»Sehr tiefgreifende Verstrickung«

Im Saarland bedrängt die zweite Gewalt die vierte. Journalisten thematisierten die NS-Vergangenheit eines CDU-Politikers

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Annegret Kramp-Karrenbauer, die Generalsekretärin der CDU, konnte einem in den letzten Wochen fast anständig vorkommen. Doch das verdankte sie einzig den Bayern. Mit Horst Seehofer und Markus Söder verglichen, ist selbst Räuber Kneißl ein Ehrenmann. Mag die Frau den beiden auch freundlich widersprochen haben, war doch am Ende auch sie für den Bau von Lagern. Überhaupt steht sie den Nationalisten näher, als man es für möglich hält. Einen Beweis dafür liefert die jüngste Ausgabe der Zeitschrift »Saarbrücker Hefte«. Sie faksimiliert in voller Länge einen Brief der noch von Kramp-Karrenbauer geführten Saarbrücker Staatskanzlei an den Intendanten des Saarländischen Rundfunks. Darin rüffelt jene diesen dafür, dass in seinem an sich staatsnahen Sender nicht nur die Nazivergangenheit des langjährigen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder (CDU) erwähnt, sondern auch deren Vertuschung kritisiert worden ist.

Kramp-Karrenbauers Leiter der Abteilung »Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeit«, Jochen J. Wagner, zeigt sich empört. Ein Rundfunkmitarbeiter habe es gewagt, zu einer Debatte Stellung zu nehmen, »in der zwei Journalisten der sog. ›Saarbrücker Hefte‹ Franz-Josef Röder eine sehr tiefgreifende Verstrickung mit dem Nationalsozialismus vorwerfen«. Der Sender habe es versäumt, bei dem mit der Geschichte amtlich betrauten Landesarchivar Peter Wettmann-Jungblut eine Expertise einzuholen. Wie andere Historiker von Amts wegen auch, hatte Wettmann die - im Abteilungsleiterdeutsch formuliert - »sehr tiefgreifende Verstrickung« Röders erst jahrelang eisern beschwiegen, dann, als es nicht mehr anders ging, mehrfach abgeleugnet. Doch damit endet die Unbotmäßigkeit des Rundfunkmitarbeiters noch nicht. Er habe, so Wagner weiter, dem Landesarchivar Unterschlagung vorgeworfen und ihn deswegen auch noch »unredlich« genannt.

Darauf, ob an diesen Vorwürfen etwas dran ist, geht Kramp-Karrenbauers Grundsatzfragen-Leiter auf drei Seiten nicht ein, beruft sich auf ihm genehme wissenschaftliche Autoritäten und schließt mit drohendem Unterton, es liege »in unserem gemeinsamen Interesse« usw. Man denke: das gemeinsame Interesse von zweiter und vierter Gewalt, von Exekutive und Medien. Überall sonst, beispielsweise in Bayern, hätte der Präsidentinnenassistent dem Intendanten beispielsweise beim Golfen Bescheid gestoßen. Im Saarland darf er sich sicher genug fühlen, um seine Gleichschaltungsmaßnahme schriftlich vorzunehmen.

Kurz zu den Fragen, die Kramp-Karrenbauers Grundsatzfragen-Mann auslässt: War Ministerpräsident Röder wirklich »sehr tiefgreifend« in den Nationalsozialismus »verstrickt«, hat der Landesarchivar wirklich etwas unterschlagen, hat er wirklich unredlich gehandelt? Antwort: Ja, ja und ja. Um das zu beurteilen, muss einer kein Historiker sein, sondern nur lesen können. Denn Röder hat den Umstand, dass er - Jahre bevor das Saargebiet an Nazi-Deutschland fiel - gleich in mehrere NS-Organisationen eingetreten ist, selbst dargelegt. Röders Erklärung lag dem Landesarchivar vor, dennoch log er, außer der Parteimitgliedschaft sei bislang nichts Nazistisches über Röder bekannt. Und nachdem er so gelogen hatte, bezichtigte er gleich noch die genannten Autoren der »sog. ›Saarbrücker Hefte‹«, Erich Später und Julian Bernstein, der »Lügen in demagogischer Absicht«. Die beiden hatten Röders Nazivergangenheit aufgedeckt; Bernstein hat für seine Recherche gerade den Alternativen Medienpreis erhalten.

Außerdem in dieser Ausgabe: die ganze Wahrheit über die angeblich von Karl Marx geschwängerte Lenchen Demuth und meine Kindheitserinnerung »Marx in St. Ingbert«.

»Saarbrücker Hefte«, Nr. 117/118 (Sommer 2018), Einzelpreis 11,80 €, zu bestellen über: www.blattlausverlag.de

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