• Berlin
  • Proteste gegen Räumung

Prozess gegen Friedel-Unterstützer verschoben

Bei erster Gerichtsverhandlung gegen Teilnehmer an Sitzblockaden fehlte ein Polizeizeuge

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

29. Juni 2017. 150 Menschen sitzen auf Bürgersteig und Straße vor der Friedelstraße 54 in Neukölln. »Haut ab« steht auf einem Transparenz, das die Demonstranten vor sich ausgebreitet haben. Der Kiezladen im Erdgeschoss des Hauses soll geräumt werden - einer der letzten linken Freiräume in Berlin. Ein Jahr lang zog sich der Rechtsstreit, den vorgesehenen Auszugstermin ließen die Nutzer des Kiezladens verstreichen. Dann wurde für den 29. Juni der Gerichtsvollzieher bestellt.

Es war seit 2011 das erste größere linke Projekt, das geräumt wurde und die erste größere Räumung unter dem rot-rot-grünen Senat. Dennoch stand sie nicht alleine für sich: Sie war Teil eines Verdrängungsprozesses durch steigende Mieten, der auch immer mehr kleine Geschäfte erfasst hatte.

Ein Jahr später sollte an diesem Donnerstag vor dem Amtsgericht Tiergarten der erste bekannt gewordene Prozess gegen einen Teilnehmer der Blockaden verhandelt werden. Doch kurz nachdem der Angeklagte eine halbe Stunde nach Beginn endlich aufgerufen wurde, kam er zusammen mit seiner Anwältin schon wieder aus dem Saal heraus. Die Verhandlung wurde ausgesetzt, weil einer der Zeugen, wie die beiden anderen ein Polizist, nicht erschienen war. Nun muss neu geladen werden. Der Gerichtssprecherin Lisa Jani zufolge kann die Verhandlung bereits in wenigen Wochen wieder aufgenommen werden, oder auch erst in mehreren Monaten. Anwältin Undine Weyers geht davon aus, dass ihr Mandant Mario S. den Gerichtssaal als Angeklagter nicht vor Oktober wieder betreten wird. »Ich habe natürlich einen Freispruch erwartet«, sagte Weyers.

S. hatte sich am Morgen des 29. Juni 2017 an den Protesten gegen die Räumung des Kiezladens beteiligt. Er stand mit einer Gruppe von Menschen auf der Kreuzung Lenaustraße, Ecke Friedelstraße an einer Polizeiabsperrung. Die Polizei forderte die Demonstranten auf, den Bereich zu verlassen, weil sonst keine Einsatz- und Rettungsfahrzeuge die Straße passieren könnten, sagt S. Seiner Ansicht nach wäre aber sowieso kein Durchkommen gewesen - zum einen, weil die Straße ja gesperrt war, zum anderen, weil sich dort eine Baustelle befunden habe.

S. wurde dann dennoch »unter Anwendung unmittelbaren Zwangs« von der Polizei abgeführt. Dabei, so der Vorwurf, der ihn nun vor Gericht brachte, soll er Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet haben.

Darauf stehen bis zu drei Jahre Haft. Nur einen Monat vor der Räumung des Kiezladens war der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch verschärft worden - rechtzeitig vor dem G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg, gegen den Massenproteste angekündigt waren. Die Friedel-Räumung aber sei die »Feuerprobe« für die Gesetzesverschärfung gewesen, meint Kiezladen-Sprecher Matthias Sander, der mit rund 20 weiteren Prozessbeobachtern an der Gerichtsverhandlung am Donnerstag teilnehmen wollte. Er kritisiert, dass der Vorwurf bereits dann fallen könne, wenn man sich an einer Sitzblockade beteilige, weggetragen werde und der beteiligte Beamte annehme, dass man sich »absichtlich schwer macht«. Oder, wenn man lediglich im Affekt den Arm hebe. »Sitzblockaden sind eine niedrigschwellige Möglichkeit, an Protesten teilzunehmen«, sagt Sander. Die Neufassung des Paragrafen »erstickt zivilen Ungehorsam bereits im Keim«, weil sich so immer weniger Menschen trauten, sich daran zu beteiligen.

Rechtsanwältin Weyers zufolge hätte ihr Mandant gar nicht abgeführt werden dürfen. Die Blockade, an der er sich beteiligt hatte, sei vom Versammlungsrecht geschützt. Die Polizei hätte die Versammlung zunächst auflösen müssen, wenn sie sich einzelne Personen hätte herausgreifen wollen.

Wie viele Menschen im Nachgang der Friedel-Blockaden angeklagt wurden, konnte auch die Gerichtssprecherin nicht sagen. Sander geht von mindestens einer Handvoll aus.

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