Am Brunnen vor dem Tore

Blüten, Blätter und sogar das Holz des Lindenbaumes wirken gesundheitsfördernd

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.

Grünes zu den Mahlzeiten im Frühsommer kann auch von einem Lindenbaum gepflückt werden. Dessen Blätter enthalten wie Blattgemüse Vitamin C, Folsäure und Proteine. Darüber hinaus können Blätter, Blüten und das Holz von Winter- und Sommerlinde auf vielfältige Weise die Gesundheit fördern.

Vielerorts in Vergessenheit geraten, mangelt es unserer heutigen Ernährung mit ihren zahlreichen Fertigerzeugnissen gerade an grünem Gemüse, das nicht im Gewächshaus gezogen wurde. Im Zuge der industriellen Revolution, als viele Bauern ihr Land verließen, um in den großen Städten Arbeit zu finden, begann auch eine Verachtung der früheren Essgewohnheiten der dörflichen Bevölkerung. Das Sammeln von Blättern, Blüten oder Beeren galt den Städtern als unwürdig. Arbeiter wie Kleinbürger ahmten die Ernährung des Adels und der Bourgeoisie nach. Auch heute noch gelten das Beerenpflücken oder andere Erntearbeiten als »bad jobs«, die obendrein schlecht bezahlt werden.

Rezept: Gefüllte Lindenblätter
50 Gramm Rundkornreis (Klebreis) in 100 ml Wasser zehn Minuten kochen, vom Herd nehmen und zehn Minuten quellen lassen. Petersilie und Minze fein hacken, Saft einer Zitrone auspressen, mit zwei Esslöffeln Olivenöl unter den gegarten Reis rühren. Etwa 30 Lindenblätter pflücken, jedes mit einem Teelöffel Reis füllen, zusammenrollen, in einen flachen Topf geben, mit einem Teller beschweren, damit die Röllchen beim Kochen nicht nach oben steigen und zerfallen. Eine Tasse Gemüsebrühe in den Topf füllen, etwa zehn Minuten sanft köcheln, danach eventuell überschüssige Flüssigkeit vorsichtig abgießen. Die gefüllten Lindenblätter in eine flache Schale geben, mit dem Saft einer Zitrone beträufeln, eine Stunde ziehen lassen. Dazu passt Zaziki. anu

Unter den sogenannten Wohlstandskrankheiten wie Gicht, Obstipation (Verstopfung/träger Darm), Hämorrhoiden, Bluthochdruck oder Adipositas (Fettsucht) litt bis vor hundert Jahren zuallererst die Schicht des reichen Adels. Heute sind die Krankheiten eher ein Problem der armen und armutsgefährdeten Stadtbevölkerung. Das sind meist Menschen, die sich die zum Verkauf angebotenen Wildkräuter und Salatgemüse finanziell kaum leisten können und auch keinen Ausflug in die Natur unternehmen, um entsprechend der Jahreszeit Blätter, Blüten oder Früchte zu sammeln. Den meisten fehlt es schlicht an einem Stück Garten. Auch die Angst, Wildkräuter mit giftigen Pflanzen zu verwechseln, erschwert es, Speisen mit frischem Grün aufzuwerten.

Der Lindenbaum ist im Juni an seinen lieblich und süßlich duftenden Blüten leicht zu erkennen. Weil die Linde einen kühlen Stamm liebt, lässt sie dort im Laufe des Sommers immer wieder junge, schattenspendende Triebe mit besonders zarten, herzförmigen Blättern sprießen. Die auffällig glänzenden, auf der Oberseite glatten Blätter der Winterlinde (Tilia cordata) haben einen milden Geschmack. Sie können roh gegessen oder mit Reis wie gefüllte Weinblätter nach griechischem Vorbild gekocht werden. Die Sommerlinde (Tilia platyphyllos) bildet wesentlich größere, fein behaarte Blätter, die nicht ganz so schmackhaft sind. Die widerstandsfähige Holländische Linde stellt eine Kreuzung aus Winter- und Sommerlinde dar. Ihre jungen Blätter sind genauso verwendbar wie die der Winterlinde.

Lindenblätter in Form von Salaten oder verschiedenen Gemüsespeisen leisten einen Beitrag zur Vorbeugung gegen Alzheimer durch mehrere Mechanismen: Der enthaltene Schleimzucker kann ohne Insulin oder auch bei Insulinresistenz zum Gehirn transportiert werden und dort zur Energiegewinnung beitragen, was einem vergesslichen Gehirn zu besserer Konzentrationsfähigkeit verhilft. Der Pflanzenschleim kann einer Magenschleimhautentzündung entgegenwirken, sodass langfristig auf aluminiumhaltige Magenmittel verzichtet werden kann. So wird ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz vermieden. Die Theorie einer erhöhten Aluminiumbelastung bei Alzheimer-Patienten wurde in einer 2013 im »Deutschen Ärzteblatt« veröffentlichten Studie mit überzeugenden Resultaten untermauert.

Die Lindenblüten können als Tee oder Badezusatz bei Herzklopfen infolge der Wechseljahre der Frau mild beruhigend wirken. Auch bei erhöhtem Blutdruck, leichten Depressionen oder Aufregung und Stress kann der Duft der Lindenblüten das Wohlbefinden verbessern und eventuell nötige Medikamente auf angenehme Weise unterstützen, ohne dass negative Wechselwirkungen zu befürchten sind. Hier ließe sich ein weiterer Punkt gegen Alzheimer machen, denn ein unbehandelter Bluthochdruck gilt als Risikofaktor für die neurodegenerative Krankheit.

In den Lindenblüten finden sich ätherische Öle, Gerbstoffe, Glykoside und ebenfalls Schleimstoffe. Die Volksheilkunde kennt ihre Heilkraft bei Arthritis, Gallensteinen, Schlafstörungen, Bluthochdruck und vor allem bei Erkältungskrankheiten, Bronchitis, Hals- sowie Blasenentzündungen. Einen Lindenblütentee sollte man recht mild mit maximal einem Esslöffel pro Viertelliter kochendem Wasser bereiten und nur wenige Minuten ziehen lassen. Erfahrungsgemäß kann eine zu große Menge Blüten oder eine zu lange Ziehzeit die Wirkung der Lindenblüten umkehren. Sie können dann ähnlich wie Pfefferminze sogar anregend wirken und Schlafstörungen hervorrufen.

Im Juni suchen Honigbienen gerne die Blüten der Linde auf. Der entstehende Lindenblütenhonig hilft ebenfalls sehr gut gegen Halsschmerzen und Hustenreiz.

Das Lindenblatt als Zugabe zum Salat liefert darüber hinaus wichtige Mineralstoffe wie Magnesium und Calcium, die auch zur Entspannung der Muskulatur gebraucht werden. Eine weitere für das Gehirn wertvolle Zuckerart im Lindenblatt ist Xylose, auch Holz- oder Birkenzucker genannt. Dieser wird ebenfalls insulinunabhängig verstoffwechselt. Isolierter Birkenzucker wird unter anderem in Reformhäusern angeboten. Davon sollten höchstens 10 bis 50 Gramm pro Person und Tag verwendet werden. Beim Verzehr einer natürlichen Portion Lindenblätter braucht man eine Überdosierung jedoch nicht zu befürchten.

Die Gattung Lindenbaum gehört zur Pflanzenfamilie der Malvengewächse. Dazu zählen auch Eibisch, Wilde Malve (auch als »Große Käsepappel« bekannt), Hibiskus, der Kakaobaum, Okra und Baumwolle.

Der Vorteil von Lindenblättern gegenüber Blattgemüse aus der Familie der Kreuzblütengewächse liegt in ihrem fehlenden Gehalt an Glukosinolaten, einer Stoffgruppe, die vor allem Menschen mit Schilddrüsenunterfunktion nur begrenzt aufnehmen sollten. Aus Lindenholz hergestellte Holzkohle hilft bei Darmerkrankungen, vor allem gegen Durchfall. Fein pulverisiert lässt sich Lindenholzkohle auf eitrige Wunden und »offene Beine« (Dekubitus) streuen. Das Pulver saugt die austretende Flüssigkeit auf und führt so zur schnelleren Abheilung.

Der Aufenthalt im Freien beim Sammeln der Blätter und Blüten tut ein Übriges für die körperliche und seelische Gesundheit. Inzwischen gibt es wieder einen Trend, Wildpflanzen und Bäume für heimische Küche und Hausapotheke zu nutzen, selbstverständlich ohne einen einzelnen Baum kahl zu rupfen. Das bekannte Volkslied »Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum« erzählt auf poetische Weise von der wohltuenden und beruhigenden Wirkung.

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