Ehrung für eine Wissbegierige

In ihrem Geburtsort Meißen wird mit einem »Frauenort« an die Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters erinnert

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit der Konfirmation war Schluss mit Schule - für Mädchen. Ihnen wurde, anders als den männlichen Altersgenossen, Bildung im 19. Jahrhundert nur bis zum formalen Übertritt ins Erwachsenenalter zugebilligt. Louise Otto Peters indes wollte mehr. Die am 26. März 1819 geborene Tochter eines Gerichtsbeamten im sächsischen Meißen ließ die Konfirmation um ein Jahr aufschieben, nur um länger die Schule besuchen zu können. Für sie schlossen sich Wissbegier und Weiblichkeit nicht aus. Ihr letzter öffentlicher Auftritt vor ihrem Tod 1895 in Leipzig war die Eröffnung eines gymnasialen Bildungskurses für Frauen.

Es passt also, dass die jüngste Ehrung für Louise Otto-Peters in ihrer einstigen Schule erfolgt. Im Foyer der »Roten Schule« in Meißen wurde an ihrem 200. Geburtstag ein »Frauenort« für die Frauenrechtlerin eingeweiht: eine Tafel, die über ihr Leben und ihre Verdienste informiert. Solche Tafeln richtet Sachsens Landesfrauenrat seit drei Jahren ein, um »Vorbilder zu schaffen«, wie die Vorsitzende Susanne Köhler sagt. Man wolle auf Frauen aufmerksam machen, die »unbekannt sind oder nicht so bekannt, wie sich das gehört«.

Bald 18 Frauenorte in Sachsen und viele Ideen für weitere

Seit 2016 wird in Sachsen mit »Frauenorten« auf die reiche »Frauengeschichte« im Freistaat aufmerksam gemacht. Der erste würdigte die Chemnitzer Streikführerin Minna Simon. Inzwischen gibt es 13 solcher Tafeln, unter anderem für die jüdische Kinderbuchautorin Mira Lobe in Görlitz, die erzgebirgische Unternehmerin Barbara Uthmann in Annaberg-Buchholz oder für Clara Zetkin in Wiederau. Historisch reicht die Spanne vom 11./12. Jahrhundert mit der Klosterstifterin Bertha von Groitzsch bis zur erst 1996 gestorbenen Tanztherapeutin Christel Ulbrich.

Die Idee der »Frauenorte« wurde für die EXPO 2000 in Sachsen-Anhalt entwickelt. Auch Brandenburg und Niedersachsen würdigen Frauen auf diese Weise. In Sachsen sollen Frauen geehrt werden, die »außerordentliches Engagement« gezeigt und das Land »auf allen gesellschaftlichen Ebenen mit geprägt« haben. Das Projekt wird vom Landesfrauenrat betreut und vom Gleichstellungsministerium gefördert. Vorschläge kann jeder einreichen; derzeit stehen rund 50 auf der Liste. Eine Jury aus sechs Frauen entscheidet jeweils im Februar über neue Ehrungen.

2019 werden noch fünf weitere »Frauenorte« eingeweiht: für die Komponistin Clara Schumann und die Pädagogin Angelika Hartmann (beide in Leipzig), die der NS-Euthanasie zum Opfer gefallene Malerin Elfriede Lohse-Wächtler (Pirna), für die Designerin Marianne Brandt (Chemnitz) und die Kinderärztin Christa Mannfeld-Hartung (Radebeul). hla

Louise Otto-Peters fehlt es eigentlich nicht an Prominenz. In feministischen Kreisen ist sie eine Ikone. Sie sei zwar »nicht unbedingt die erste, die sich für Frauenrechte eingesetzt hat, aber im 19. Jahrhundert die bedeutendste«, sagt Sandra Berndt, die Vorsitzende der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. Die wurde 1993 in Leipzig gegründet, wo die Namensgeberin mit ihrem Mann August Peters ab 1859 lebte und 1865 den Allgemeinen Deutschen Frauenverein mitbegründete. Die Stadt erinnert daran seit 2015 mit einem nach Otto-Peters benannten Preis, der Leistungen zur Förderung der Gleichstellung würdigt. Zuletzt ging er an die Berliner Rapperin Sookee, die in ihrer Musik unter anderem auf die »Wirkmächtigkeit von stereotypen Geschlechterrollen« aufmerksam mache.

In ihrer Geburtsstadt dagegen ist die Frauenrechtlerin längst nicht so bekannt, wie es sein sollte, sagt Gabriele Kluge. Die einstige Hebamme ist als Stadtführerin unterwegs - unter anderem in historischem Kostüm auf den Spuren von Louise Otto-Peters. Die Nachfrage halte sich sehr in Grenzen, räumt sie ein. Im Straßenbild ist die verdienstvolle Tochter der Stadt kaum präsent. Ein Altersheim sei zwar nach ihr benannt, eine eigene Straße hat sie aber nicht wirklich. Als 1919 der 100. Geburtstag bevorstand, half man sich mit einer Notlösung. In einem frisch eingemeindeten Ortsteil gab es eine Petersstraße, deren Name ergänzt wurde. Nicht sehr würdig, findet Kluge - »zumal es sich auch noch um eine Sackgasse handelt!«.

Um ein angemesseneres Gedenken habe sie sich mit Mitstreiterinnen schon anlässlich des 190. Geburtstages bemüht, sagt Kluge: »Da war die Zeit noch nicht reif.« In diesem Jahr aber gibt es in Meißen eine ganze Festwoche, bei der die Stadtführerin als »Double« der Frauenrechtlerin im Dauereinsatz ist; dazu eine Ausstellung im Museum, einen Festakt im Theater - und den neu geschaffenen »Frauenort« im Schulfoyer. Mancher bedauert, dass er nicht im öffentlichen Straßenraum errichtet wurde, was dem Vernehmen nach an Fragen des Denkmalschutzes für die prächtig sanierte Schule gescheitert sein soll. Immerhin sei die Tafel aber öffentlich zugänglich, heißt es bei der Stadt. Die »Rote Schule«, die nur bis 2001 für den ursprünglichen Zweck genutzt wurde, beherbergt inzwischen Teile der Stadtverwaltung; direkt neben der Tafel ist künftig der Eingang zum Amt für Familie.

Der dort angebrachten Text zeigt bemerkenswerte Parallelen zwischen Fragen, die Otto-Peters bewegten, und aktuelle Debatten. Erwähnt wird beispielsweise ein Brief, den die Publizistin im Revolutionsjahr 1848 an den sächsischen Innenminister richtete. Dieser wollte eine Kommission berufen, die Fragen der Arbeitsorganisation erarbeiten sollte - aber nur mit Männern besetzt war. Die Frauenrechtlerin verlangte »im Namen der Moralität« und der Humanität: »Vergessen Sie bei der Organisation die Frauen nicht!« Sie drängte quasi auf eine »Frauenquote« - was als Skandal empfunden wurde. Immerhin durfte sie Vorschläge in der Frage unterbreiten. 170 Jahre später wird um die Frage weiblicher Repräsentanz in Gremien, Parlamenten und Aufsichtsräten unvermindert hart gestritten, ebenso wie das Problem ungleicher Bezahlung. Louise Otto-Peters wäre wohl mehr als erstaunt, sagt ihr Double Gabriele Kluge: »Sie hatte die Vision, dass die Frauenfrage in 100 Jahren gelöst ist. Statt dessen diskutiert man darüber immer noch.«

Der »Frauenort« erwähnt etliche weitere Aktivitäten und Verdienste von Otto-Peters, ihre journalistische und publizistische Tätigkeit etwa für die Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und für andere Blätter, die sie wiederholt in Konflikt mit Zensurbehörden brachte, aber auch ihr Schaffen als Autorin von Romanen, Gedichten und selbst Opernlibretti. Die Tafel für Otto-Peters kann wie die anderen Frauenorte im Freistaat Anlass für vertiefte Beschäftigung mit einer verdienstvollen Sächsin sein, sagt Susanne Köhler vom Landesfrauenrat. Und vielleicht, fügt sie hinzu, wird sie ja irgendwann sogar Station eines regelrechten »Frauentourismus in Sachsen«.

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