Ein Tag im Wald

Zu Besuch im Hambacher Forst, zwischen Steinwürfen und Idylle

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 7 Min.

Viel wurde in den letzten Tagen über den Hambacher Forst, der von Klimaaktivisten besetzt ist, geschrieben. Die Polizei beklagt sich über Molotow-Cocktails, Steinwürfe und Sprengkörper, die Aktivisten beklagen neben rücksichtslosem Vorgehen auch Psychoterror durch die Polizei. Diese sollen über ihre Lautsprecher Richard Wagners Ritt der Walküren und Geräusche von Kettensägen abgespielt haben. Das tägliche Aufeinandertreffen von Waldschützern und Staatsdienern zehrt an den Nerven aller Beteiligten und es sind viele wechselseitige Vorwürfe im Umlauf. Ein guter Grund einmal selbst nachzusehen, was im Hambacher Forst so passiert.

Am Sonntagmittag komme ich in Kerpen-Buir an, von hier aus läuft man gut eine halbe Stunde in den Hambacher Forst. Im Zug aus Köln bin ich nicht der Einzige, der den Wald besuchen will. Gleichzeitig mit mir laufen gut zehn andere Menschen in die Richtung. Es sind ganz unterschiedliche Leute, zwei junge Frauen die große Rucksäcke mit Schlafsack und Isomatte dabei haben, eine Frau um die 50, mit ihrer erwachsenen Tochter, einem Hund und einem Kuchen. Insgesamt studentisch-akademisches Großstadtmilieu, dass sich in dem Wald, der so oft in den Nachrichten vorkommt, umschauen will.

Weit kommen wir alle nicht. An einer Abzweigung auf halber Strecke stehen mehrere Mannschaftswagen der Polizei. Als Journalist soll ich mich erst mal zu einer Kollegin stellen, die dort warten muss. Die anderen Menschen werden von der Polizei umstellt, die Beamten wollen die Personalien der Waldbesucher kontrollieren, Ausweise werden eingesammelt. Meiner Kollegin und mir wird nach wenigen Minuten gesagt, dass wir »auf eigene Gefahr« in den Wald gehen dürften. Etwas später bekommen die Waldbesucher ihre Ausweise zurück, auch sie dürfen den Hambacher Forst betreten.

Im Wald selbst ist die Polizei am Mittag nicht zu sehen. Die Besetzer nutzen das. Barrikaden werden vergrößert, neue Löcher in die Wege gegraben, ein weiteres Baumhausdorf nimmt Formen an. Ich will zum »radikalen Waldspaziergang«. Das klingt interessant, irgendwie offensiv. Wenn irgendwo Molotow-Cocktails und Steine geworfen werden, dann doch wohl da. Erstmal höre ich aber einen langen Vortrag über die Klimabewegung, Kapitalismus, die Militarisierung der Polizei. Alles gut begründet aber auch nicht sonderlich innovativ. Dann ruft der Vortragende seine Zuhörer dazu auf, sich kleine Beutel zu nehmen und Eicheln und Ahornsamen zu sammeln. Das ist mir eindeutig zu langweilig. Ich verlasse den Waldspaziergang und lasse mir, begleitet von einem Aktivisten, die »Sprengkörper« im Westen des Waldes zeigen, die die Polizei noch untersuchen will.

Die Sprengsätze entpuppen sich bei näherer Betrachtung als zwei Feuerlöscher, die im Abstand von 200 Metern auf einem Weg eingegraben sind. An einem klebt etwas Gaffatape und ein paar Kabel, der zweite ist mit Fäkalien beschmiert. Schön ist das nicht, vor allem riecht es alles andere als gut. Aber ungefährlich. Wirklich Angst scheint man aber auch bei der Polizei nicht vor den »Sprengkörpern« zu haben. Am späten Nachmittag wird eine halbe Hundertschaft entspannt neben einer der vermeintlichen Bomben stehen. Ein Aktivist erzählt, dass es noch nie Sprengsätze im Wald gegeben habe, höchstens Bomben aus dem zweiten Weltkrieg. Der Hambacher Forst lag in der Einflugschneise nach Köln. Warum die Attrappen? Die Antwort die Waldschützer geben ist einfach, sie machen den Polizeieinsatz komplizierter, langwieriger und teurer.

Gut findet das nicht jeder im Wald, es wir diskutiert, die Feuerlöscher auszugraben und an den Waldrand zu bringen. Manche befürchten die angeblichen Sprengfallen könnten zum Vorwand für die Räumung von Baumhäusern in der Nähe genommen werden. Ein Konsens darüber wird nicht gefunden. Die Feuerlöscher bleiben. Ich gehe nach Oaktown, einem der ältesten und größten Baumhausdörfer im Hambacher Forst.

In Oaktown kommen am Nachmittag viele Aktivisten zum Essen zusammen. Es wird diskutiert, geplant und sich miteinander abgesprochen: Wer geht wann zu welchem Aussichtspunkt, um melden zu können, wenn die Polizei kommt? Waldbesucher mit Hunden und Kindern sind da, interessieren sich für die Baumhäuser und das Zusammenleben im Hambacher Forst. Die Waldbewohner geben gerne Auskunft. Mittendrin sitzen die Künstler Saxana und Helge Hommes. Ihre Arbeiten werden in Galerien in Paris, München oder Berlin ausgestellt. Sie stehen vor großen Staffeleien und portraitieren das Leben im Wald. Helge Hommes spricht von der »positiven Energie« der Menschen im Forst. Was RWE und die Polizei im Wald trieben sei »unverantwortlicher Irrsinn« so die beiden Künstler. Ruhig, kreativ und voller Lebensfreude, so nehme ich die Menschen in Oaktown auch wahr. Es ist zu diesem Zeitpunkt entspannt im Wald, auf einem Gartensessel döse ich beinahe weg.

Die Ruhe hält allerdings nur einige Minuten. In Oaktown kommt die Meldung an, dass über 30 Mannschaftstransporter im Westen des Waldes, bei den vermeintlichen Sprengsätzen angekommen seien. Nach einem Sprint durch den Wald sehe ich eine Gruppe von vielleicht 20 vermummten Aktivisten, die der Polizei gegenüberstehen. Die rückt mit Schildern und gezogenen Knüppeln vor. Die Aktivisten antworten mit Beschimpfungen und Steinen die auf Helme und Schilder prallen. Straßenkampf im Wald.

Irgendwann wird es der Polizei zu blöd, sich bewerfen zu lassen. Im Laufschritt rücken die Polizisten vor. Anweisungen werden auf der einen, wie der anderen Seite gebrüllt, »Barrikade einnehmen« schreit ein Polizist. »Rückzug« einer der Aktivisten. Das Spielchen wiederholt sich, bis die vermummten Aktivisten in die Mitte des Waldes getrieben sind. Dort treffen die mit Steinen ausgestatteten Aktivisten auch auf andere Waldschützer. Es wird heftig diskutiert. Die Gewalt schade dem Protest, diese Bilder seien es, die RWE und Polizei provozieren wollten, bekommen die Steinewerfer zu hören. Sie antworten, dass sie gerne keine Steine werfen würden, wenn ein paar hundert friedliche Demonstranten sich der Polizei in den Weg setzen würden. Solange das nicht geschehe, sei Militanz der einzige Weg den Wald zu schützen. Eine verfahrene Situation auf beiden Seiten. Wut, Angst, Stress und Ohnmacht sind bei friedlichen wie militanten Aktivisten zu spüren.

Irgendwann zerstreuen sich die militanten Aktivisten, sie befürchten ein weiteres Vorrücken der Polizei. Die denkt aber überhaupt nicht daran, sondern sperrt die beiden vermeintlichen Sprengkörper in einem großen Radius ab und beschränkt sich darauf.

Einige Kollegen und ich werden aus dem Wald gebeten, wegen der »Sprengkörper« und dem Einsatz, um diese zu entschärfen. Das dauert auch gar nicht so lange. Die Entschärfer kommen mit den Feuerlöschern aus dem Wald, wieder keine Bomben. Ich frage einen Beamten, ob es dann möglich sei, den Wald wieder zu betreten. Er sagt Nein und will sich auch nicht bei seinem Vorgesetzten erkundigen. Also rufe ich die Pressestelle der Polizei an, diese gibt nach ein paar Minuten grünes Licht für die Rückkehr in den Wald, mein Telefon soll ich dem Beamten geben. Der will nur über Lautsprecher mit dem Pressesprecher reden und bezweifelt dann, dass der Pressesprecher der Pressesprecher ist. Erst nachdem der aufgezählt hat, wer im Führungsstab der Polizei sitzt, gibt sich der Beamte an der Sperrstelle zufrieden. Die Anweisung, dass alle Medienvertreter wieder in den Wald dürfen überhört er, weswegen Kollegen noch ein weiteres Mal die Pressestelle anrufen müssen. Blödes Spielchen denke ich mir, belasse es aber dabei das zu denken.

An einem der Zugänge zum Wald hat sich ein Person aus der Besetzerszene in einem Betonblock, der unter einem Schrottauto eingegraben ist, angekettet. Die Polizei wird bis 22 Uhr brauchen, um die Person zu befreien. In der Zwischenzeit trägt RWE mit einem großen Radlader einzelne Barrikaden in der Nähe ab. Polizei und RWE sind es in der Gegend gewohnt, gemeinsam zu agieren.

Nach knapp elf Stunden verlasse ich den Hambacher Forst am späten Abend. Ein langer Tag, mit ganz unterschiedlichen Eindrücken. Gewalt, in Form von Steinwürfen gab es. Molotow-Cocktails, von denen die Polizei in einer Pressemitteilung spricht, die habe ich nicht gesehen. Mein Eindruck ist, dass die Situation Rund um den Hambacher Forst arg festgefahren ist. RWE will sein Braunkohleloch vergrößern, die Polizei macht, wozu sie juristisch verpflichtet ist. Man kann sich aber durchaus fragen, ob das in dieser Form notwendig ist. Die täglichen Einsätze zehren an den Nerven aller Beteiligter und lassen die Kommunikation immer schwerer werden. Eine Vermittlung zwischen den Konfliktparteien wäre nötig, doch gibt es wohl kaum jemanden, der das Vertrauen und die Autorität genießt, um zwischen dem mächtigen Energiekonzern, Sicherheitsbehörden und linken Aktivisten zu vermitteln. Im Hambacher Forst wird es also konfrontativ weitergehen.

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