Schminke führt man Zeinab wortlos vorbei an ihrer Mutter in einen schwarzen BMW, der sie in ihr neues Schlafgemach bringt. Dort wird sie von ihrem Ehemann vergewaltigt. Das ist sie also, ihre Hochzeitsnacht. Irgendwas in ihr stirbt. Dass es die Liebe zu ihrer Familie ist, kann sie noch nicht ahnen.
In den Tagen darauf wird ihr schlecht, sie übergibt sich. Zeinab ist schwanger. Ab jetzt trägt sie ein Kind von einem Mann in ihrem Körper, den sie kaum kennt. Eigentlich ist das schon die Höchststrafe. Doch es geht noch schlimmer. Abends kommt ihr Mann von der Arbeit heim, wenn sie sich ihm verweigert, beginnt er, sie zu verprügeln. In einem Beiruter Krankenhaus zeigt sie ihrer Mutter ihre Wunden und Narben. Sie will sich offenbaren, doch statt Zuspruch und Wärme zu erfahren, sagt ihre Mutter: »Mach mir keine Schande.«
»Arabische Frauen müssen das aushalten«, sagt sie. Zeinab versteht sich, ihre Familie, die ganze Welt nicht mehr. Sie ist in dem Glauben aufgewachsen, alle arabischen Frauen seien Prinzessinnen. Was hat sie in ihrem Leben falsch gemacht, warum gehört sie nicht dazu?
Zeinab fühlt sich wie gelähmt. Das Kind, das in ihrem Bauch heranwächst, wird zum ersten Opfer eines Kampfes, den sie noch weiter zu führen hat. Es verträgt die Prügel nicht und stirbt, bevor es geboren wird.
Zeinabs Körper spielt verrückt. Sie schlägt ihrem Mann vor, nach Deutschland zu gehen. Zeinab ist deutsche Staatsbürgerin. In Deutschland könnten sie ein neues Leben beginnen. Hassan willigt überraschend ein. Zeinab darf nach Deutschland reisen, um den Nachzug ihres Mannes vorzubereiten. Fortan lebt sie wieder bei ihrer Mutter und dem Stiefvater, der ihr all das eingebrockt hat.
Zeinab spart Geld an. Sie arbeitet schwarz in einem Spätkauf. Im Hinterhof ihres Wohnhauses versteckt sie Geld, ihren Reisepass und ein Bild von ihrer kleinen Schwester unter den Mülleimern in einer eigens dafür ausgehobenen Grube. In ihren Gedanken tobt es. Ab morgen wird sie ihre Familie nicht mehr wiedersehen. Das weiß sie. Denn morgen wird sie von zu Hause weggehen. Für immer. Zeinab will frei sein. Mehr nicht. Sie weiß, dass man nach ihr suchen wird, dass man ihr das Leben dafür nehmen will, was sie getan hat. Ihr Vergehen ist, dass sie die Ehre der Familie beschmutzt hat. Nach dem Vergewaltiger, ihrem Ehemann, wird niemand fragen.
Mit den angesparten 2435 Euro kommt sie in einem abgewrackten Berliner Hostel unter. Sie vermisst ihre Familie, aber zurück kann sie nicht. Hannah, ihre elfjährige Schwester, ruft sie an. Sie will wissen, wo ihre große Schwester ist. Zeinab bekommt mit, dass andere mithören. Tränen rollen ihre Augen herunter. Wut macht sich in ihr breit. Wenn Zeinab jetzt aufgibt, wird man ihrer kleinen Schwester ebenfalls diese Tortur bescheren, da ist sie sich sicher. »Das darf nicht sein«, sagt sie.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Zeinab auf Rache sinnt. Jede einzelne Träne will sie vergolten haben. Was es sie kosten wird, ist ihr egal. Selbst wenn es ihr Leben ist.
Sie beginnt, in einer Bar zu arbeiten. Trifft Männer, die so wie der Rest ihrer Familie eine Rechtsprechung kennen, die es in Deutschland nicht gibt. Zeinab bekommt unmoralische Angebote für Beischlaf, aber auch unmoralische Angebote für das Ableben ihrer Peiniger. 5000 Euro für den Tod ihres Mannes. Zeinab lehnt ab.
Der Grund dafür sei ein Buch, das sie im letzten Monat gelesen hat. sagt sie. Ein libanesischer Junge war kurz davor aufzugeben. Doch er hat es, verlassen von seinen Freunden und seiner Familie, wieder zurück in ein normales Leben geschafft. Seine Stärke ist ihre Abendlektüre. Immer und immer wieder liest sie sein Buch. Sie kontaktiert ihn und trifft ihn sogar. Hass und Wut kennt dieser Mensch nicht. Er erzählt ihr von Vergebung. Wenn sie ihr Leben wieder bekäme, dann wäre es eine gerechte Strafe für alle, die ihr weh getan haben, da ist sie sich nun sicher. Ihre Angst wandelt sich in Lebenswillen. Sie beginnt eine Lehre zur Schneiderin.
An einem Freitag ruft sie ihre Schwester Hannah an. Mittlerweile trägt sie, die erst elf Jahre alt ist, ein Kopftuch. Sie erzählt ihr, dass Zeinabs Peiniger es irgendwie mit falschen Papieren nach Berlin geschafft haben soll. Er suche sie.
Zeinab will sich nicht verstecken. Sterben wolle sie eher, als wieder in die Fänge dieses Mannes zu geraten. An einer Dönerbude in Neukölln bekommt sie wenige Zeit später einen heftigen Schlag auf den Kopf. Ihr Ehemann will sich sein Recht nehmen, seine Ehre bewahren. Obwohl sie längst auf dem Boden liegt, schlägt und tritt er heftig auf sie ein. Zeinab trägt eine heftige Wunde an ihrer Schläfe davon und jede Menge geprellter Rippen.
Im Krankenhaus sind sie plötzlich alle wieder da, die Patriarchen. Es kommt ihr vor, als sei seit der Flucht aus dem Libanon nichts geschehen. Sie soll zu ihrem Mann zurück. Zeinab flieht geschwächt und verwundet aus dem Toilettenfenster. Wohin, das weiß sie selbst nicht. Ihre Ausbildung zur Schneiderin bricht sie ab. Dort würde man sie sicherlich als erstes suchen. Die Shishabar, in der sie gearbeitet hat, wird ihr neues Zuhause. Dort wird ihr erneut angeboten, ihr Problem mit Gewalt zu lösen.
Drei Wochen noch. Dann hat sie 3500 Euro zusammen. Damit wird sie sich ein Magenband legen lassen, denn der ganze Kummer hat sie krank gemacht. Sie aß. Das war der Drang danach, etwas Schönes für sich ganz allein zu haben. Ein halbes Jahr darauf wiegt sie nur noch 75 Kilo. Sie findet sich schön, schminkt sich. In ganz Neukölln erkennt sie niemand wieder. Jungs, denen sie die Nase blutig schlagen musste, weil sie sie bedrängt hatten, pfeifen ihr wollüstig hinterher. Zeinab atmet ihren Sieg ein. Sie kauft sich eine neue Uhr und neue Klamotten. In ihrer Freizeit hilft sie in einem Flüchtlingslager. Sie will etwas von ihrem neuen Leben teilen. Ihrer Geschichte ist nun etwas wert.
Während sie einem Geflüchteten bei Übersetzungsarbeiten im Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales hilft, lernt sie Youssef kennen. Er ist aus Irak und hat wie sie eine miese Geschichte hinter sich. Youssef war Soldat, der vor der Terrormiliz Da’esh floh. Sie verlieben sich und heiraten. Für Zeinab beginnt etwas Neues, aber ihre Familie vermisst sie dennoch. Sie will nicht ohne sie leben. Schließlich macht sie ihrer Mutter ein Angebot. Sie verlangt die Scheidung von ihrem Mann, dafür vergibt sie ihrer Mutter. Die nimmt an. Ihr Exmann ist mittlerweile aus Deutschland abgeschoben worden.
Zeinab will ein Buch über ihr Leben schreiben. Sie will, dass andere Mädchen, denen es ähnlich ergangen ist, es lesen. Jeder soll wissen, was die Patriarchen ihr angetan haben, die ihre Religionen dafür missbrauchen, andere zu unterdrücken.
Ihre Onkel und Brüder ihrer Mutter bekommen mit, was sie vorhat. Sie schreiben ihr Drohmails. Wenn sie nicht aufhöre, würden sie nach Berlin kommen und sie töten. Zeinab lässt sich von dem Gehabe nicht mehr einschüchtern. Das Ende ihres Lebens hat sie mehrfach gesehen. »Gott allein entscheidet, wann ich gehen werde. Das entscheiden sicherlich nicht meine Onkel«, sagt sie.
Zeinab lebt heute mit ihrem Mann in Berlin-Zehlendorf. Sie erwartet ein Kind. Wenn es ein Junge wird, dann will sie ihn Hassan nennen. Er soll so heißen, wie all die schwachen Männer in ihrem Leben. Das schulde sie nicht nur diesem einen verlorenen Kind, das sie nicht beschützen konnte, sondern auch jedem anderen Mädchen, das gerade durchmacht, was sie erlebt hat.
*Name von der Redaktion geändert
Hammed Khamis, Jahrgang 1978, ist gebürtiger Osnabrücker. Nach einer Lehre zum Maßschuhmacher entschied er sich, Journalist zu werden. Khamis ist derzeit beim Online-Gesellschaftsmagazin »seinsart« als Redakteur tätig.
Informationen und anonymisierte Hilfe zum Thema bietet Terre des Femmes:
Referat Gewalt im Namen der Ehre/ Zwangsverheiratung, Brunnenstraße 128, 13355 Berlin, Telefon: 030 40 50 46 990, oder auf der Homepage: www.zwangsheirat.de/index.php
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