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Bauchzeichen

Im Defizit doch ein Labsal: Lorcas »Yerma« am Staatsschauspiel Dresden

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Manchmal geht es schon vor dem Beginn gut los. Im Programmheft zu »Yerma« am Staatsschauspiel Dresden steht: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werde »an manchen Stellen auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung verzichtet«. Es gibt ihn also noch, den Sprachsinn. Und den Schutz der Sprache vor unablässig patrouillierenden Gesinnungsathleten. Es gibt den Sinn, den Schutz - und die schöne Illusion, beides hielte durch.

»Yerma« von Federico García Lorca: eine junge Frau, leidend an der Pflichtehe, an Kinderlosigkeit, am Druck der Tradition auf die unverstellten Sehnsüchte. Was im Andalusien des Jahres 1934 wütendes Aufbegehren war, was könnte es heute sein? Nur nicht zu laut fragen, mag sich Andreas Kriegenburg gedacht haben, denn immerbereit lauert die tagespolitische Verwertung. Aber statt nun lieber die Finger vom Stück zu lassen, hat der Regisseur diesen schwermütig-zornigen Lorca-Text inszeniert (Bühne: Harald Thor).

Im großen leeren weißen Guckkasten der Bühne weit hinten ein weiterer offener Kubus. Vorn zwei Wohnetagen, auf der Rückseite sechs Haushaltszellen. Eine Welt, die sich um sich selber dreht. Der Abend prunkt mit vitalstem Kunst-Gewerbe. Die Zeichen tanzen sich in Hochform. Die Symbole werfen sich die Bälle nur so zu. Ein Glas Milch stürzt nieder: Achtung, Kindernahrung! Jüngferliche Schwägerinnen in Schwarz, mit überlangen Ärmeln: Achtung, Todesboten! Röcke rauschen sich frei: Achtung, Vogelflattern! Das huscht und hört sich an wie raschelwischelndes Schlagwerk. Stühle kreisen Yerma ein: Achtung, Spießrutenlauf! Sie und ihr Mann sitzen an den Stirnseiten eines sehr langen Tisches. Achtung, unüberwindliche Nähe!

Achtung, Achtung, Achtung - die prustet geradezu mit Schwangerschaft. Zwölf Frauen, als wollten sie zeigen: kein Bauch ohne Feuer! Da, noch so ein Leib, er »gebiert« eine Melone, die natürlich fruchtrot platzt und spritzt und schmeckt. Ja ja, verstanden: Leibesfrucht, ein Wortspiel mit Vitaminen. Pistazienkerne klirren in Emaillenschalen, auch werden Frauen zu motorischen Männerwäsche-Waschmaschinen choreografiert, und wenn Yerma und ihr Mann miteinander aneinander vorbeireden, dann sind es die Frauen des Dorfes, die beider Körper und Köpfe mechanisch in die jeweiligen Posen rücken: die Ehe ein Puppenheim, als hieße Yerma Nora.

Die Frauen: Wehende und Wehklagende, Kokette und Kreischende, Heiße und Hastende. Später, ganz in Rot, einen einzigen Lippenstift herumreichend: Individualität von der Stange. Diesseits-Egoistinnen aus Lorcas Jenseits. Deleila Piasko spielt die Yerma zunächst wellenwogend weich, schmiegsam, verführerisch, dann mit der raffinierten Pedanterie einer Begierde nach Konsequenz, die nicht Kinder, sondern einen verzweifelt abstoßenden Fanatismus gebären wird. Die Langhaar-Ballerina wandelt sich zur stampfenden Derbnatur, die sich selber gegen den Bauch schlägt. Simon Werdelis ist Yermas Mann, den sie töten wird, ein kalt-müder Ökonom des Besitzstandes; Mathis Reinhardt gibt den Schäfer, zu dem sich Yerma immer wieder hinträumt; zwei Männer in Schwarz - Schemen gleich. Für Yerma ist der Fremde Begehrensschaumgebäck, der eigene Mann nur Mürbekeks. Der einem hier fast leid tut im Furor ausgestellter Weibsenergie. Hannelore Koch ist mit lebensliebendem Lachen jene weise Alte, deren praktische Güte an den steigenden Härtegraden Yermas abprallen muss.

Alles vorhanden: der Weiberpulk als aggressives Elend der öffentlichen Meinung; die südliche Gemütswelt als schön bewusster, bewusst schöner Wechsel von Weiß zu Blau, von Weiß zu Rot, von Keckheit zu Klage; das Sprechen aufgefangen vom weiblichen Tanz, der Tanz hinübergeleitet zur männlichen Erschöpfung, die an hoher Wand zu Boden sinkt. Wohlgezirkelt alles. Schwungvoll. Aber: alles wie weinprobensüffisant. Kriegenburg kann das, er konnte das schon immer: Schmetterlinge aufspießen, die zu ihrem Glück nicht mehr leben. Wir schauen verwundert drauf, aber das Tote blickt nicht zurück. Statt Kühnheit Gefälligkeit; statt Verstiegenheit Gediegenheit. Kriegenburg malträtiert nicht, er malt; er hat für Technik nicht weniger Gabe als für Tragik. das freilich zerkühlt jede Wahrnehmung. Keine Stimmung stört hier, denn jede Stimmung stimmt. Dieser Regisseur düstert stets nur so viel ein, dass er brillant skurril bleiben darf. Der Abend kommt somit, böse gesagt, der Boutique näher als irgend einem Ausgesetztsein. Zu wenig Gegenwart in diesen zweieinhalb Stunden, zu wenig Aktualität, zu wenig Aufstörung. Und doch! Plötzlich sind mir diese Defizite der Inszenierung - man glaubt’s kaum - auch ein Labsal.

Ja, solche Augenblicke gibt es im Theater. Dass dir, überfallartig, die Überdrüssigkeit bewusst wird. An besagter Tagesbezogenheit, die du dem eigenen Geist schon wie ein Korsett umgeschnallt hast. Verfluchte Begriffsverfallenheit deines Denkens: MeToo, Genderthema, neue Klassenpolitik, Emanzipation, klare linke Botschaften. Oh Gott! Täglich entfaltet ein so zerwichstes Vokabular unbeirrt seine Lautstärken (das Volk gähnt und gähnt!), dass man auch mal über einen Theaterabend froh ist, der einer allzu schnellen Politvernutzung ausweicht. Es ist, als wolle die Inszenierung bewusst draußenbleiben im Streit: zwischen Mütterlichkeit und Männlichkeitsregime, zwischen Herd und Gesellschaft. Auf Distanz bleiben zur Reizreaktionsroutine. Die jede Leidenschaft nur immer auf etwas Wesentliches lenkt. Menschen, die nur immer wesentlich sein wollen, wirken selten glücklich.

Patriarchatszwänge, Matriarchatsträume, eine ehrstarre Gesellschaft. Liegt auf der Hand. Die Hand zuckt zurück. In überzeugenden Augenblicken dieser schnurrenden metaphorischen Mechanik scheint somit etwas anders hervor: Yerma und ihr Mann, das sind zwei Menschen, die jeweils sehr prinzipienfest einzig auf sich selbst bestehen. So, wie Yerma krampfhaft am Kinderwunsch festhält, kann sie auch der unheilvollen Beziehung zu ihrem Mann kein Ende setzen. Nichts ist schwerer zu lernen: Auch Stärke kann ein Elend sein. Und just solch ein ethischer Dogmatismus ist das Todesurteil jeder Bindung. Unsere Gegner können wir wählen, aber unsere Freunde, Geliebten müssen wir in Kauf nehmen, also Zugehörigkeit mit Zugeständnis bezahlen. Wir wissen doch genau, was die tragische Konsequenz von Liebe und Bündnis ist, privat wie politisch: Wir beobachten den am schärfsten, der uns am tiefsten verletzen kann.

Nächste Vorstellung: 20. September

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