Liverpool sehen und sterben

Neu im Kino: »Don’t Die in Liverpool«

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Gloria Grahame, seit dem Auftritt in Capras Schmonzette »It’s a Wonderful Life« (1946) als große Schauspielerin bekannt, kommt im letzten Jahr ihres Lebens (1981) nach Liverpool. Dort wohnt die Familie ihres deutlich jüngeren Geliebten Peter Turner, auf dessen Erinnerungen der Film beruht. Man muss sich allerdings an die frühen Achtziger erinnern, um das Gefälle zu bemessen von Hollywood nach Liverpool, wohin vielleicht mal ein Meistertitel im Fußball, sonst aber gar nichts kam.

Es geht um den Tod, wie man sich zu ihm verhält, um Schönheit, wie es sich lebt, wenn sie verblasst, um Ruhm, ob er wichtiger sein kann als das eigene Wohl, und um eine Liebe, die nicht trotz dieser Schwierigkeiten, sondern genau darin erst entstanden ist. Folglich auch hat der Film keine Exposition, man wird einfach in die Handlung geworfen. Die ruhige Inszenierung wirkt dem etwas zu flotten Umgang mit der Zeit entgegen. Der Kontrast zwischen der dunklen Stimmung in Liverpool und der dynamischen Romanze in New York ist wichtig, aber er darf den Film nicht auffressen.

Die Kamera leistet hier Unwahrscheinliches. Irritierende Perspektiven, seltsame Bewegungen im Raum und viel Gesicht. Eine Autofahrt des Liebespaars wurde mit Rückprojektion gefilmt, wodurch der Eindruck alter Filme entsteht; Glorias Gegenwart und Glorias Vergangenheit in Hollywood überlagern sich. In drei Szenen sieht man einen Sprung von der Vergangenheit in die Gegenwart scheinbar ohne Schnitt, indem ein Raum in einen anderen zu einer anderen Zeit übergeht. So sehr sich dieser Film von McGuigans anderem Meisterstück »Lucky Number Slevin« unterscheidet, in der Arbeit am Bild bleibt die Handschrift erkennbar.

Hauptfigur ist Gloria, doch die überwiegend personale Erzählweise folgt den Erlebnissen Peters. So wird Gloria zum rätselhaften Objekt, das erschlossen werden muss. Es ist schon die Hälfte der Spielzeit herum, als das erste Mal das Wort »cancer« fällt. Annette Bening überzeugt, erst recht, wenn man bedenkt, dass sie als Besetzung nicht ideal war. Nicht zu jung, zu modern wirkt sie.

Peter ist kurz irritiert, als Gloria sagt, dass sie Shakespeares Julia spielen wolle. Dieses leichte Stocken reicht, ihr gravitätisches Selbstbild aufzulösen. Bening mischt die Unsicherheit gerade so dezent den Gesten der Selbstsicherheit bei, dass man es noch bemerkt. Das Problem speziell weiblicher Stars war (und ist), dass Erfolg von Attraktivität abhängt. Gloria faucht Peter an, der seine Attraktivität noch hat, aber nur mit halbem Herzen Schauspieler ist: »Wenigstens bin ich ein Schauspieler, der arbeitet.« Die Profession, ihr Können, ist, was ihr bleibt, wenn die Jugend gegangen ist. Doch auch dieses Fundament droht immer wieder angegriffen zu werden. »Sie war genauso gut wie diese andere, die was mit dem Präsidenten hatte«, sagt Glorias Mutter. Der Vergleich mit der nicht eben für Schauspielkunst berühmt gewordenen Marilyn Monroe ist hier Strafe.

Gesellschaftlicher Status, der schwindet, wird folglich wichtiger als die eigene Gesundheit, und obgleich Peters Familie ihr mehr Familie ist als die eigene, obgleich man den Eindruck hat, dass sie dort hingehört und wirklich geliebt wird, verlässt Gloria im letzten Kraftakt Liverpool, um noch am Tag ihrer Ankunft in New York zu sterben. Das Undenkbare war die Zeitungsmeldung, der Star von einst sei irgendwo unter rauen Arbeitern mit komischem Dialekt gestorben. Filmstars sterben nicht in Liverpool.

»Don’t Die in Liverpool«, Großbritannien 2017. Regie: Paul McGuigan; Drehbuch: Matt Greenhalgh; Darsteller: Annette Bening, Jamie Bell, Vanessa Redgrave. 106 Minuten

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