Freitags sind die Gymnasien leer

Zum globalen Klimastreik sind weltweit Hunderttausende Schüler auf die Straße gegangen. Die meisten haben einen höheren Bildungsgrad.

  • Philip Blees Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Invalidenpark zwischen Bundesverkehrs- und Bundeswirtschaftsministerium in Berlin-Mitte platzt aus allen Nähten. Weil die Schüler*innen auch auf der Invalidenstraße stehen, muss sie von der Polizei für den Autoverkehr gesperrt werden. Ganze Schulklassen strömen zu dem Protest von »Fridays for Future«. Unter dem Motto streiken Schüler*innen weltweit seit einigen Monaten jeden Freitag für eine schnelle Umkehr in der Klimapolitik. Für diesen Freitag war ein globaler Klimastreik ausgerufen worden, der noch einmal mehr Menschen mobilisieren sollte als bisher. Mit Erfolg.

In Berlin seien definitiv mehr Menschen auf der Straße als in den Monaten zuvor, sagt der 15-jährige Mitorganisator Linus Steinmetz dem »nd«. Weltweit beteiligten sich Schülerinnen und Schüler in mehr als 100 Ländern an dem Protest, allein in Deutschland in mehr als 220 Städten von Achern bis Würzburg. Sie warfen den Politiker*innen vor, zu wenig für die Zukunft der Erde zu tun. Breite Teile der Gesellschaft haben erkannt, dass mit dem Klimawandel ein Prozess in Gang gekommen ist, der die Zukunft gefährdet. Das beunruhigt vor allem die Jugend. Doch wer sind diese Jugendlichen?

Dazu befragt, erzählen die meisten der Teilnehmer*innen der Demonstration in Berlin, dass sie ein Gymnasium besuchen. Nur vereinzelt gibt es Grüppchen von Schüler*innen, die kein Abitur anstreben.

Das verwundert nicht. »Politisches Interesse hängt sehr stark mit dem Bildungsgrad zusammen«, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann dem »nd«. Er ist am Freitagvormittag auf der Straße, um sich ein Bild von den Demonstrant*innen zu machen. Insgesamt charakterisiert er die Bewegung als beachtlich weiblich, jung und unabhängig. Der größte Teil der Aktiven kommt seiner Einschätzung nach von den Gymnasien, aber auch Schüler*innen der integrierten Sekundarstufen seien dabei.

Beide Feststellungen spiegeln Hurrelmanns Forschungen wider: Insgesamt hat die Politisierung bei Jugendlichen demnach in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, die Intensität aber meist bei höherem Bildungsgrad. Warum? Wer einen höheren Bildungsgrad habe, könne oft Zusammenhänge besser erkennen, Dinge sozusagen aus der Vogelperspektive betrachten und analysieren. Warum die Politisierung insgesamt zugenommen habe, das sei »schwer zu erklären«. Hurrelmann geht aber davon aus, dass sich die Jobperspektiven von jungen Menschen nach dem Ende der Babyboomerjahre wieder verbessert hätten. Dadurch hätten die Jugendlichen heute weniger unmittelbare Zukunftsängste und damit Raum, sich mit anderen Fragen zu befassen.

Der 16-jährige Levin ist am Freitag in Kiel auf die Straße gegangen. Er besucht eine Gemeinschaftsschule, die mit der 10. Klasse endet. Seine Lehrer müssen die Streiks ablehnen, sagte er dem »nd« im Vorfeld. »Aber es gibt Lehrer, die dem, ich sage mal, nicht so verschlossen sind.« Warum er an »Fridays for Future« teilnimmt? »Weil Klimaschutz ein wichtiges Thema ist, für das zu wenig von Seiten der Politik getan wird. Vieles ist auf den wirtschaftlichen Erfolg einzelner Unternehmen und Personen ausgerichtet und nicht auf das, was wirklich wichtig ist: Diese Erde auch noch für nachfolgende Generationen bewohnbar zu machen und allen Menschen ein schönes Leben zu ermöglichen.« Levin demonstriert nicht zum ersten Mal. Für »Fridays for Future« war er schon häufiger auf der Straße, davor bei Demonstrationen gegen die AfD oder für die Seenotrettung, sagt er. Levin mag also zwar kein Gymnasiast sein, ein politischer Mensch war er schon vorher.

An einer Berliner Oberschule sieht das Bild anders aus. Am Freitagmorgen merkt man an der Ernst-Schering-Oberschule in Wedding nichts von dem bevorstehenden Streik, der um 10 Uhr beginnen soll. Demonstrieren für den Klimaschutz? »Mit dem Thema haben wir gerade in Deutsch angefangen«, erzählt der Zehntklässler Ajan, der vor der Schule auf seine Freunde wartet. Ihn interessiere das Thema schon, auf eine Demonstration gehen würde er allerdings nicht. Auch seine Mitschüler hätten dafür keine Motivation. Er kenne niemanden, der streike. Das bestätigt auch die Schulleiterin Friederike Beyer dem »nd«: »Bei uns gab es das noch nicht.« Die Schüler*innen könne man hier nur schwer politisch mobilisieren. Ihre Erklärung: »Der Bildungsgrad ist hier nicht hoch.« Politische Anstöße kämen nicht aus dem Elternhaus, sondern wenn, dann von den Lehrer*innen. »Bildungsferne heißt auch Politikferne.« Sie würde sich freuen, wenn ihre Schüler*innen teilnähmen und sich so engagierten.

Das Problem ist auch den Organisator*innen bewusst: Auch Linus Steinmetz hat erkannt, dass viel in seiner Bewegung von »privilegierteren Menschen«, wie er sie nennt, ausgeht. Das sei eine schwierige Sache, aber auch in der Vergangenheit schon bei beispielsweise der Studentenbewegung so gewesen. Das müsse man ändern: »Wir versuchen, alle Menschen einzubinden.«

Ein genaueres Bild der Bewegung wollen sich Mitarbeiter des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung machen. Am Freitag mischten sie sich zur Demonstrationsbeobachtung unter die Schülerinnen und Schüler. Eine Auswertung steht noch aus.

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