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  • Luxushotel in Kreuzberg

Soundtrack der Gentrifizierung

Luxushotel sorgt auf der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg für Unmut

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch vor wenigen Jahren campierten hier Flüchtlinge in Zelten; nun ziehen betuchte Touristen über den Oranienplatz. Mitten in Kreuzberg, unweit des linken Clubs »SO36«, wurde im vergangen Herbst ein Luxushotel eröffnet. Die Suite unterm Dach kostet 740 Euro pro Nacht.

Das majestätische Jugendstil-Eckhaus war einst ein Kaufhaus, im Erdgeschoss bot das Café »Oranienpalast« Konzerte und Kabarett. In den vergangenen Jahren wurde das Gebäude für alle möglichen Projekte zwischengenutzt. Das Hotel »Orania« will laut Eigendarstellung an die kulturellen Glanzzeiten des frühen 20. Jahrhunderts anknüpfen, als der Oranienplatz einer der elegantesten Orte Berlins war. In der Nachbarschaft stößt das auf Vorbehalte; man befürchtet den weiteren Ausverkauf Kreuzbergs.

»Es braucht seine Zeit, um hier akzeptiert zu werden«, sagt der Pianist Julien Quentin diplomatisch. Der Franzose, der seit zehn Jahren in Kreuzberg zu Hause ist, betreut für das »Orania« eine Konzertreihe. Fast jeden Abend gibt es hier Musik, die den Gegnern eher als Soundtrack der Gentrifizierung in den Ohren klirrt.

Gegen die Eröffnung des »Orania« wurde heftig protestiert und demonstriert. Sogar Steine flogen gegen die Fenster, die noch immer lange Risse zeigen. Der Pianist Julien Quentin kann mit den Vorwürfen wenig anfangen. »Es geht uns darum, ein Kulturleben aufleben zu lassen, wie es das hier früher schon gab«, sagt er. »Dabei arbeiten wir eng mit der lokalen Szene zusammen. Wir wollen die hier lebenden Künstler integrieren.«

Gleichwohl wirkt das Hotel wie ein exotisches Raumschiff, das an der quirligen, schmuddligen Oranienstraße gelandet ist. In der Lobby geht es gediegen zu: Holzdielen, erdfarbene Sofas, Kamin und ein Steinway, der auf einem Podest vor den zersprungenen Fensterscheiben steht. Hier finden die größeren Konzertveranstaltungen statt. Intimer geht es im fünften Stock zu, wo unter Dachschrägen ein gemütlicher Salon eingerichtet wurde. Mitsamt Bücherregalen, Stehlampen und Zimmerpflanzen.

Durch bodentiefe Fenster blickt man auf der einen Seite auf die Kreuzberger Dächerlandschaft, auf der anderen über den Oranienplatz hinweg in den Sonnenuntergang. Für die Akustik ist so viel Glas allerdings nicht von Vorteil. Der Bassbariton Thomas Quasthoff, der die Berliner Schnodder-Schnauze adoptiert hat, spricht von einem Klang »wie in der Herrentoilette am Hauptbahnhof«.

Dienstags gibt es Klassik, donnerstags Jazz oder Elektroakustisches; jeweils für eine Stunde ab 19 Uhr. International tourende Künstler wie der Pianist Víkingur Ólafsson, die Geigerin Rosanne Philippens und der Techno-Tastenkünstler Francesco Tristano sind hier aufgetreten. »Wir wollen quer denken, neue Richtungen ausprobieren, Kunst und Musik kombinieren«, erklärt der Veranstaltungsleiter Julien Quentin.

Der Eintritt ist häufig frei, kostet aber höchstens zwölf Euro; für Hotelgäste ist der Konzertbesuch inklusive. Vorbild für dieses Arrangement ist das noble Schwesterhotel »Schloss Elmau« in den bayerischen Alpen, wo 2015 die Staatschefs beim G7-Gipfel tagten. 2014 übernahm der Schlossherr Dietmar Mueller-Elmau das alte Kreuzberger Eckhaus. Er ließ die prunkvolle Sandsteinfassade renovieren, Wände einziehen, 41 Zimmer und einige Suiten einbauen. Dann bat er den Pianisten Julien Quentin, der regelmäßig auf Elmau auftritt, eine Konzertreihe zu organisieren. Quentins Partner ist der Jazzpianist Marc Schmolling, der das Jazzprogramm gestaltet.

Die beiden laden überwiegend Musiker ein, die in Berlin ihre Heimat gefunden haben. Schmolling schwebt ein »Wohnzimmer für die Berliner Künstler« vor; Quentin spricht von einem »Ausstellungsraum für die Berliner Szene«. Die Namen im Konzertprogramm offenbaren: Berlin ist ein globales Künstler-Dorf.

Die beiden Leiter sind auch selbst regelmäßig zu hören. Schmolling spielte kürzlich solistisch; Quentin begleitet am 12. Juni Andreas Ottensamer, laut »Die Welt« der »schönste Klarinettist der Welt«. Anstehende Höhepunkt sind weiterhin die Jazz-Auftritte von Lee Konitz am 13. Juni und Alexander von Schlippenbach am 21. Juni sowie ein Beethoven-Abend mit der Bratschistin Tabea Zimmermann am 24. Juni.

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