Menschenbilder

Loredana Nemes große Fotoausstellung «Gier Angst Liebe» in der Berlinischen Galerie

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sei ihre erste museale Ausstellung, die große Schau in der Berlinischen Galerie, im Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Der Fotospezialist und langjährig tätige Kurator Ulrich Domröse fand, es sei an der Zeit für eine Werkpräsentation dieser Art von Loredana Nemes, für ihre großen Möwenbilder etwa in schwarz/weiß. Möwen am Strand, die sich aus Gier um einen Bissen regelrecht ineinander verhaken, sich arg bedrängen. Die silbrigen Grauweißtöne vor dem brodelnden Schwarz lassen die Hochformate von Loredana Nemes nahezu mythisch aufleuchten. Das Meer und dieser archaisch anmutende Fresskampf - gab es beides schon immer? Metaphorisch sind die Bilder allemal; wobei das schimmernde Dunkel an Pierre Soulages erinnert, den französischen Schwarzmaler. Alle der sparsam komponierten Bilder erinnern an etwas, verweisen auf Gesehenes und zeigen dabei ganz ostentativ Leben. Mit dem eingefrorenen artifiziell überhöhten Moment scheinen sie darüber hinaus ein Geheimnis zu bewahren. Sie balancieren zwischen sachlich und melancholisch. Die Serie «Gier (2014 - 2017) sowie Porträts von Karnevalsteilnehmern, die sich spontan für ein Foto vor schwarzem Hintergrund bereit erklärt hatten, hängen im großen Museumssaal, der durch seine Kreuztreppe ja selbst ikonisch wirkt.

Auch mit den Faschingsporträts funktioniert dieses Verweisspiel, das Loredana subtil und sicher einsetzt. Die in Berlin lebende Fotografin ist 1972 in Rumänien geboren, lebte in ihrer Kindheit eine Zeit in Iran und kam in den Neunzigern zum Studium der Germanistik und Mathematik nach Aachen. Sie bezeichnet sich selbst als fotografische Autodidaktin. Ihre Lust, Bilder analog oder digital mal mit einer Mittelformatkamera oder einer Plattenkamera einzufangen, Emotionen und Erinnerungen freizulegen, den Blick zu lenken und zu verwischen, nicht als Träumerin, sondern als Zeitzeugin durch die Welt zu gehen, teilt sich mit dieser Ausstellung in ungewöhnlich intensiver Weise mit. Selbstverfasste Texte (»Angst atmet anders/ ...Angst duckt sich durchsichtig/ ...Angst okkupiert den Okzident ...« und Bilder ergänzen sich im Sinne von Interferenzen, die je eigene Kreise ziehen, sich dabei aber überschneiden wie die lakonische Lyrik mit den monumentalen Farbfotos von Lkw. Allerdings sind keine Fahrzeuge erkennbar, bestenfalls erahnbar, denn die frontal auf Parkplätzen fotografierten Großgefährte lösen sich auf in diffuse Farbe, in Farb- und Kraftfelder. Macht Angst. Künstlerische Übersetzung von Wahrnehmungen, Wucht, Schreck und Panik. Lkw, eigentlich harmlose, wenn auch imposante, Transportgefährte, haben irritierende Spuren hinterlassen, seit diese zu terroristischen Zwecken missbraucht wurden. Angst kann sich auch in Gesellschaften generalisieren.

Wie kann man Gefühle sichtbar machen beziehungsweise mit einer ganz nah an der Gegenwart angesiedelten Fotografie, Poesie mitschwingen lassen und Emotionen auslösen? Joredana Nemes fotografiert Menschen und schult mit ihrem Blick den unsrigen. Da sind die Gruppenaufnahmen und montierten Gruppenbilder von Heranwachsenden aus der Serie »Blütezeit«. Da sind wie schon oben erwähnt die Menschen, die mit ihrem Kostüm in eine Rolle schlüpfen und kaum aus dem Rummel herausgerissen, irgendwie verloren wirken. Die Serie »beyhond« zeigt die nahezu provozierenden Porträts arabischer und türkischer Männer, die durch Fensterscheiben und Gardinen hindurch, von außen also, in jenen kleinen Bars fotografiert wurden, in denen sie verkehren, um Brettspiele zu spielen, sich zu treffen, etwas zu essen oder TV-Sendungen zu schauen. Neun Monate lang hat die Künstlerin diese Ersatzwohnzimmer in Neukölln, im Wedding, in Kreuzberg mit einem analytischen Blick aus der Distanz als Inseln der Fremdheit aufgenommen wie andere Fotografen Industrierelikte abgelichtet haben.

Dann folgten die Porträts. Loredana Nemes geht aber nicht hinein, um klassische Bildnisse zu machen sondern um Mitspieler zu gewinnen. Einige der Gefragten - und es sind offenbar großartige Mitspieler(!)pressen ihr Gesicht an die Bistro-Fensterscheiben, schauen durch in kleine Quadrate gegliedertes Sicherheitsglas, das sich wie ein Scharfschützenraster über Mund und Augen legt. Sie blicken durch Mattglas, Jalousien oder Gardinen und bleiben, fern, fremdnah und sogar von Spitzen verhüllt. Das raffinierte und grotesk anmutende Rollenspiel enttabuisiert in delikater Manier sowohl den voyeuristischen Blick als auch die Ironie im Umgang mit muslimischem Kleiderkodex.

In der Serie »Ocna«/2017 wird es ganz privat. Einzelne Körperteile eines geliebten Menschen schwimmen im Wasser und fungieren quasi mit ihren sehr detailgenau aufgezeichneten Haut-und-Haar-Segmenten als surreal anmutende Zeichen der Nähe sowie als Projektionsfläche widerstreitender Gefühle. »Als ich heut wieder verliebt werden wollte,/ hab ich begonnen,/ Dein Brusthaar zu flechten.« Diese Zeilen verheißen immerhin eine positive Möglichkeit.

Bis 15. Oktober, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, Kreuzberg

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