Macht der Wollust, Wollust der Macht

Der scheidende Intendant Martin Schüler inszenierte am Staatstheater Cottbus Verdis »Macbeth«

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist Krieg! Kanonendonner schallt, bevor Verdi-Musik vernehmlich wird. Eine graubläuliche, düstere Landschaft öffnet sich den Augen. Inmitten die Feldherrn Banquo und Macbeth. Sie sind zufrieden über ihren Sieg gegen die Norweger. Und die Toten? Gebückte Weiber suchen nach ihren gefallenen Männern und schwören, als Hexen, schwarzen wie weißen mit Spiegeln, Rache zu nehmen. Schon die ersten Töne der Ouvertüre weisen auf das Ende des Macbeth. Es sind kärgliche, haltlose, gequälte Töne. Angefügt schwere Blech-Akkorde und spitze Holzbläsereinwürfe.

Das Folgende ist schnell erzählt. Macbeth würde angesichts seiner Verdienste um Schottland die Adelsleiter hochsteigen, so die Nachricht des Boten von König Duncun. Worauf der Chor der Hexen seine volle vokale Natur aussingt. Die schwarz-weißen Sängerinnen sind einmal entsetzt darüber, zum anderen prophezeien sie dasselbe wie Duncan. Nur unter anderen Vorzeichen. Er würde König von Schottland werden, allerdings unter Vorbehalt.

Der Hexen-Chor, keineswegs einheitlich und abwechselnd schwarz-weiß gefärbt, funktioniert in Cottbus anders als gemeinhin üblich. Er birgt doppeldeutiges revolutionäres Potenzial. Er sucht, Macbeth und Anhang zu Fall zu bringen, indem er deren Begehren intrigant unterstützt. Seine teils heftigen Kommentare von Bühne und Empore zeigen Wirkung. Macbeth, machtbesessen und feig, will König Duncan töten, um schlicht an seine Stelle zu treten. Seine geheimsten Gedanken daran adressiert er brieflich an seine Frau. Die liest im Plüschsessel den Brief und verbrennt ihn. Das Messer steckt noch im Gürtel ihres Mannes. Skrupel verunsichern, sie gehören zerstreut. Gefühle verderben den Charakter der Untat.

Was hier versinnlicht wird, ist ein reales Drama, ein reales im Stück und eins, das im Spiegelbild die ganze Welt angeht. Hier kämpft keine kosmische Ordnung gegen die unablässig drängenden, zerstörerischen Dämonen, die in einem Menschen Übermacht gewinnen würden, wie das Shakespeare-Stück und Verdis Oper vielfach gedeutet worden sind, sondern hier herrscht gestalterisch reale Zerstörung und Selbstzerstörung. Wer »Macbeth« nicht auf den heutigen Weltzustand zu beziehen weiß, dem ist nicht zu helfen.

Genau das tun die Schöpfer dieses »Macbeth«-Musiktheaters, das jetzt in Cottbus in der Regie von Martin Schüler Premiere hatte (italienisch gesungen mit deutschen Übertiteln), und zwar in aller gebotenen Konsequenz. Realistisch die unerhörten Geschehnisse zu formieren, die Figuren im Maßstab ihrer Taten wie ihrer Zerrissenheit zu zeigen, ist der Grundansatz des Inszenierungskollektivs.

In Büros des Hauses und der Stadt gärt es derzeit. Evan Christ, Publikumsliebling, mit klassischer wie Neuer Musik gleichermaßen vertraut - seit Jahren sorgt er für volle Konzerte -, schied kurzfristig als Dirigent von »Macbeth« aus. Schade. Alexander Merzyn allerdings, seit Beginn der laufenden Saison 1. Kapellmeister des Hausorchesters, vertrat ihn ebenbürtig. Lob für Christ, der den jungen Hochbegabten nach Cottbus holte. Von »wachsenden Nöten des Ensembles«, wie Intendant Martin Schüler eingestand, keine Spur bei der Premiere. Schüler - er zählt zu den ersten deutschen Musiktheaterregisseuren - will nun am Ende der Spielzeit angesichts der angestauten Konflikte die Cottbuser Bühne nach 25 Jahren engagierter Theaterarbeit verlassen. Keine gute Nachricht für die Stadt. Aber wohl auch eine Chance für den sympathischen Künstler.

Der Raum ist epochenübergreifend, die Kostüme elisabethanisch. Ein großformatiger Quader hängt inmitten der Bühne. Er senkt, hebt, dreht sich. Wie der Roboter schwenkbar. Nach Malewitschs Schwarzem Quadrat ist die Fläche angemalt. Aber auch als Lichtschacht dient das konstruktivistische Gebilde (Ausstattung Gundula Martin).

»Nacht verdeck, wes Brust der Dolch durchbohrt.« Die Lady treibt ihren Gatten an, endlich zu handeln. Plötzlich hinter der Bühne Musik. Duncan (Ulrich Schneider) betritt mit Fackelträgern die Szene. Und fällt dem Dolch zum Opfer. Der Dolch-Arie des Macbeth schmiegen sich wankende Orchesterstimmen an. Die Tatwaffe ist zugleich Schreckbild, Werkzeug des Ekels vor sich selbst.

Der südafrikanische Bariton Jaco Venter hat die alles aufbietende Partie beispielhaft umgesetzt. Shakespeare und der Komponist hätten sie beklatscht. Venter, im Militärmantel, wie Napoleon untersetzt, glatzköpfig, außerordentlich agil, Fleisch vom Fleische blutiger Kämpfe um den Thron, singt den Mörder wie den Antimörder, der in ihm schlummert. Ganz unantiquiert, leidenschaftlich, die Rolle verstehend, den Verdi-Liebhabern keineswegs zu Diensten. Voller Skrupel seine Figur, zerrissen, gepeinigt vom Anblick dessen, was die eigene Hand in eins mit der Hand des Eheweibes angerichtet hat, seine Schuld ablenkend, zu neuen Bluttaten aufbrechend.

Eine Mordtat impliziert die nächste. Das Paar strebt hinauf und sinkt hinab wie ein Zwillingspaar. Der Liebesakt (zweiter Akt), glänzend in seiner Drastik und Unverschämtheit, unterstreicht die Wollust der Macht und die Macht der Wollust. Der Männerchor (die Chöre studierte Christian Möbius vorbildlich ein), in Schwarz gehüllt und mit Messern bewaffnet, stürzt sich auf Banquo (Ingo Witzke), der nächste unter den Fälligen. »Fliehe, mein Sohn«, darf Banquo noch singen, dann stechen die Häscher zu.

Der Chor verschwindet im Rauch der dunklen Nacht. Die Familie des Macduff (Jens Klaus Wilde) muss gleichfalls dran glauben. Die Särge seiner Kinder führt eine Gemeinschaft abgerissener Flüchtige mit. Eine lang gedehnte, große Szene. Verlorene schleppen sich über die Bühne. Die Hexen indes kochen neben der Tafel ihren Brei mit allerlei Getier darin, bis die Tafel sich dreht und die weißen Stühle durcheinanderwirbeln.

Zwangsläufig erscheinen Macbeth die Geister, die er nicht gerufen, mehrmals, stoisch plagen sie die Seele und martern den Körper des schwachen Mächtigen. Videoprojektionen rufen sie hinter Schleiervorhängen herbei. Einmal die Untat begangen, muss die Feier her. Schon eröffnet die Party der Beruhigung, der Besänftigung, der Eintracht.

In Manipulationstechniken kannte sich Shakespeare bestens aus. Verdi transformiert solche in kompositorische Techniken und gibt der blutigen Freude schallenden Ausdruck. Blutig, weil Macbeth die Nerven verliert und mit zerschundenem Organ sich selbst verrät. Stark die Leistung des Philharmonischen Orchesters.

Das Herz der Lady ist kalt. Sie, ausgebuffte Macherin, treibt und treibt zur Tat. Keine Phantasie ist ihr fremd, hilft sie, das Ersehnte zu erlangen. Der Menschenwelt feindlich gesonnen, klingt ihre Arie, in der steht: »Komm, ergreife die Macht und herrsche.« Ist Macbeth zerrissen, so die Lady zum äußersten bereit. Sie ist die bessere, effektivere Verbrecherin. Sandra Radišić zog aus der Partie den Doppelsinn, den Shakespeare und Verdi ihr eingegeben. Devise: Belcanto nur dort, wo der Schein die Stimme heiligt. Wo Machtgier die Dame zerfrisst, müsse sie wie zwischen Sand und Eiswürfeln singen. Die Radišić realisierte diese Dualität großartig. Ihre Lady auf der Cottbuser Bühne ist unübertrefflich in ihrer Macht- und Mordgier. Frau im Zenit. Feministinnen reden darüber nur ungern, dass die heiligen, von Männern bedrängten, ewig bedrohten Weiber, immerfort in der Opferrolle, schlimmer sein können, als der Herr sie als Eva gezeugt hat: hässlich, gewissenlos, erbarmungslos, Geschöpfe unter der Sonne wie die niedlichen kleinen Katzen, die erst spielerisch, dann aufs Grausamste zu Werke gehen, bevor sie die Maus verspeisen. Aber die Lady wäre nicht von Shakespeare und Verdi, berührte sie nicht auch Seiten, die vom Unmenschlichen für Momente wegführen. Markant die Szene, wie sie vergeblich versucht, sich den Dreck vom Leib zu Waschen.

Die Arie des Macduff dürfte haften bleiben. An Gott: »Stell mich den Tyrannen entgegen.« Darauf der Hexen-Chor: »Eilt zur Rettung der Unterdrückten.« Beendet sei das Grauen. Macduff tötet Macbeth im Kampf und begrüßt den neuen König Malcolm (Hardy Brachmann). Aber die Hexen kehren ihm den Rücken zu. Ihre Spiegel blenden von neuem. Ungeahnte Fronten scheinen aufzuziehen.

Nächste Vorstellung am 30. Mai

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