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Der gute Mensch von Bielefeld

Eine Erinnerung an Wiglaf Droste: Vor drei Jahrzehnten beschimpfte er nicht nur seinen Interviewer. Ein Nachdruck

  • Christian Y. Schmidt
  • Lesedauer: 8 Min.

Zugegeben, Charles Manson oder Klaus Kinski zu interviewen, ist schwieriger. Aber dann kommt auf der Beliebtheitsskala der Journalisten auch schon Wiglaf Droste, der böse zynische Frauenschinder und perverse Pornografieverherrlicher aus Berlin.

Das ist natürlich vollständig gelogen, aber es macht sich ganz gut als Einleitung zu einem Interview mit dem »taz«-Journalisten, der als einer der Auslöser des sogenannten »Por-No-Streiks« der Frauen bei der »taz« gilt und der durch seinen Knastaufenthalt im Anschluss an die 1.-Mai-Demonstration im Jahr 1988 in Kreuzberg richtig populär wurde.

Eine Freundschaft

Der am 15. Mai dieses Jahres verstorbene Satiriker Wiglaf Droste (1961-2019) und ich sind beide in Bielefeld aufgewachsen, haben uns aber hier nie getroffen, so lange Wiglaf in der Stadt lebte. Das lag wohl daran, dass er knappe fünf Jahre jünger war als ich, in einer ganz anderen Ecke der Stadt wohnte und auch schon 1983 nach Berlin ging. Trotzdem lernten wir uns in Bielefeld kennen, und zwar am 12. Juli 1988. Damals war Wiglaf gerade dabei, berühmt zu werden. Am 8. März des Jahres, dem Internationalen Frauentag, hatte er die so genannte »Pornoseite« in der seinerzeit sogenannten alternativen Tageszeitung »taz« verantwortet. Was genau auf der Seite zu lesen und zu sehen war, habe ich vergessen. Ich glaube, es handelte sich unter anderem um einen Text von Wiglaf, der »PorNo - für das Echte gibt es keinen Ersatz« überschrieben war. Auf jeden Fall löste die Seite den sogenannten »PorNo«-Streik der »taz«-Frauen aus und Wiglaf wurde für einige Zeit in den Urlaub geschickt.

Kurze Zeit später wurde er auf der Kreuzberger revolutionären 1.-Mai-Demonstration festgenommen, weil er einen Stein auf ein Polizeifahrzeug geworfen haben sollte. Zusammen mit sechs weiteren Beschuldigten wanderte er für elf Tage in Untersuchungshaft. Freunde von ihm, unter ihnen Benny Härlin, publizierten eine Sammlung seiner Texte, die »Der junge Bielefelder« betitelt war und deren Erlös der Verteidigung der sieben Verhafteten dienen sollte. Droste konnte aber am Ende sowieso nichts nachgewiesen werden, und die Staatsanwaltschaft musste die Ermittlungen wegen Landfriedensbruch einstellen. Wenn man so will, war diese Broschüre, die in einer Auflage von 5000 Exemplaren erschien, Wiglafs erste Solopublikation.

Das war der Hintergrund, weshalb ich neugierig auf den Mann war, der an jenem 12. Juli im »Blue Rat« lesen sollte. Ich fragte beim selbstverwalteten lokalen Bielefelder »Stadtblatt« nach, ob sie an einem Interview mit Wiglaf Droste interessiert seien. Sie waren. Also schnappte ich mir meinen Sony-Walkman und sprach den damals 27-jährigen Autor nach der Lesung an. Zu Anfang zeigte er sich geschmeichelt, da er als junger Mensch ein Fan des legendären »Dreck«-Magazins gewesen war, das von mir mitherausgegeben wurde. Später jedoch… Man lese selbst. (Erstveröffentlicht wurde das Gespräch in besagtem Bielefelder »Stadtblatt« Nr.30/1988.) Am nächsten Tag schrieb mir Wiglaf, dass er sich an keine Details des Abends mehr erinnern könnte, ihn aber insgesamt als angenehm empfunden hätte. Auf jeden Fall wurde er der Beginn einer längeren Freundschaft.

Christian Y. Schmidt

Herr Droste gibt sein Bestes: »Warum stellst du keine geistreichen Fragen, du Arsch? Wenn du jemals in deinem Leben behaupten würdest, du bist ein Journalist, dann werde ich tätig werden. Dann mach ich dich zur Sau. Du bist alles andere. Du bist ein Mann, der schlechte Kleidung trägt, wenig Haare auf dem Kopf hat und eine unheimlich miese Brille auf hat.«

Es ist ganz, ganz spät geworden im »Blue Rat« in Bielefeld. Wiglaf Droste hat aus seinen Werken gelesen. Jetzt ist er besoffen und tut etwas, was wir alle gerne täten, sollten wir einmal berühmt werden. Leute beleidigen, voll gemein. Das macht Laune. Und fördert den Ruf als böser Mann. Aber nur, wenn der Interviewer es sich merkt. Doch der ist noch viel besoffener und redet schon längst nicht mehr mit ihm. Sondern mit Sabine an der Theke. Dafür wird Herr Droste jetzt von Heinz interviewt. Der ist aber mit der Beleidigung nicht gemeint. Sondern der Interviewer an der Theke. Und das bin ich.

So schön können Interviews enden. Zum Glück hat es sich der Walk-Man gemerkt. Wer hätte es sich sonst merken sollen? Vielleicht Heinz? Vielleicht! So schön können Interviews enden, wenn man meine bestimmte Methode anwendet. Herr Droste nennt sie »Bielefelder-Halbglatzen-Odol-Brillen-Topjournalismus«. Woher hat er das gewusst?

Diese Methode ist anstrengend. Viel anstrengender als beispielsweise der leise, beflissene »Aspekte-Peter-W.-Jansen-Kultur-Journalismus«. Sie fordert den physischen Einsatz des Journalisten bis kurz vor die Besinnungslosigkeit. Herrn Droste ist sie offensichtlich nicht unbekannt: »Betrink dich gut, vielleicht stellst du dann intelligentere Fragen.« Aber diese Methode ist effektiv, denn zuletzt fördert sie als einzige das Innerste des Gegenübers zutage. Und das ist bei Herrn Droste zutiefst moralisch, schwer sentimental und herzensgut. Bei jemandem, der in dem Ruf steht, ein Zyniker und Polemiker zu sein, der dazu noch aus Bielefeld kommt, hatte ich derlei eigentlich nicht erwartet.

»Die ›taz‹: eine ausgeflippte protestantische Kita«

Zunächst aber verliert sich Herr Droste ganz an seinen heiligen Zorn. Arschlöcher allüberall, besonders bei der »taz«, deren »Weizsäckerisierung« er bereits in der Julinummer der »Konkret« attackierte. Für ihn, der seit nunmehr einem Jahr als fester Redakteur bei dem Blatt arbeitet, in dieser Zeit mehrmals rausgeschmissen werden sollte und nach der »Porno-Affäre« für fünf Tage zwangsbeurlaubt wurde, ist dieser Artikel allerdings kein Vernichtungsurteil: »Das ist eine Abrechnung mit einer ganz bestimmten Richtung in der ›taz‹, die leider immer mehr an Boden gewinnt. Es arbeiten in der ›taz‹ Leute, die ihre Erfüllung besser im Absolvieren einer Banklehre oder einer Unteroffizierslaufbahn finden würden. Diese vollkompatiblen Mutantenjournalisten, die werden immer mehr. Die kann man auch benennen, sie heißen Rosteck, Rediske usw., Leute, die so gut schreiben können wie ein Stück Brot, aber die sich funktionärsmäßig unheimlich wichtig machen. Das ist das Dilemma, dass die Leute, die straff organisieren können und dazu in Flügelkämpfen geschult sind - entweder von der Uni oder aus irgendwelchen komischen Gruppierungen wie «Die Falken» - dass die letztlich besser abschneiden als Leute, die etwas zu erzählen haben, aber denen es zutiefst zuwider ist, permanent zu feilschen und großes Getue zu machen.«

Ein gerechter Zorn. Nicht nur, weil die Vergleiche und Wortschöpfungen so schön sind. Sondern weil bestimmte Artikel in der »taz« diese Milieuschilderung eindrucksvoll unterstreichen. Aber ist Wiglaf Droste denn besser? Ist er nicht das große Pornoschwein, das wir verhauen, bis es grün und blau ist? Hat er denn nicht die berüchtigte Pornoseite zum Internationalen Frauentag zu verantworten? Droste: »Das war überhaupt nicht meine Idee. Ich habe nur den Chronisten der Entstehungsgeschichte von dieser Seite gemacht. Außerdem ist die Seite auch nicht das gewesen, was andere Leute als Pornografie bezeichnen. Aber es gibt einfach in diesem Land ein Stapel an Leuten, der nur rumsitzt und darauf wartet, dass irgendwo etwas passiert, an dem er sich erregen und erhitzen kann. Dann stürzt er los, völlig blind und besinnungslos. Das ist dumpf und im Grunde tief sockenbraun. Ich würde das nie als faschistisch bezeichnen, denn das ist etwas ganz anderes. Das ist etwas entsetzlich Dumpfes und Primitives. Die Weigerung, sich mit sich selbst zu konfrontieren, irgendetwas zu reflektieren. So was bekommst du dann ab. Das ist auch in Ordnung, denn wenn du dich aus dem Fenster rauslehnst, knallt dir der Wind entgegen. So ist das eben.«

Herr Droste ist besser, denn was er da sagt, ist so wahr, wie Daniel Cohn-Bendit blöd ist. Und darum wird er von bestimmten »taz«-Redakteuren auf eine Art misshandelt, von der man weiß, dass sie unter den Bestrafungsmodi der Neuzeit zu den einfältigsten und abstoßendsten gehört. »Die Reaktionen auf missliebige Artikel von mir sind so wie in einer schlechten katholischen Familie. Man runzelt das Gesicht und spricht mal ein paar Tage nicht mit dir. So lange, bis man dann hofft, dass du dich nach Strafe sehnst, damit wenigstens auf eine Art die Kommunikation wiederhergestellt ist. Das ganze ist eine ausgeflippte, katholische Kita.« »Nicht eher protestantisch?« »Gut. Haste recht. Dann hab ich das verwechselt.«

»Der Bielefelder Weg«

Da soll man wohl bärbeißig und bitterböse werden. Oder vielleicht lieber gaga? In einer Stadt wie Berlin, in der man Obszönitäten wie »ditte, dette und icke« auf offener Straße sagt? Droste: »Die Leute, die aus Berlin kommen, die sind ja alle furchtbar dröge. Die sitzen nur im Biergarten, trinken Weiße mit Schuss und sind doof. Oder machen schlechte Musik oder machen schlechtes Theater. Die würden nie nach Westdeutschland gehen, weil sie glauben, sie haben das Nirwana gefressen. Das ist ein unheimlich dumpfes, negatives Volk, das sich gleichzeitig auf diese Dumpfheit unheimlich was einbildet. Dieses ganze Wannsee-, Rudow-, Buckow-Pack!«

Was ist es aber, das einen jungen Menschen dennoch so stark macht, dass er im Angesicht der Zombies in den Biergärten und der Mutanten in der Redaktion nicht durchdreht? Dass er allen Anfeindungen zum Trotz weiter schnurgerade seinen einmal eingeschlagenen Weg geht? Jetzt offenbaren sich die Vorteile der erwähnten topjournalistischen Methode, denn Herr Droste beginnt uns sein Herz zu öffnen. Er berichtet vom »Bielefelder Weg« des Wissens.

»Der Bielefelder Weg ist geprägt von Mühe und Plage. Man muss sich hier durch alles durchwurschteln, was es eigentlich nicht gibt. Da gibt es dieses über 200 Jahre alte Lichtenberg-Zitat über die Abwesenheit des Geistes in dieser Stadt. Das ist überhaupt das Ding. Daran musst du dich bewähren. Das ist quasi der Wellenbrecher, der ständig gegen dich aufläuft. Es gibt ein paar Leute, die das vielleicht am meisten durchlitten, zutiefst verstanden und begriffen haben. Wenn du durch Bielefeld durch bist, gibt es eigentlich nichts mehr, wovor du zurückschrecken musst. Deshalb ist diese Broschüre von mir auch nicht unter dem Titel ›Der junge Berliner‹, sondern ›Der frühe Bielefelder‹ erschienen.«

Dann erfahre ich von den konkreten Freuden und den damit verknüpften Leiden des frühen Bielefelders. Seine Liebe zu Howard Carpendale, die sich mit acht Jahren herausbildete. »Und jetzt habe ich ihn gesehen, und er ist so ein Bewusstseins-Schlager-Kacker. Er singt Lieder, die auch Klaus Lage singen könnte, nur mit einer anderen Musik. Das ist einfach erbärmlich. Ich will sowas nicht.«

Oder seiner Karriere als Pop-Star bei der Gruppe Airbreak. »Da gab’s ein Ding, das hieß: ›Sie nennen mich Bauknecht, Diener der Liebe, ich weiß, was Frauen wünschen.‹ So’n Chauvi-Schweine-Teil. Als ich das gesungen habe, da bin ich von Frauenkommandos überfallen worden. Die haben mich zu Boden gerissen, haben mir die Hose ausgezogen und haben mir auf der Schulter ’ne Zigarette ausgedrückt.«

Bestechungsversuche gegenüber dem jungen Zivildienstleistenden: »Fritz und ich waren das beste Team. Nach dem haben sich alle die Finger geleckt. Das nannte sich ›Mobiler Sozialer Hilfsdienst beim Arbeiter-Samariter-Bund‹. Wir haben die komischen Übergriffe älterer Damen abgewehrt, uns hinter dem Staubsauger verschanzt und ihre Wohnungen lecker sauber gemacht. Bei einer Frau, da war der Sohn Juwelier. Ein totales Arschloch, reich, das hast du ihm schon angesehen. So silbergrau sind nur die Haare von irgendwelchen Leuten, die nie im Leben gearbeitet haben. Der quallte immer auf uns ein: ›Können Sie nicht mal meine Mutter bereden, dass sie mal auszieht und ins Heim geht?‹ Der hat uns dann einen Hundertmarkschein hingehalten. Damals war ich Moralist. Ich hab’ ihn angeschrien, er könnte sich seine Scheiße sonstwohin stecken. Er ist dann völlig empört abgehauen. Das war schon in Ordnung so.«

Wunderbare kleine Geschichten, die den bösen Zyniker aus Berlin hinter dem Bild des guten Menschen von Bielefeld verschwinden lassen. Was kann er dafür, dass ein grausames Schicksal ihn seinen guten Geschmack - er liebt Laurence Sterne und Wilhelm Busch - und einen guten Schreibstil entwickeln ließ? Was soll er denn tun in der Stadt der künstlichen Menschen? Kann er sie doch nur wieder und wieder verteufeln, die Brut. Muss er sie doch geißeln, die Lauen und Laschen, die Dummen und Dreisten dazu! Soll er ihn meinetwegen auch spielen, den bösen Mann im »Blue Rat«.

Das dachte ich wohl, als ich völlig betrunken mit Sabine an der Theke saß und über ganz andere Themen sinnlos schwadronierte. Da hörte ich Herrn Droste vom Tisch: »Du bist ja noch nicht einmal in der Lage, ein richtiges Interview zu machen. Du betrinkst dich ja vorher. Du bist ein unheimlich mieser Interviewer. Nein, du bist sehr gut. Aber du bist einfach ein mieser Interviewer. Ich liebe dich.« Na, dachte ich, das ist doch eine Basis.

In Kürze erscheint ein Sammelband mit Drostes denkwürdigsten Texten: Wiglaf Droste: »Die schweren Jahre ab dreiunddreißig«, Edition Tiamat, 304 S., brosch., 18 €.

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