Vage Aussicht auf Entlastung

Sozialminister Heil stellt Übernahme der Kosten durch Bund und Länder in Aussicht

Der Krieg in Syrien währt mittlerweile fast acht Jahre. Einige Tausend Deutsche haben bereits seit 2013 Bürgschaften für Menschen insbesondere aus diesem Land übernommen, um ihnen eine Einreise zu ermöglichen, bei der sie nicht in Schlauchbooten ihr Leben aufs Spiel setzen mussten. Dass sie damit erhebliche finanzielle Verpflichtungen auf sich nahmen, wussten die Helfer. Allerdings gingen die meisten davon aus, dass sie ab dem Zeitpunkt, zu dem ihre Schützlinge einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen, entlastet seien. Dem war aber nicht so.

Inzwischen haben viele Bürgen Kostenbescheide von Jobcentern zugestellt bekommen. Sie sollen teils gewaltige Summen an Sozialleistungen zurückzahlen. Zu den Betroffenen gehört der Berliner Apotheker Jonny Neumann, der für einen jungen Syrer bürgte. Er soll 14.000 Euro zurückzahlen. Menschen, die eine Bürgschaft für eine ganze Familie übernommen haben, sind teilweise mit Forderungen von 50.000 bis 60.000 Euro konfrontiert.

Am Donnerstag ließ nun Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) wissen, es werde demnächst eine Lösung geben. Bund und Länder würden sich die Kosten von Privatleuten teilen, sagte er gegenüber der Tagesschau. Er habe die Jobcenter angewiesen, die Kostenbescheide zwar zu versenden, aber nicht zu vollstrecken, also kein Mahnverfahren in Gang zu setzen. Apotheker Neumann gehört demnach zu jenen, die dadurch entlastet werden sollen.

Nach ARD-Angaben betrifft die Vereinbarung eine Summe von etwa 21 Millionen Euro. Heil schränkte allerdings ein, es sollten jene Bürgen entlastet werden, die »vor dem Jahr 2016 falsch beraten« worden seien oder für die die Rückforderung eine »besondere Härte« darstelle. Für die Betroffenen könnte es schwierig werden, eine mangelnde oder falsche Beratung nachzuweisen. Zumindest im Kleingedruckten der von ihnen unterzeichneten Verpflichtungserklärungen wurde auf den Paragrafen 68 des Aufenthaltsgesetzes hingewiesen. Bis 2016 stand darin explizit, dass Bürgen zeitlich unbegrenzt, also letztlich lebenslang, zur Übernahme von an ihre Schützlinge gezahlten Sozialleistungen und sogar von Kosten medizinischer Behandlung herangezogen werden können.

Vertreter von Initiativen äußerten sich mit Blick auf die Ankündigungen des Ministers skeptisch. Rüdiger Höcker vom Kirchenkreis Minden sagte am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst, Heil habe nur von den Forderungen der Jobcenter, nicht aber von den Ansprüchen der kommunalen Sozialämter gesprochen. Diese beträfen aber rund ein Viertel der Bürgen, erklärte Christian Osterhaus vom Koordinationskreis Bonner Bürginnen und Bürgen. Unklar sei auch, ob Betroffene, die bereits gezahlt hätten, ihr Geld zurückbekämen – und was aus den zum Teil hohen Anwalts- und Gerichtskosten werde. Außerdem habe es auch 2016 viele neue Bürgschaften gegeben, betonte Osterhaus, während Minister Heil nur von solchen gesprochen habe, die vor diesem Jahr übernommen worden waren.

Schätzungen zufolge haben allein 2013 und 2014 rund 7000 Menschen in Deutschland Verpflichtungserklärungen für Kriegsflüchtlinge aus Syrien abgegeben. Nach Angaben der Bundesregierung haben Jobcenter bislang rund 2500 Bescheide mit Rückforderungen an Einzelpersonen, Initiativen und Kirchengemeinden verschickt.

Im August 2016 trat im Rahmen des sogenannten Asylpakets I, das viele Verschärfungen enthielt, auch eine Änderung des Aufenthalts- und Integrationsgesetzes in Kraft. Seither ist die Geltungsdauer von Bürgschaften auf fünf Jahre begrenzt. Zugleich heißt es in Paragraf 68 aber weiterhin, dass die Verpflichtungserklärung nicht erlischt, wenn der Geflüchtete vor Ablauf der fünf Jahre einen Aufenthaltstitel bekommt. Der Bürge hat also weiterhin »sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden«.

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