»Wir müssen radikaler werden«

LINKE-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler über die EU- und Kommunalwahlergebnisse

Die LINKE hat einen weitgehend enttäuschenden Wahlsonntag hinter sich. Welche sind die Hauptgründe für die Verluste?

Ja, es war enttäuschend. Offenbar haben wir die Fragen, die zur Europawahl gestellt wurden, für die Wählerinnen und Wähler nicht zufriedenstellend beantwortet. Die Frage »Wie hältst du es mit der EU?« und die Klimafrage haben wir zwar auf dem Europa-Parteitag richtig beantwortet, aber dennoch missverständliche Botschaften ausgesandt.

Zur Person
Jörg Schindler, Jahrgang 1972, ist Jurist und arbeitete als Anwalt für Arbeits- und Sozialrecht. In Sachsen-Anhalt war er für die LINKE kommunalpolitisch aktiv und amtierte als stellvertretender Landesvorsitzender. Seit Sommer 2018 ist er Bundesgeschäftsführer der Linkspartei. Über die Folgen der EU- und Kommunalwahlen vom Wochenende sprach mit ihm Wolfgang Hübner.

Inwiefern?

Unser Ja zu Europa und zum Kampf gegen den Klimawandel ist als »Ja, aber« verstanden worden. Das Beharren auf der sozialen Gestaltung der Klimapolitik beispielsweise wurde von vielen als Vorbedingung verstanden, nicht als unbedingtes Wollen. Und dann haben vor allem jüngere Leute eben die Grünen gewählt, denen sie ein bedingungsloses Ja zu Europa und zur Ökologie zuschreiben.

Warum konnte die LINKE nicht von den SPD-Verlusten profitieren, nicht von der höheren Wahlbeteiligung, nicht vom gewachsenen Interessen am Thema Klima?

Immer wichtiger für die politische Hegemonie in der Gesellschaft ist, was die jungen Wähler denken. Auch wenn sie nicht die Mehrheit sind. Aber sie beeinflussen das Stimmungsbild erheblich. Für sie sind die Wahlen, vielleicht sogar ihre ersten, ein wichtiger Teil der Sozialisierung. Bei den Erstwählern führen deutlich die Grünen, dann kommen CDU und Die Partei und dann erst wir, mit acht Prozent und die SPD mit sieben. Das zeigt, dass die politische Hegemonie derzeit bei den Grünen liegt. Alle anderen müssen die Sprache der Grünen sprechen, um gehört zu werden. Und das ist auch unsere Herausforderung. Wir sind bei den Jungwählern, im Kontakt zu denen, die die sozialen Bewegungen antreiben, stehengeblieben. Da müssen wir uns erneuern.

Was heißt das?

Wir müssen deutlich und konkret sagen, wie eine radikale ökologische Wende mit sozialer Sicherheit verbunden werden soll. Wir brauchen ein radikales Programm und gleichzeitig ein pragmatisches Herangehen in der praktischen Umsetzung. Breite Bündnisse, keinen Gesinnungs-TÜV bei den Bündnispartnern, aber einen klaren Blick darauf, wo unsere Ziele verlassen werden. Dieser pragmatische Radikalismus ist auch eine methodische Neuorientierung.

Parteichefin Katja Kipping jetzt eine Gesprächs- und Demokratieoffensive in der Linkspartei angekündigt. Was soll demokratischer werden?

Es geht unter anderem darum, die Partei weiter zu öffnen, für soziale Bewegungen, für junge Menschen mit ihren Aktionsformen. Wir müssen die Barrieren zwischen Parteiarbeit und politischer Aktivität in sozialen Bewegungen senken, sozialen Bewegungen mehr Spielraum bei uns geben. Wenn wir um die Hegemonie bei jungen Menschen kämpfen wollen, müssen die jungen Mitglieder und Sympathisanten mehr Möglichkeiten bekommen, sich durchzusetzen.

Die PDS galt als Ostpartei. Inzwischen kann man das eher von der AfD sagen. Was ist an der AfD für viele Wähler attraktiver, was die LINKE nicht mehr hat?

Es gibt ja viele Probleme, gerade in ländlichen Räumen. Da haben viele Menschen ihre Perspektive verloren, sie haben das Gefühl, ihr Leben werde entwertet. Dieses Gefühl greift die AfD massiv auf und verknüpft es mit fremdenfeindlichen, antiglobalen und ressentimentgeladenen Tönen. Dagegen müssen wir etwas tun, aber das ist ein Gefühl, das viele haben.

Warum werden die Grünen eher als Kontrapunkt zum Rechtspopulismus wahrgenommen als die LINKE?

Sie können sich in der Öffentlichkeit sehr gut und relativ widerspruchsfrei als Hüterin von Weltoffenheit und Menschlichkeit darstellen. Während wir uns in den letzten 19 Monaten durchaus die eine oder andere Uneindeutigkeit geleistet haben.

In Bremen könnte es zu Gesprächen über eine rot-grün-rote Landesregierung kommen. Was muss die LINKE tun, damit eine solche Konstellation zu einer Referenz wird und nicht zum Wählerschreck?

Die Genossinnen und Genossen in Bremen haben schon vor der Wahl eine, wie ich finde, sehr gute Verhandlungslinie beschlossen. Sie macht klar, dass die LINKE nicht für ein Butterbrot zu haben ist. Sie werden nur in eine Koalition gehen, wenn dadurch ein Politikwechsel erfolgt. Ohne klare Mindestbedingungen wird nichts gehen. Dazu gehört die Abkehr von der Schuldenbremse, ein massiver Ausbau im öffentlichen Nahverkehr und sozialere Verkehrstarife. Es braucht auch ein deutliches Mehr an Bildungsgerechtigkeit, denn Bremen leidet unter einem akuten Kita-Notstand. An diesen Themen arbeitet die Bremer Linksfraktion seit Jahren.

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